Walter Reis VON ALEXANDER KÖHL, BIOGRAF, MAINASCHAFF
Mit Erfindergeist zum Global Player der Roboterindustrie
Ob Walter Reis beim Segelflug hoch über der roten Erde Namibias manchmal daran denkt, wie alles anfing? Der Aufstieg seiner Firma innerhalb von sechs Jahrzehnten zu einem Global Player der Roboterindustrie liest sich jedenfalls wie der Plot zu einem Existenzgründermärchen.
Bereits mit 22 Jahren beschloss der gelernte Industriekaufmann und Elektrotechniker, Unternehmer zu werden. Mit der unverzichtbaren Unterstützung seines Vaters, nebenberuflich „Rechner“ bei der Raiffeisenkasse, gründete Reis 1957 in Obernburg auf einer Apfelwiese einen Kunststoff-Spritzgussbetrieb.
Die Anfänge in der alten Scheune bei der ehemaligen Kochsmühle, die der Reis GmbH & Co. KG Maschinenfabrik als Firmensitz diente, waren schwer. Die Ausstattung mit einem Flaschenzug war einfach, und Strom musste vom Nachbarn organisiert werden. Nur mit Mühe konnte der Jungunternehmer sich finanziell über Wasser halten.
Doch Reis bewies Durchhaltevermögen, und nach einigen Jahren zeigte seine Experimentierfreude Früchte. Ihm gelang, eine Tuschierpresse zu entwickeln, die zwei Arbeitsgänge zu einer Tätigkeit verband. „Ich habe schon damals eine relativ gute Vorstellung gehabt, zu erkennen, ob etwas rationell oder verbesserungsbedürftig ist“, erläutert Reis seinen Coup in Sachen Rationalisierung. 1961 meldete er die Entwicklung zum Patent an.
Auf einer Apfelwiese in Obernburg wurde die Firma gegründet.
Jene Innovation machte die Reis GmbH & Co. KG Maschinenfabrik in kurzer Zeit bekannt in der Maschinenbau- und Automobilbranche. Der Publicity, gepaart mit dem großen Verkaufsgeschick des Unternehmers, verdankte die Firma ihre rasche Expansion. Schon bald lieferte das Unternehmen Maschinen im gesamten Bundesgebiet aus und auch in andere europäische Länder.
Zahlreiche Facharbeiter waren in den Produktionshallen beschäftigt.
Ermuntert vom Erfolg überlegte Reis, wie Produktionsprozesse weiter rationalisiert werden könnten. Bislang mussten gefertigte Teile per Hand Spritzgussmaschinen entnommen werden, um sie prüfen und die Maschinen anschließend wieder befüllen zu können. Dafür musste es eine effektivere Lösung geben, mit einem höheren Grad an Automatisierung. In der Folgezeit übertrug Reis das von ihm bereits entwickelte Konzept auf andere Industriebereiche und entwickelte die erste Abgratpresse für den Druckguss.
Anfang der 70er Jahre befasste sich Reis, auch inspiriert durch den amerikanischen Roboterhersteller Unimation, erstmals mit dem Thema Robotik. Doch anstatt den hydraulischen Antrieb der Amerikaner zu kopieren, setzte er auf die Entwicklung eines elektronischen Pendants. In Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) konstruierte der Unternehmer schließlich seinen ersten Industrieroboter. „Das und die Entwicklung der eigenen Robotersteuerung war dann der Durchbruch“, erinnert sich Reis heute.
Walter Reis (links) mit einem Programmierer im damaligen Roboterlabor von Reis Robotics aus dem Jahr 1981.
In den folgenden Jahrzehnten wuchs das Unternehmen, das mittlerweile unter Reis Robotics firmierte, weltweit zu einem der führenden Hersteller in der Robotertechnik und Systemintegration. Mit unternehmerischem Gespür und der nötigen Risikobereitschaft traf Reis die richtigen Entscheidungen. Sei es, sich an Forschungsprojekten mit Servicerobotern zu beteiligen, oder 2004 den Einstieg in die Photovoltaikindustrie zu wagen, was Reis Robotics im Lauf der Zeit zum Weltmarktführer in der automatisierten Herstellung von Solarmodulen machte.
2014 und 2016 verkaufte Reis schließlich in zwei Tranchen seine Unternehmensgruppe, die er zu einem der attraktivsten Arbeitgeber der Hightech-Branche am Bayerischen Untermain geformt hatte, an die KUKA AG. Er übergab einen Konzern aus 18 Firmen, deren etwa 1.500 Mitarbeiter starke Belegschaft bis dato über 13.000 Robotersysteme entwickelte und produzierte.
Doch Reis’ beeindruckendes Lebenswerk spiegelt sich nicht nur in unternehmerischen und innovativen Leistungen, sondern auch in seinem großen ehrenamtlichen Engagement in Verbänden, Vereinen und Stiftungen. So war er von 1992 bis 2004 Mitglied im Hauptvorstand des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) und von 1993 bis 1995 Präsident des Weltverbands der Roboterhersteller IFR. Im Beirat des Fördervereins der Fachhochschule Aschaffenburg setzte er sich mit Nachdruck für deren Gründung und den späteren Ausbau des Fachbereichs Mechatronic ein. Zudem stattete er die Fachhochschule – heute Technische Hochschule – mit zwei Robotern aus, die der Ausbildung qualifizierter Ingenieure zugute kommen sollten. Ferner stiftete er mit dem Walter Reis Innovation Award einen Förderpreis für Robotik, der 2006 zum ersten Mal vergeben wurde. Auch in der Industrie- und Handelskammer Aschaffenburg brachte er immer wieder seine fachliche Kompetenz in diversen Fachausschüssen ein.
Beruflich im Ruhestand, engagiert Reis sich aktiv im von ihm 2018 gegründeten Walter-Reis-Institut (WRI). Zielsetzung des WRI ist, Tüftlern jeden Alters aus der Region, die eine innovative Idee haben, Zugang zu Experten aus der Wissenschaft und zu Unternehmen zu ermöglichen. Zur Realisierung von Projekten steht unter anderem eine Hightech-Werkstatt zur Verfügung. „Die richtige Beratung ist am Beginn enorm wichtig“, konstatiert Reis. Nicht jedes Start-up müsse in den Anfangsjahren die gleichen unternehmerischen Fehler begehen, die er selbst, trotz allen wirtschaftlichen Erfolgs, aus Unerfahrenheit damals gemacht habe. Des Weiteren unterstützt das WRI sowohl Schüler bei deren Teilnahme an Science-Wettbewerben als auch Schulen bei „Jugend forscht“-Projekten. Zudem werden regelmäßig Schulklassen eingeladen, um in den Übungsräumen des Instituts spielerisch zu experimentieren. Außerdem bietet das Institut mit „Wissen für Alle“ eine Vortragsreihe an, in der sich Interessierte über wissenschaftliche Themen kostenfrei informieren können. Mit den vielfältigen Angeboten des WRI, das gemeinnützig in der Trägerschaft der Walter Reis Stiftung arbeitet, möchte Reis der Gesellschaft ein Stück weit etwas von der Unterstützung zurückgeben, die er einst von seinem Vater erfahren hatte. Eine weitere Herzensangelegenheit von Reis ist sein Engagement in der Stiftung Hilfe in Not, deren Mitbegründer und Ehrenvorsitzender er ist, und die unschuldig in Not geratenen Menschen aus dem Landkreis hilft. Reis` unternehmerische Aufbauleistung und ehrenamtliches Engagement wurden mit zahlreichen Auszeichnungen und Preisen gewürdigt. Unter anderem mit der Verleihung der Bayerischen Staatsmedaille, der Bundesverdienstkreuze am Bande und 1. Klasse und der goldenen Bürger- sowie Ehrenmedaille durch die Stadt Obernburg. In Obernburg wurde zudem eine Straße nach dem Unternehmer benannt. 2011 erhielt Reis den Preis Deutscher Maschinenbau. Doch neben dem Erhalt des Joseph F. Engelberger-Awards in den USA für seine Verdienste in der Roboterindustrie hat für Reis die Verleihung der Dieselmedaille in Gold eine besonders große Bedeutung, weil sie als die höchste Auszeichnung für Erfinder gilt, die mit ihren Innovationen zum Wohl der Gesellschaft beigetragen haben.
Der Segelfliegerei ist der passionierte Pilot treu geblieben.
Trotz seines immer noch großen Engagements findet der mittlerweile 85-Jährige Zeit und Raum zum Entspannen. Körperlich hält er sich fit, indem er jeden Tag etwa vierzig Minuten schwimmt. Doch das Skifahren und die ausgedehnten Rennrad-Touren durch ganz Europa musste Reis altersbedingt aufgeben. Auch die Ausflüge mit dem Mountainbike in den Spessart, die er früher regelmäßig als Ausgleich zur Arbeit unternommen hat. Nur seinem Hobby, der Segelfliegerei, ist der passionierte Pilot treu geblieben. Reis besitzt in Namibia ein Segelflugzeug. „Mittlerweile kenne ich das Land sehr gut aus der Luft“, sagt Reis lächelnd, und vielleicht denkt er hoch am weiten Himmel Namibias auch manchmal daran, wie alles anfing, auf einer Apfelwiese in Obernburg.
Reis Group Holding GmbH & Co. KG
- Führender Hersteller in der Robotertechnik und Systemintegration
- Verkauf von über 13.000 Robotersystemen weltweit
- 1957: Gründung der Reis GmbH & Co. KG Maschinenfabrik als Kunststoff-Spritzgussbetrieb
- 1961: Patent für Tuschierpresse
- Entwicklung der ersten Abgratpresse für den Druckguss
- 70er Jahre: Konstruktion des ersten Industrieroboters
- 1995: Start von Versuchen mit Servicerobotern
- 2004: Entwicklung hochgenauer Portalroboter und Einstieg in die Photovoltaikindustrie
- Weltmarktführer in der automatisierten Herstellung von Solarmodulen
- 2014 bis 2016: Verkauf der aus 18 Firmen bestehenden Unternehmensgruppe mit ihrer circa 1.500 Mitarbeiter starken Belegschaft an KUKA AG in Augsburg