Reinhard Engelmann VON ALEXANDER KÖHL, BIOGRAF, MAINASCHAFF

Visionär und Kämpfer für den Standort Bayerischer Untermain

Als Reinhard Engelmann im Dezember 2012 als Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Aschaffenburg in Ruhestand ging, gelang ihm das, womit aus seinem beruflichem Umfeld wohl niemand gerechnet hat: Er schaffte es, loszulassen und sich in der knappen Lebenszeit, die ihm noch blieb, verstärkt seinem Hobby, dem Bau und Betrieb seiner elektrischen Modelleisenbahn, zu widmen und ausgedehnte Touren mit dem neu erworbenen E-Bike zu unternehmen.
Interessiert hat ihn die Entwicklung des Industrie- und Logistikstandorts am Bayerischen Untermain allerdings nach wie vor. Ehemaligen Kollegen stand er weiterhin auch gern mit Rat beiseite, doch nur, wenn man ihn darum bat.
1947 geboren, wuchs Engelmann in Frankfurt im Stadtteil Preungesheim auf. Bevor er in seiner Heimatstadt Volkswirtschaftslehre studierte, besuchte er ein Wirtschaftsgymnasium. „Deshalb konnte er auch als einziger von uns blind mit zehn Fingern und somit schneller tippen als wir anderen“, scherzt sein langjähriger Kollege und Freund Armin Eisert.
Nach Abschluss des Studiums begann Engelmann 1974 seine berufliche Karriere in der IHK Aschaffenburg, der er 38 Dienstjahre lang treu blieb. Anfangs war er mit Aufgaben der Konjunktur, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit betraut. 1980 übertrug man ihm das Geschäftsfeld Industrie. Im Oktober desselben Jahres wurde er zum Geschäftsführer bestellt. 1985 übernahm er schließlich die Leitung der neu gegründeten Abteilung Industrie und Verkehr, eine der größten der IHK Aschaffenburg.
In der Folgezeit bewegte Engelmann einiges in der Wirtschaftsregion Bayerischer Untermain. Mit Leidenschaft kämpfte er für den Erhalt des Industriekerns in der Region, indem er sich für die Infrastrukturbelange der Wirtschaft, unbürokratische Genehmigungsverfahren, eine ökologische Wirtschaftsentwicklung und nicht zuletzt auch für die Etablierung des IC- und späteren ICE-Halts in Aschaffenburg einsetzte. Sein Bestreben war stets, möglichst ideale Bedingungen für die lokale Wirtschaft zu schaffen und die Ansiedlung neuer Unternehmen in der Region zu fördern. Dabei fand er auch noch Zeit und Muße, die Wirtschaftsjunioren der IHK Aschaffenburg zu betreuen.
Doch seine größten Verdienste für die hiesige Wirtschaftsregion bestanden wohl darin, die Notwendigkeit eines Regionalmarketings und Regionalmanagements erkannt zu haben. Und in logischer Folge dessen die Organisation INITIATIVE BAYERISCHER UNTERMAIN zu initiieren und die Errichtung des Gründerzentrums ZENTEC voranzutreiben.
Engelmann besaß die Weitsicht und das Gespür, erinnert sich Eisert, frühzeitig zu erkennen, dass die bislang autark agierenden Wirtschaftsräume der Landkreise Miltenberg und Aschaffenburg und der kreisfreien Stadt Aschaffenburg an der nordwestlichen Randlage Bayerns jeder für sich ein zu geringes wirtschaftliches Gewicht besaß, um auf Dauer neben der großen Metropolregion Frankfurt-Rhein-Main bestehen zu können. Noch dazu in einer schwierigen Zeit des ökonomischen Umbruchs, in der Fachkräfte aus der Region abwanderten. Der Erfolg der hiesigen Wirtschaft konnte seiner Einschätzung nach nur gewährleistet bleiben, wenn in Zukunft die beiden Landkreise und die Stadt Aschaffenburg bei gemeinsamen Wirtschaftsinteressen über die jeweiligen Verwaltungsgrenzen zusammenarbeiten und sich zudem als Teil der umfassenderen Metropolregion Frankfurt-Rhein-Main positionieren würden. Eine von einem Gremium geleitete Organisation musste Engelmanns Überzeugung nach etabliert werden, die professionell die gemeinsamen Infrastruktur- und Wirtschaftsbelange am Bayerischen Untermain managte. Doch bevor solch eine Organisation entstehen konnte, musste zuerst auf politischer Ebene, in der sogenannten Planungsregion 1, der passende Rahmen geschaffen werden.
An der Stelle bewies sich Engelmann als hervorragender Netzwerker. Mit großem argumentativem Geschick gelang es ihm, die Landräte Schwing und Eller sowie den Aschaffenburger Oberbürgermeister Reiland von den Vorteilen solch einer Kooperation zu überzeugen. Zudem von der Notwendigkeit, regionale Zuständigkeiten an solch ein neu zu gründendes Konstrukt abzugeben. Überzeugungsarbeit leistete Engelmann auch im Stadtrat und den Kreistagen, wohin er zur Erläuterung seines Konzepts des Öfteren eingeladen wurde.
Schließlich entstand entgegen anfänglicher politischer Widerstände mit der INITIATIVE BAYERISCHER UNTERMAIN tatsächlich jene Regionalmarketing- und Regionalmanagement-Organisation. Deren zentrale Aufgabe: Strategien zur Förderung des Wirtschaftsstandorts Bayerischer Untermain zu entwickeln, die Rahmenbedingungen für die örtliche Wirtschaft zu verbessern und anhand von konkreten Maßnahmen umzusetzen. Zu letzteren gehören das Betreiben von Standortmarketing, der Aufbau und die Pflege regionaler Kompetenznetzwerke, die Förderung der Vermarktungsstrukturen für regionale Produkte und einiges mehr.
Etwa um die Jahrtausendwende wurde auf Engelmanns maßgebliche Initiative mit der ZENTEC in Großwallstadt ein weiterer wichtiger Baustein zur Förderung der regionalen Wirtschaft ins Leben gerufen. Die ZENTEC berät Start-ups in Existenzgründungsfragen, bietet aber auch Unternehmen bei deren Projektmanagement und bei der Entwicklung und Umsetzung von Innovationen Unterstützung an. Zudem betreibt die ZENTEC ein Business Center zur Anmietung von Büroflächen, optional mit Serviceleistungen wie Empfang, Telefondienst und Tagungscenter. Mit ihrem Geschäftsbereich Energieagentur koordiniert die ZENTEC in der Region außerdem Maßnahmen und Projekte zur Umsetzung der Energiewende.
Die ZENTEC hat bis heute großen Anteil an der günstigen industriellen und wirtschaftlichen Entwicklung am Bayerischen Untermain. Eine Erfolgsgeschichte mit Beispielcharakter, die Engelmann nicht nur als Vordenker und Initiator mitschrieb, sondern auch aktiv gestaltete, indem er zeitweise als Regionalmanager persönlich die Geschicke des Gründerzentrums lenkte. Trefflicherweise bezeichnete ihn der ehemalige Landrat Miltenbergs, Schwing, auch deshalb einst als „Anwalt der Industrie“.
Doch auch im Kollegenkreis und bei Mitarbeitern war Engelmann beliebt und genoss hohe Anerkennung. Er war ein anspruchsvoller, aber fairer Vorgesetzter, der stets nach dem Motto „Fördern und Fordern“ handelte. In seiner geselligen Art, erinnert sich Eisert, traf er sich im Ruhestand einmal im Monat mit ehemaligen Geschäftsführern der IHK Aschaffenburg zum mittäglichen Stammtisch. Viel Zeit ist ihm nicht mehr geblieben aus nahbarer Distanz, sozusagen von der Seitenlinie des Spielfelds aus, das weitere Gedeihen der Wirtschaft am Bayerischen Untermain zu verfolgen. Engelmann verstarb unerwartet 2016 am Dreikönigstag. Er hinterließ seine Ehefrau und drei Kinder.