Herbert Schwind VON ALEXANDER KÖHL, BIOGRAF, MAINASCHAFF

Entwickler der weichen Kontaktlinse

Der allererste Kunde, der in die Vorzüge der von ihm entwickelten weichen Kontaktlinse kam, war eine bekannte Persönlichkeit aus Herbert Schwinds Heimatstadt. Ihm sollten rund um den Globus noch Millionen andere folgen.
Geboren wurde der Ausnahmeoptiker Herbert Schwind am 1. Juli 1932 in Aschaffenburg. Nachdem er im Humanistischen Gymnasium Aschaffenburgs, dem heutigen Kronberg-Gymnasium, die Schule besucht hatte, absolvierte Schwind eine Ausbildung zum Augenoptiker, die er in Frankfurt begann, in Fulda fortsetzte und in Aschaffenburg in der Weißenburger Straße im Optikfachgeschäft seines Vaters Franz abschloss. Danach zog er nach Köln, um an der Fachhochschule für Augenoptik seine Berufsausbildung zu komplettieren.
Acht Jahre nach dem Tod seines Vaters kehrte Schwind 1957 in das Geschäft in der Weißenburger Straße zurück, dessen Leitung zwischenzeitlich seine Mutter Therese übernommen hatte. 1958 gründete er die Herbert Schwind GmbH & Co. KG. Im selben Jahr eröffnete er in Aschaffenburgs Herstallstraße das Fachgeschäft Optica. Die Eröffnungen weiterer Optica Geschäfte in der Region folgten. Parallel zum Aufbau des Filialnetzes schuf sich Schwind ein zweites profitables Standbein, indem er Diagnosetechnik zur Ermittlung der Sehschärfe produzierte und die Einrichtung von Augenarztpraxen übernahm.
Stetig auf der Suche nach neuen Geschäftsfeldern für sein Unternehmen, beschäftigte sich Schwind schon frühzeitig mit dem Thema Kontaktlinsen. „Zunächst habe ich die Idee gehabt, Kontaktlinsen anzupassen und zu vertreiben. Dazu musste ich eine weitere Ausbildung machen“, erinnert sich Schwind. Das erforderliche Know-how eignete sich der Augenoptiker in Berlin und in den USA an. Eine Zeitlang blieb Schwind in Chicago, um Kontaktlinsen anzupassen, die damals aus formstabilem PMMA-Kunststoff produziert wurden. Im Zuge jenes Aufenthalts lernte er den Unternehmer Hudson Titmus kennen, mit dem er 1964 in Aschaffenburg die Firma Titmus Eurocon Kontaktlinsen GmbH & Co. KG gründete. Eine Zusammenarbeit, die zu Welterfolg führte.
In der zweiten Hälfte der 60er Jahre bekam Schwind zugetragen, dass es in der Tschechoslowakei einen Wissenschaftler gab, der an der Herstellung einer weichen Kontaktlinse arbeitete. Nachdem Schwind vergeblich versucht hatte, Kontakt zu diesem Wissenschaftler aufzunehmen, machte er sich in seiner dynamischen Art selbst ans Werk. Er stellte eine Mannschaft aus Chemikern und weiteren Fachleuten zusammen, denen schließlich tatsächlich das Meisterstück gelang: eine für das Auge gut verträgliche Linse aus einem weichen Kunststoff-Polymer zu entwickeln. 1972 brachte Schwind mit seinem Partner Titmus die sogenannte Weicon-Kontaktlinse auf den Markt – eine technologische Weltneuheit, die auf Jahre hin Goldstandard bleiben sollte.
Der bereits erwähnte allererste Kunde von Schwinds neuartiger weicher Kontaktlinse war Heinrich Euler. Doch vom Verkauf jenes Paars an den ersten Präsidenten der IHK Aschaffenburgs sollte es noch eine Zeitlang dauern, bis Schwind mit Titmus Eurocon auch auf kaufmännischer Ebene der Durchbruch gelang. Der große wirtschaftliche Erfolg stellte sich erst ein, als das Unternehmen für seine Weicon-Kontaktlinse von der U.S. Food and Drug Administration (FDA), der US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel, die Zulassung für die USA erteilt bekam. „Das war keine einfache Sache“, konstatiert Schwind. „Das gab dann aber den Anstoß, dass einige große Konzerne – unter anderen der amerikanische Hersteller Bausch & Lomb und Ciba Geigy – bei uns nach einer Lizenz nachfragten.“ In puncto Kooperation fiel Schwinds Wahl auf das Schweizer Pharma- und Chemieunternehmen Ciba Geigy. In der Folgezeit baute Schwind in Atlanta/Georgia eine Produktionsstätte für weiche Kontaktlinsen, analog der am Bayerischen Untermain.
In den Jahren darauf entstand die Idee, eine Eintages-Tauschlinse auf den Markt zu bringen. Doch die geschätzten Entwicklungskosten hierfür bewegten sich in sprichwörtlich schwindelerregender Höhe und auch der Bedarf an Mitarbeitern wäre auf ein Vielfaches gestiegen. Dieses hohe finanzielle Risiko war Schwind nicht bereit einzugehen. Deshalb entschied er 1982, Titmus Eurocon an Ciba Geigy zu verkaufen.
Sich zur Ruhe zu setzen, war allerdings noch lange nicht Schwinds Sache. So erfuhr er erneut von einem Novum, das sein Interesse weckte. Er hörte von einem Augenarzt in den USA, der die Vision hatte und daran forschte, mit einem Laser chirurgische Eingriffe an der menschlichen Augenhornhaut vorzunehmen. Diesmal gelang es Schwind, Kontakt zu besagtem Augenarzt aufzunehmen, doch der lehnte eine Zusammenarbeit ab. Also griff Schwind auf seine altbewährte Methode zurück, die sich schon bei der Entwicklung der Weicon-Kontaktlinse bewährte: er stellte eine Mannschaft aus Fachleuten zusammen und nahm die Sache selbst in die Hand. Und Schwinds beherzter Experimentier- und Forschungswillen zahlte sich erneut aus. 1992 konstruierte er mit seinem Team tatsächlich einen Augenlaser, mit dem es gelang, Fehlsichtigkeit operativ zu korrigieren.
Im Laufe der folgenden Jahrzehnte entwickelte Schwinds Firma mehrere Generationen von Augenlasern, angefangen vom KERATOM Broadbeam Laser bis hin zum modernen AMARIS Excimer Laser. Heute zählt das zu Schwind eye-tech-solutions GmbH umfirmierte Unternehmen zu einem der führenden Augenlaserspezialisten weltweit.
Doch der Fokus im Hause Schwind konzentrierte sich ab der 90er Jahre nicht allein auf die Entwicklung und den Vertrieb von Augenlasersystemen. Das Unternehmen blieb auch seinem klassischen Geschäftsbetrieb treu. So trieb die Geschäftsleitung weiter konsequent den Ausbau des Filialnetzes voran. Zudem erweiterte sie das Produktangebot um den Bereich Hörakustik. Einen weiteren Meilenstein in der Geschichte des Familienunternehmens markierte die Errichtung des neuen Firmengebäudes in Kleinostheim. Im „Haus der Optik“ wurden neben dem Geschäftsbetrieb auch Fachtagungen und Diskussionsforen zu Themen rund um Fehlsichtigkeit und Laseraugenchirurgie veranstaltet.
Trotz seines großen beruflichen Engagements fand Schwind auch Zeit, sich ehrenamtlich in der IHK Aschaffenburg einzubringen. So war er über viele Jahre ordentliches Mitglied der Vollversammlung und zudem Leiter des Industrieausschusses.
Schwinds unternehmerische Leistung der vergangenen Jahrzehnte ist außergewöhnlich. Von seinen technologischen Innovationen profitieren Menschen weltweit. Mit Weitsicht formte er aus dem Optikfachgeschäft, das sein Vater einst gründete, einen Global Player für Augenlasersysteme. Doch all das schaffte er natürlich nicht im Alleingang. Vieles konnte nur mit Hilfe seiner Mitarbeiter und seines Sohnes Rolf gelingen, der seit 1985 das Unternehmen erfolgreich leitet. Zurückblickend gilt Schwinds besonderer Dank seiner Mutter Therese „ ... denn sie hat dafür gesorgt, dass ich Sprachen lerne.“
Den Übergang in den Ruhestand vollzog Schwind auf fließende Weise. Sich sukzessive aus dem Unternehmen zurückziehend, konnte er sich nun vermehrt seinem großen Hobby widmen. Mit seiner Motoryacht VAGASTO bereiste er über mehrere Monate weite Gebiete des Mittelmeerraums von der Côte d’Azur bis zu den Liparischen Inseln. Darüber verfasste er auch den Reisebericht „Mit der VAGASTO auf maritimer Entdeckungstour“, der 2017 als Buch erschien. Bereits zuvor widmete sich Schwind dem Schreiben. 2013 veröffentlichte er den ebenso unterhaltsamen wie informativen Band „Brillengeschichten – grandios und kurios. Eine Zeitreise“.
In frühen Jahren betätigte sich Schwind auch sportlich. Gern spielte er in seiner Freizeit Tennis und Golf. Nun lässt es der Endachtziger etwas ruhiger angehen. Mit seiner Ehefrau Gisela, die er bereits während seines Studiums kennenlernte, verbringt er gern Zeit in seiner zweiten Heimat, der Schweiz. Ein Land, für das er schon immer ein großes Faible besitzt.