Friedrich-Karl Rogge von Alexander Köhl, Biograf, Mainaschaff

Gründer eines der führenden Faserplattenwerke Europas

In geselligen Stunden erzählte Friedrich-Karl Rogge gern, dass er 1945, nach Kriegsende, kurzerhand in einem sogenannten Russenlager seine Uhr gegen ein Fahrrad tauschte, auf dem er dann in einer Tour den langen, beschwerlichen Weg von Augsburg nach Hamburg radelte. Der Grund: er wollte Teilhaber im Holzimport und Furnierhandel seines Chefs Josef Niemöhlmann werden.
Eine Episode mit Unterhaltungswert, die darüber hinaus aber auch Aufschluss gibt über die wohl markantesten Wesenszüge Rogges – seine Entschlossenheit und enorme Tatkraft. Rogge war ein Mann, der sein Schicksal selbst in die Hand nahm. Eine Tugend, die Garant für seinen beruflichen Erfolg war.
Geboren wurde Rogge am 23. Mai 1913 in Tondern auf der Landbrücke zwischen Nord- und Ostsee. Sein Vater Friedrich verwaltete in dem Städtchen als Landrat einen der größten Landkreise Preußens. 1920 siedelte die Familie nach Rendsburg um, wo Rogge seine Jugend verbrachte. Als er elf Jahre alt war, starb seine Mutter. Ab da wurde er vom Vater allein erzogen. Von ihm erlernte er auf der Eider die Kunst des Segelns. Manöver und Kommandos beherrschend, bekam er eine Drewitzsche Jolle überlassen, mit der er fortan allein aufs Wasser durfte. Das Segeln entwickelte sich zu Rogges großer Passion, der er ein Leben lang nachging.
1932 musste der 19-Jährige mit dem Tod seines Vaters den zweiten großen Schicksalsschlag verkraften. Am Tag der Beerdigung lernte Rogge Josef Niemöhlmann kennen. Der Freund seines Vaters bot ihm an, in seiner Firma in Hamburg eine Ausbildung zum Holzkaufmann zu machen. Rogge hatte seinen ursprünglichen Berufswunsch, wie sein älterer Bruder Bernhard Offizier bei der Marine zu werden, bereits aufgeben müssen. Deshalb nahm er die Offerte an.
Die Kriegsjahre bedeuteten für Rogge sowohl in privater, militärischer als auch beruflicher Hinsicht eine turbulente Zeit. Mittlerweile für Niemöhlmann als Verkäufer in Berlin tätig, lernte er dort im Tennisclub Blau-Weiß seine spätere Ehefrau Ursula Freundt kennen. 1941 fand die Hochzeit statt. Ein Jahr darauf wurde Sohn Dirk geboren. Die Töchter Anke-Maria und Irene-Christiane erblickten erst 1944 und 1948 das Licht der Welt.
Im Zuge der Kriegswirren verschlug es Rogge – zwischenzeitlich im militärischen Rang eines Offiziers – nach Bayern. Einen mehrfach verlängerten Urlaub von seiner Flakeinheit nutzte er, um für seinen Chef Handel mit Furnierholz zu treiben. In jenen Wochen gelang es ihm, wertvolle Beziehungen ins Bayerische Wirtschaftsministerium zu knüpfen.
Nach Kriegsende vermochte Niemöhlmann sein Versprechen nicht einzuhalten, Rogge zum Teilhaber seines Unternehmens zu machen. Im Nachhinein vielleicht ein Glücksfall, denn sonst hätte Rogge wohl kaum über einen ehemaligen Kunden Kontakt zu einer Firma erhalten, die im unterfränkischen Amorbach ein Faserplattenwerk errichten wollte und einen erfahrenen Partner in der Holzbranche suchte. Rogge bot seine Dienste an und verwies auf seine guten Beziehungen zum Bayerischen Wirtschaftsministerium. Mit Beharrlichkeit und unkonventionellem Einsatz – unter anderem, indem er den damaligen Wirtschaftsminister des Freistaats Ludwig Erhard auf der Straße abpasste und vorsprach – gelang es Rogge 1946 tatsächlich, die Genehmigung zur Errichtung eines solchen Werks erteilt zu bekommen.
Im Frühjahr 1947 erfolgte in Amorbach der erste Spatenstich. Die Materialbeschaffung erwies sich in der Nachkriegszeit als schwierig und fand teilweise auf dem Tauschweg statt, erinnert sich Rogge in seiner Autobiografie „Lebenserinnerungen“, die 1993 in kleiner Privatedition erschien. So wechselte beispielsweise Holz gegen Zement und Porzellankörper für Elektrosicherungen gegen Motoren die Eigentümer. Im September 1948 wurde schließlich die Holzfaserplattenwerk Odenwald GmbH gegründet. Wenige Monate darauf startete die Produktion mit Rogge als Geschäftsführer und 60 Arbeitern, die fast alle Flüchtlinge waren.
Sowohl bei der Finanzierung und Gründung des Werks, als auch in den ersten Jahren des Betriebs spielte Rogges Schwiegervater Dr. Friedrich Arthur Freundt eine wichtige Rolle. Als einer der Geschäftsführer des Bankhauses Hardy stand er Rogge mit Rat und wertvollen Beziehungen beiseite und trug somit maßgeblich für den Erfolg des Unternehmens bei. Im Verlauf des ersten Nachkriegsjahrzehnts gelang es Rogge, das Werk zu modernisieren und die Produktion stetig zu steigern. Die entscheidende Basis für den wirtschaftlichen Durchbruch seiner Firma schaffte er allerdings auf einer USA-Reise, die er 1960 unternahm. Während eines Geschäftsbesuchs entdeckte Rogge zufällig eine neuartige Mineralfaserplatte, deren Material im Gegensatz zu den bislang von ihm in der Produktion eingesetzten Holzfasern nur schwer entflammbar war. In Zeiten gestiegener Anforderungen an den Brandschutz erkannte Rogge sofort das enorme Potenzial dieser Materialeigenschaft für die mittlerweile prosperierende Bauwirtschaft. Und auch hier zeigte Rogge Entschlossenheit und Tatkraft. Noch während des Aufenthalts in den USA nahm er Kontakt zur Herstellerfirma Wood Conversion Company in Cloquet/Minnesota auf und warb auf seine überzeugende Art für eine geschäftliche Kooperation. Wenige Monate darauf erhielt er von den Amerikanern tatsächlich die Lizenz, Mineralfaserplatten herzustellen und im Großteil Europas zu vertreiben. „Ohne die Mineralfaserplatten wären wir heute weg vom Fenster, so wie es über fünfzig anderen europäischen Holzfaserplattenwerken ergangen ist“, resümiert Rogge in seinen Memoiren.
Einen weiteren Meilenstein in der Erfolgsgeschichte des Unternehmens – mittlerweile in Odenwald Faserplattenwerk GmbH (OWA) umfirmiert – markierte Rogge Mitte der 70er Jahre mit dem Entschluss, Mineralwolle selbst herzustellen. Die Unabhängigkeit vom Rohstoffmarkt beim Einsatz der wichtigsten Ressource bescherte dem Unternehmen gegenüber Mitbewerbern enorme ökonomische Vorteile. Und auch in puncto Energiebeschaffung strebte Rogge nach einem möglichst hohen Grad an Autarkie. Deshalb ließ er 1971 die Produktionsanlagen des Werks an eine neu gelegte Erdgasleitung anschließen. „Viele wissen bis heute nicht, dass sich mein Vater immer sehr um das Thema Energie gekümmert hat“, erinnert sich Dirk Rogge, der nach dem Rückzug seines Vaters ins Privatleben das Unternehmen als Geschäftsführer weiterleitete. „Die Gasleitung für die OWA war ein absolutes Highlight für ihn.“
Bis Rogge 1994 in Ruhestand ging, lenkte er vierzig Jahre lang als Geschäftsführer die Geschicke der OWA. In der Zeit machte er das Unternehmen zu einem der führenden Faserplattenwerke in Europa mit über 550 Beschäftigten. Doch seine Schaffenskraft galt nicht nur der Entwicklung und dem Wohl der eigenen Firma. Rogge engagierte sich auch ehrenamtlich in Verbänden und Vereinen, wie zum Beispiel dem Verband der deutschen Faserplattenindustrie (VdF), im Deutscher Holzwirtschaftsrat e.V. (DHWR), in der European Federation of Fibreboard Manufacturers (FEROPA) und nicht zuletzt – wohl auch seiner Segelleidenschaft geschuldet – im Deutscher Hochseesportverband HANSA e.V. (DHH). Zudem brachte sich Rogge über Jahrzehnte mit Rat und Wissen in verschiedenen Fachausschüssen der Industrie- und Handelskammer Aschaffenburg ein.
Rogges beeindruckende unternehmerische Aufbauleistung und sein großes ehrenamtliches Engagement erfuhr zahlreiche Auszeichnungen und Würdigungen. Unter anderem wurde Rogge der Bayerische Verdienstorden, das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse und die Staatsmedaille des Freistaates Bayern verliehen. Zudem sprach ihm die Stadt Amorbach 1993 die Ehrenbürgerwürde zu.
Danach gefragt, ob er ein Vorbild habe, gab Rogge Otto von Bismarck zur Antwort. An ihm bewunderte er dessen Zielstrebigkeit, Disziplin und Durchsetzungskraft. Tugenden, nach denen auch Rogge sein Handeln ausrichtete. Doch das sind nicht die einzigen Charaktereigenschaften, die Rogges Wesen hinreichend beschreiben. Sein privates und berufliches Umfeld schätzte ihn zudem für seine geradlinige und bodenständige Art. Seine Mitarbeiter kannten ihn als anspruchsvollen Chef, der zwar großen Einsatz forderte, aber auch stets fair und loyal blieb.
Den Ruhestand zu genießen, blieb Friedrich-Karl Rogge nicht lange vergönnt. Er verstarb am 29. April 1995 im Alter von 81 Jahren, nur wenige Monate, nachdem er sich aus dem Berufsleben zurückzog.
Odenwald Faserplattenwerk GmbH (OWA) -
Expansion zu einem der führenden Faserplattenwerke Europas
  • 1948: Gründung als Holzfaserplattenwerk Odenwald GmbH. Aufnahme der Produktion mit Friedrich-Karl Rogge als Geschäftsführer und 60 Arbeitern
  • 1960: Einführung der Mineralfaser in den europäischen Markt durch eine Kooperation mit Wood Conversion Company in Minnesota
  • 1964: Umfirmierung in Odenwald Faserplattenwerk GmbH (OWA)
  • 1971: Anschluss der Produktionsanlagen an eine neu gelegte Erdgasleitung
  • 1975: Aufnahme der eigenen Mineralwolle-Produktion
  • 1983: Dirk Rogge übernimmt die technische Geschäftsleitung
  • 2006: Eröffnung einer Produktionsstätte in China
  • 2018: Gründung weiterer OWA-Vertriebsgesellschaften in China und den USA