Analyse der FDI-Entwicklung in der Ukraine seit Kriegsbeginn
Im Vorfeld der diesjährigen URC haben wir die aktuellen Entwicklungen und Einflussfaktoren der FDI-Zuflüsse analysiert. Laut ukrainischen Statistiken beliefen sich diese seit 2022 auf insgesamt 8,3 Mrd. USD. Aus mikroökonomischer Sicht stellt jede Investition eines ausländischen Unternehmens in einem Land im Krieg einen mutigen Schritt dar. Makroökonomisch betrachtet reichen die FDI-Zuflüsse jedoch nicht aus, um die Herausforderungen des Wiederaufbaus zu bewältigen. Entsprechend wird die Verbesserung der Investitionsattrahierung ein zentrales Thema auf der URC und auch darüber hinaus darstellen.
Hintergrund
Am 10. und 11. Juli veranstalten die Ukraine und Italien die vierte URC seit Beginn des russischen Angriffskrieges. Zwar wächst die ukrainische Wirtschaft nach einem starken Einbruch 2022 wieder, doch die Rückkehr zum Vorkriegsniveau bleibt eine langfristige Herausforderung. Um das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen, betonen politische Entscheidungsträger die Notwendigkeit gezielter Maßnahmen zur FDI-Attrahierung.
In diesem Kontext haben wir die aktuelle Entwicklung der FDI-Zuflüsse analysiert und ihre wichtigsten Einflussfaktoren untersucht. Laut Daten der NBU beliefen sich die eingehenden FDI-Zuflüsse zwischen 2022 und 2024 auf 8,3 Mrd. USD. Aus mikroökonomischer Sicht zeigt dieser Trend ein gewisses Vertrauen internationaler Investoren in das zukünftige wirtschaftliche Potenzial der Ukraine und zeugt von mutigen Entscheidungen seitens der Unternehmen. Aus makroökonomischer Sicht machten die durchschnittlichen jährlichen FDI-Zuflüsse jedoch nur 1,6% des ukrainischen BIP aus – unter Vorkriegsniveau und deutlich zu wenig für die Rolle, die ausländischen Investoren für den Wiederaufbau zugeschrieben wird.
Was sind die Treiber?
Eine genauere Analyse der FDI-Statistiken der NBU zeigt, dass der Großteil des FDIs nicht aus Neuzuführungen von Beteiligungskapital der Muttergesellschaften an ihre Tochterfirmen in der Ukraine stammt. Stattdessen stammt ein erheblicher Anteil aus reinvestierten Gewinnen. Zwischen 2019 und 2021 (vor dem Krieg) machten diese etwa 59% der gesamten FDI-Entwicklung aus. Dieser Trend hat sich im Krieg fortgesetzt: Zwischen 2022 und 2024 stieg der Anteil leicht auf 61%.
Einerseits ist es bemerkenswert, dass ausländische Unternehmen in der Ukraine weiterhin profitabel operieren. Andererseits verdeutlicht dies auch das geringe Ausmaß ausländischer Unternehmen, die neu in den Markt eintreten.
Einen positiven Aspekt stellen jedoch die zunehmenden Zuflüsse von Beteiligungskapital dar: Sie stiegen von 0,4 Mrd. USD im Jahr 2022 auf 0,9 Mrd. USD 2024.
Zuflüsse nach Ländern
Zwischen 2019 und 2021 stammten 62% der gesamten FDI-Zuflüsse aus fünf Ländern: Zypern, den Niederlanden, der Schweiz, dem Vereinigte Königreich und Deutschland. Ein Teil dieser Investitionen lässt sich jedoch auf sogenanntes „Roundtripping“ zurückführen, also der Transfer inländischer Mittel ins Ausland und deren direkte Rückführung in Form von Direktinvestitionen (NBU, 2025, Link). Die NBU (2025, Link) schätzt, dass zwischen 2010 und 2024 rund 24% der gesamten Zuflüsse auf Roundtripping zurückzuführen sind, insbesondere aus Zypern, den Niederlanden und der Schweiz.
Seit Kriegsbeginn hat sich die Diversifikation der Herkunftsländer vergrößert. Der Anteil der genannten fünf Länder sank auf 41%. Die Investitionen aus Deutschland sind sogar negativ (aufgrund negativer reinvestierter Gewinne), während Länder wie Österreich, die USA, Polen oder Frankreich zunehmend investieren. Hervorzuheben sind auch Investitionen saudischer Unternehmen in Höhe von über 217 Mio. USD im Jahr 2024.
Zuflüsse nach Sektoren
Auch in der sektoralen Zusammensetzung gibt es eine Verschiebung. Vor dem Krieg war die FDI-Entwicklung in etwa gleichmäßig zwischen Industrie- und Dienstleistungssektor verteilt. Seit Kriegsbeginn zeigt sich ein klarer Trend hin zu Investitionen im Dienstleistungssektor.
Von den 17 Teilsektoren, für die Daten verfügbar sind (ohne „Öffentliche Verwaltung und Verteidigung“ sowie „Sonstige Dienstleistungen“), verzeichneten nur fünf seit Kriegsbeginn höhere FDI-Zuflüsse als in der Periode 2019 – 2021, alle davon im Dienstleistungsbereich. Vor dem Krieg waren die Top-3-Sektoren Bergbau, Finanzdienstleistungen und verarbeitendes Gewerbe. Seit dem Krieg sind es Handel, Finanzdienstleistungen, IKT – allesamt Dienstleistungssektoren. Zur weiteren Analyse der Bedeutung von FDI für das Wirtschaftswachstum, häufig von Entscheidungsträgern betont, untersuchten wir die kausale Beziehung empirisch. Wir betrachten den Zeitraum 2019 und 2024 für die 17 Teilsektoren und finden dabei Unterstützung für diese Hypothese.
Politische Implikationen und Ausblick
Das Ergebnis unterstreicht die große Bedeutung politischer Maßnahmen zur Förderung von FDI für den Wiederaufbau der Ukraine. Die bisherigen Statistiken zeigen trotz politischer Prioritätensetzung während des Krieges nur moderate FDI-Zuflüsse. „Frisches“ Beteiligungskapital war seit Kriegsbeginn begrenzt, obwohl ein positiver Trend erkennbar ist. Das deutet darauf hin, dass viele ausländische Unternehmen angesichts des hohen Risikos weiterhin zögern.
Die kommende URC bietet daher eine wichtige Gelegenheit, politische Maßnahmen zur Verbesserung der Investitionsbedingungen zu diskutieren. Beispielsweise waren Reformen und der EU-Beitrittsprozess in den Nachbarländern der Ukraine entscheidende Faktoren für FDI-Zuflüsse. Schon jetzt könnte ein erweiterter Zugang zum EU-Binnenmarkt vor einer vollständigen Mitgliedschaft die Investitionsbereitschaft ausländischer Unternehmen positiv beeinflussen.
Sicherheitsrisiken könnten durch öffentliche Garantiesysteme abgesichert werden – jedoch bieten derzeit nur wenige Länder solche Programme für Investitionen ihrer Unternehmen in der Ukraine während des Krieges an. Ein neues System zur Absicherung aller neuen (in- und ausländischer) Investitionen könnte einen echten Wendepunkt darstellen.
All diese Fragen werden insbesondere in der „Business“ Dimension, einer der vier thematischen Dimensionen der URC, eine wichtige Rolle einnehmen.
Quelle: German Economic Team
Stand: Juli 2025
Stand: Juli 2025