Wie kamen Sie auf die Idee, eine Checkliste zu erstellen?
Wir waren Anfang des Jahres auf einem Workshop, gemeinsam mit anderen Stakeholdern zur Fachkräfteeinwanderung. Alle dort hatten den Eindruck, Unternehmen wissen zu wenig, dass es bereits Standards zu fairem Rekrutieren gibt, und dass es ein Pro-Argument sein sollte, mit fairen Partnern zu arbeiten. Dafür wollen wir vor allem Unternehmen sensibilisieren, die gerade erst loslegen.
Wie hilft die Checkliste Unternehmen, seriöse von unseriösen Dienstleistern zu unterscheiden?
Unternehmen sollten darauf achten, dass Dienstleister faire Bedingungen für Fachkräfte schaffen. Dazu gehören zum Beispiel die Vorbereitung der Fachkräfte auf das Leben und Arbeiten in Deutschland oder dass die Fachkräfte ein Deutschkursangebot bekommen. Außerdem sollten sie nicht mit unzulässigen Bindungsklauseln gebunden werden. Hierzu bietet es sich an, sich vom Dienstleister die Verträge zeigen zu lassen, die er mit den Fachkräften schließt. Ein ganz wichtiger Punkt ist auch das sogenannte „Employer-Pays“-Prinzip, also dass Vermittlungskosten immer vom Unternehmen getragen werden. Wenn Unternehmen mit Dienstleistern arbeiten, die auch Pflegekräfte vermitteln, lohnt es sich, mal zu schauen, ob der Dienstleister das Gütezeichen Faire Anwerbung Pflege Deutschland hat. Denn in der Pflege gibt es bereits ein Gütesiegel für Vermittler.
Gibt es typische „rote Flaggen“, auf die man achten sollte?
Unternehmen sollten stutzig werden bei sehr kostengünstigen Angeboten. Die könnten ein Hinweis darauf sein, dass Kosten auf Fachkräfte verlagert werden, was wiederum nicht für die Seriosität des Vermittlers spricht. An der Stelle kann man auch ganz klar sagen, dass dies auch ein großes Risiko für den Arbeitgeber ist. Fachkräfte, die nicht gut vorbereitet wurden auf die Arbeitsrealität in Deutschland, sind möglicherweise schnell enttäuscht und bleiben nicht lange. Um dem entgegenzuwirken, haben wir in der Checkliste auch ein paar Tipps zusammengestellt, wie Arbeitgeber ihre internationalen Mitarbeitenden bei der Integration unterstützen können.
Welche Rolle spielen Transparenz und faire Arbeitsbedingungen im Rekrutierungsprozess?
Fachkräfte sollten unbedingt darauf vorbereitet werden, was sie in Deutschland erwartet. Das fängt bei unterschiedlichen Arbeitskulturen an und endet beim Wetter. Als Arbeitgeber sollten Unternehmen von Anfang an so transparent wie möglich agieren. Dazu gehört es zum Beispiel auch, zu erklären, wie hoch der Unterschied zwischen Brutto- und Nettogehalt ist. Damit die Fachkräfte nicht mit falschen Vorstellungen im Unternehmen anfangen und die Enttäuschung dann groß ist. Zu fairen Arbeitsbedingungen gehört es im Übrigen auch, dass internationale Fachkräfte keine billigen Arbeitskräfte sind. An der Stelle kommt die Bundesagentur für Arbeit (BA) ins Spiel, die prüft, ob das Gehalt branchen- und ortsüblich ist. Sollte dies nicht der Fall sein, erteilt die BA keine Arbeitsmarktzulassung für die Fachkraft. Mal ganz abgesehen davon, fühlt sich eine ausländische Fachkraft möglicherweise nicht sehr wohl in einem Betrieb, in dem einheimische Mitarbeitende mehr verdienen als sie selbst. Faire Arbeitsbedingungen fördern auch die Mitarbeiterbindung.
Welche Rahmenbedingungen sollten Unternehmen kennen, wenn sie Fachkräfte im Ausland rekrutieren?
Neben den Standards zum fairen Rekrutieren sollten Unternehmen wissen, dass es bis zur Einreise einer Fachkraft mehrere Monate dauern kann. Vielen Unternehmen sind solide Deutschkenntnisse (B1) ab dem ersten Arbeitstag wichtig. Das kann im Falle einer Fachkraft, die nach der Einstellungszusage mit dem Deutschlernen bei null anfängt, schon mal eine Wartezeit von bis zu einem Jahr bis zu ihrem Eintreffen im Betrieb bedeuten. Steht vor der Ausreise hingegen nur noch das Visumverfahren an, sind nach unseren Erfahrungswerten ca. sechs bis acht Wochen zu veranschlagen. Wichtig für ein zügiges Visumverfahren ist, dass die Fachkraft alle nötigen Dokumente bei der zuständigen deutschen Auslandsvertretung einreicht, damit keine Zeit durch Nachforderungen verloren geht. Auch gut zu wissen: nicht jeder ausländische Berufsabschluss wird als komplett gleichwertig zur deutschen Ausbildung anerkannt. Manche ausländischen Fachkräfte erhalten im Berufsanerkennungsverfahren nur eine teilweise Anerkennung – und in diesem Fall muss nach der Einreise zunächst noch eine sogenannte Anpassungsqualifizierung gemacht werden. Je nach den festgestellten Unterschieden findet diese innerbetrieblich oder bei externen Bildungsstätten statt. Anschließend kann aber als vollanerkannte Fachkraft gestartet werden.
Welche Tipps haben Sie aus der Projektpraxis? Was hilft bei der Integration und langfristigen Mitarbeiterbindung?
Manche Unternehmen eröffnen zum Beispiel niedrigschwellig WhatsApp-Gruppen für die neuen Kollegen und Kolleginnen, solange diese noch im Ausland sind und schicken immer mal wieder Bilder aus der Firma oder auch vom (schlechten) Wetter. Auf diese Weise startet der Aufbau von Vertrauen bereits vor der Ausreise. Auch mit einer Willkommensmappe mit wichtigen Infos, einem Rundgang am ersten Arbeitstag durch den Betrieb oder einem persönlichen Mentor aus der Belegschaft erleichtern Unternehmen das Ankommen der ausländischen Fachkraft. Für eine langfristige Bindung ist entscheidend, wie offen die Belegschaft für Menschen aus anderen Teilen der Welt ist, die am Anfang eventuell noch nicht so gut Deutsch sprechen. Hier lohnt sich eine frühzeitige Einbindung der Kolleginnen und Kollegen, zum Beispiel in Form von interkulturellen Trainings.
Wie wird sich die Rekrutierung internationaler Fachkräfte in den nächsten Jahren entwickeln?
Aktuell gibt es in vielen Branchen noch eine gewisse Zurückhaltung beim Thema Auslandsrekrutierung. Das ist nach unserem Eindruck jedoch konjunkturbedingt. In dem Maße, wie die Generation der Babyboomer nach und nach in den Ruhestand gehen wird, werden auch die Personalbedarfe weiter steigen. Und wenn der heimische Bewerbermarkt leergefegt ist, werden viele Unternehmen bei der Suche nach neuen Mitarbeitenden den Blick dann auch ins Ausland werfen. Die zunehmende Digitalisierung von Verwaltungsprozessen und die Ausweitung von Kümmerer-Strukturen vor Ort könnten ebenfalls dazu beitragen, dass mehr und mehr Unternehmen Mut fassen und sagen: unseren nächsten Mechatroniker, unsere nächste Köchin finden wir in Brasilien!
Welche Unterstützung können Unternehmen von Institutionen wie Goethe-Institut, „Make it in Germany“ und IHK/Welcome Center erwarten?
Die genannten Akteure bieten allesamt Unterstützung und Beratung bei Auslandsrekrutierung an. An Goethe-Instituten in aller Welt können Fachkräfte vor der Einreise Deutschkurse und Vorintegrationsseminare besuchen. „Make it in Germany“ ist ein Informations- und Serviceportal der deutschen Bundesregierung, auf dem Unternehmen zum Beispiel in einem „Quick-Check“ herausfinden können, welche rechtlichen Wege es gibt, um Fachkräfte aus dem Ausland einzustellen. Bereits über 70 Welcome Center in Deutschland gibt es zum Teil in IHKs, zum Teil in anderer Trägerschaft – aber in jedem Falle beraten sie zu allen Aspekten rund um Fachkräfteeinwanderung und Auslandsrekrutierung, vom Aufenthaltstitel bis hin zur Wohnungssuche.
Was würden Sie einem mittelständischen Betrieb raten, der erstmals internationale Fachkräfte einstellen möchte?
Für Neulinge lohnt sich zum Beispiel ein Blick auf di Webseite der örtlichen IHK: viele IHKs bieten mittlerweile Unterstützung an, sei es im Rahmen von deutschlandweiten Projekten wie „Hand in Hand for International Talents“, sei es mit eigenen Rekrutierungsvorhaben. Hat man bereits eine Fachkraft im Ausland gefunden, ist es wichtig, die Belegschaft frühzeitig darüber zu informieren, dass da bald ein Neuer oder eine Neue kommt mit eventuell noch nicht ganz so flüssigem Deutsch und anderen kulturellen Gepflogenheiten. Und manchmal kann es am Anfang auch knirschen, wenn ganz unterschiedliche (Arbeits-)Kulturen unvorbereitet aufeinandertreffen, das ist ganz normal. Zum Beispiel ist der Kontext in Indien oft hierarchischer, sodass viele Menschen es weniger gewohnt sind, selbständig Entscheidungen im Arbeitsalltag zu treffen und mehr auf Arbeitsanweisungen von oben warten. Über solche Unterschiede von Anfang an und wertschätzend im Gespräch zu bleiben ist ein Erfolgsfaktor, damit das nachhaltige Ankommen im gelingt.
Interview: Martina Bachmann