Die Synagoge von Binswangen
Wer durch den Ort Binswangen spaziert, findet Vieles, was an die ehemaligen jüdischen Bürger des Dorfes erinnert: Die säkularisierte Synagoge und das renovierte Baldaufhaus stehen für die besondere Erinnerungskultur des Ortes, eine künstlerisch gestaltete Bronzesäule erzählt Stationen die Geschichte, Tafeln und Namen erinnern an Zerstörung und Deportation. Es gab eine Mikwe, also ein jüdisches Ritualbad, ein Kellerquellenbad in einem Wohnhaus, das heute abgerissen ist. In der Nähe des Dorfes befindet sich der jüdische Friedhof, auf dem nicht mehr beerdigt wird.
Zur Mitarbeit: Auf dem Spaziergang durch das Dorf und den Friedhof halten die Schüler dreiminütige Kurzreferate: Klärung zum Beispiel der Begriffe Synagoge, Davidstern, Tora, Reichspogromnacht, Deportationen aus Binswangen, Erinnerungskultur. Nach dem Besuch gestalten die Schüler einen digitalen Flyer.
Zusammen leben. Die jüdische Synagoge (im Vordergrund) und die katholische Kirche St. Michael (im Hintergrund)
Die Binswanger Synagoge. Die Frauenempore gewährt in orthodoxen Synagogen den Frauen einen eigenen Raum zum Gebet.
Im Zeichen des Davidsterns. Der Stern mit den beiden verwobenen Dreiecken über dem Eingang zur Synagoge symbolisiert die Verbundenheit mit Gott.
Copyright: Erich Kasberger
Copyright: Erich Kasberger
Zwischen Duldung und Vertreibung. Eine Bronzesäule hinter der Synagoge erinnert an das Schicksal der Binswanger Juden.
Fanal Reichspogromnacht. In der Nacht vom 9. zum 10. November zerstörte die SA reichsweit jüdische Synagogen.
Chancenwanderung. Lazarus Häutemann stieg vom Binswanger Religionslehrer zum Bankier in Dillingen und ermöglichte der Familie Baldauf den Nachzug. Privatarchiv Baumann
In zwei Sprachen. Grabstein Lazarus Häutemann auf dem Friedhof von Binswangen.
Ein Friedhof erzählt Geschichte. Anordnung der Grabstein vor der Pogromnacht und nach dem Zweiten Weltkrieg.
Schule in Binswangen
Im 19. Jahrhundert lebten in Binswangen die Religionsgemeinschaften, fast ausschließlich Katholiken und Juden, einvernehmlich miteinander. So gab es 1864 im Ort bei etwas über 1.000 Einwohnern 412 Juden und Jüdinnen, die auch aktiv am Gemeindeleben teilnahmen; sie waren mit bis zu zwei der vier Gemeinderäte in der politischen Gemeinde vertreten. So war Nathan Baldauf Gemeindebevollmächtiger. Sein Schwager Lazarus Häutemann unterrichtete von 1865 bis 1870 als Religionslehrer an der örtlichen jüdischen Religionsschule. Nach deren Auflösung besuchten jüdische Kinder gemeinsam mit den christlichen die Volksschule und blieben auch beim christlichen Religionsunterricht anwesend.
„Entlassungs-Schein“
Zeugnis für die zwölfjährige Sophie Baldauf, einer Schwester Nathan Baldaufs, aus der israelitischen Religionswerktagsschule vom Dezember 1845. Unterzeichnet ist das Zeugnis von dem Rabbiner I. H. Gunzenhauser und dem Lehrer J. Neuburger sowie den katholischen Geistlichen, Pfarrer Franz Joseph Haeusler aus Wertingen und Johann Evangelist Rampp aus Binswangen als Lokalschuldirektor. Sophie Baldauf wanderte 1858 wie mehrere ihrer Geschwister in die USA aus.
Zur Mitarbeit: Welche Charaktereigenschaften werden beurteilt? Auf welche Fächer wird wert gelegt, welche werden im Vergleich zu heute nicht gelehrt? Kläre den Begriff Chancenwanderung am Beispiel von Sophies weiterem Lebensweg.
| Geistegaben | Viele | Religionslehre | Sehr gut |
| Schul Besuch | Sehr fleißig | Biblische und jüdische Geschichten |
Sehr gut |
| Schul Fleiß | Groß | Übersetzen der Bibel | Gut |
| Sittliches Betragen | Sehr gut | Gebete | Sehr gut |
| Current-[deutsche Schreibschrift] Lesen |
Sehr gut | Commentar | --- |
| Schönschreiben | Sehr gut | Gedächtnißübung | Sehr gut |
| Rechtschreiben | Sehr gut | Geograph. v. Palästina | Gut |
| Hebräische Sprache | Gut | Singen | Gut |
Allgemeine Note: Sehr gut
Über das jüdische Leben in Binswangen. Von einem Sohn des Isaac Hirsch Gunzenhauser, 1821 bis 1881 Rabbiner in Binswangen
„Damit haben wir schon angedeutet, was jetzt konstatiert werden soll, daß die Bevölkerung fast ausschließlich gut katholisch und `lutherisch´ nur vom Hörensagen kennt. Die Hebräer, wie der Schwabe die Israeliten zu nennen pflegt, sind sporadisch in voneinander entfernten Gemeinden stark vertreten, und er betrachtet sie nicht im Gegensatze zu seinem feststehenden Glauben, sondern ist sie gewohnt als Handelsleute, als Vermittler in Geschäften und wohl auch bei Heiraten, weil sie jeden Bauern und Söldner (kleinen Grundbesitzer), sogar Gütler in allen Orten und den zahlreichen Einzelhöfen kennen. Sodann sind sie die unvermeidlichen Käufer seines Viehes und aller sonstigen Produkte.“!
Zur Mitarbeit: Weshalb gelang in Schwaben im 19. Jahrhundert das Zusammenleben von Juden und Christen?
„Inzwischen rückt der Zeiger der Uhr immer näher auf sechs, und da der Rabbi mit der breiten Haube (rundes Filzbarett) auf dem Kopfe und dem über dem Rücken hinabwallenden Mäntelchen (beide Kleidungsstücke früher von jedem verheirateten Synagogenbesucher getragen) in Begleitung des lernbegierigen Lehrers, der ihn täglich um diese Zeit besucht, von seiner neben der Synagoge gelegenen Wohnung um die Ecke biegt, beeilt sich der Schames (Synagogendiener) aufzuschließen. Es werden noch einige Worte mit den ehrerbietig Grüßenden gewechselt; sodann tritt man ein, die Pfosten küssend, die Hände am Waschbecken reinigend, etwas Münze in den Opferstock werfend, und verbeugt sich mehrmals bei dem Eingangsgebet: Mah town, Wie schön sind deine Zelte Jakob; deine Wohnungen Israel, und verrichtet die übliche Andacht.
Nach derselben ist im Rabbinatshause Schiur, ein Vortrag aus einem moralischen Erbauungsbuche oder aus dem Ritual mit dem Seelengebet für die Verstorbenen abschließend, nach dessen Beendigung man noch ein wenig zu gemütlichem Geplauder und zur Besprechung der Tagesneuigkeiten beisammen bleibt.“
Nach derselben ist im Rabbinatshause Schiur, ein Vortrag aus einem moralischen Erbauungsbuche oder aus dem Ritual mit dem Seelengebet für die Verstorbenen abschließend, nach dessen Beendigung man noch ein wenig zu gemütlichem Geplauder und zur Besprechung der Tagesneuigkeiten beisammen bleibt.“
Zur Mitarbeit: Beschreibe die jüdischen Rituale, also die religiösen Handlungen, und gib ihnen eine Bedeutung. Kläre die Begriffe Judentum, Synagoge, Davidstern, Tora, Mikwe, jüdische Feiertage. Wie veränderten die Reichspogromnacht und die Deportationen der NS-Zeit das jüdische Leben in Binswangen? Beziehe Dich zur Beantwortung auf die Informationen vor der Synagoge, wenn du Binswangen besuchst.
Der Friedhof von Binswangen
Friedhöfe erzählen auch Orts- und Familiengeschichten. Die jüdische Gemeinde von Binswangen legte 1663 einen eigenen Friedhof an. Er befindet sich heute „Am Judenberg“ an der Staatsstraße 2033 zwischen Binswangen und Wertingen, in einem Wäldchen unterhalb von Sportanlagen: Auf dem Friedhof wurden neben den Binswangern wie dem 1900 verstorbenen Nathan Baldauf auch die in Dillingen verstorbenen Juden beigesetzt, so Lazarus Häutemann und sein Schwager Josef Neuburger. Jüdische Gräber sind eigentlich für die Ewigkeit gedacht, doch in der NS-Zeit wurde der Friedhof geschändet, die Grabsteine und die Umfassungsmauer abgeräumt und versteigert. Einzelne Grabsteine überlebten beim Steinmetz Karl Fuhrmann und wurden wieder aufgestellt, wenn auch nicht an den Originalplätzen. Heute ist dies ein Friedhofsdenkmal.
Zur Mitarbeit: Suche Grabsteine mit Dir bekannten Personen. Was fällt Dir an den Grabsteinen Besonderes auf?
Vergleiche die beiden historischen Fotos des Binswanger Friedhofs miteinander. Was ist der Unterschied und welche Erklärungen finden sich?
Wie beurteilst Du im folgenden Gerichtsverfahren das Verhalten des Steinmetzes Karl Fuhrmann und des Binswanger Bürgermeisters Anton Bunk? Kläre in diesem Zusammenhang die Begriffe „Arisierung“ und „Wiedergutmachung“.
Vergleiche die beiden historischen Fotos des Binswanger Friedhofs miteinander. Was ist der Unterschied und welche Erklärungen finden sich?
Wie beurteilst Du im folgenden Gerichtsverfahren das Verhalten des Steinmetzes Karl Fuhrmann und des Binswanger Bürgermeisters Anton Bunk? Kläre in diesem Zusammenhang die Begriffe „Arisierung“ und „Wiedergutmachung“.
Der Fall Karl Fuhrmann
Nach dem Krieg erhob die Israelitische Kultusgemeinde Augsburg und die JRSO München, die Jewish Restitution Successor Organization, die sich für die Rückgabe ehemaligen jüdischen Vermögens einsetzte, vor der Wiedergutmachungskammer des Landgerichts Augsburg Klage gegen den Steinmetz Karl Fuhrmann und die Gemeinde Binswangen. Im Prozess ging es um folgenden Sachverhalt:
Der Steinmetz Fuhrmann hatte 1942 mehrfach Grabsteine vom zerstörten Friedhof geholt und dafür 500 Reichsmark an die Gemeinde bezahlt. Fuhrmann bewahrte die Steine auf seinem Grundstück auf. Vor Gericht gab er an, er habe „Ordnung“ schaffen und nur abwarten wollen. Geschäftsinteressen habe er keine verfolgt.
Der Binswanger Bürgermeister Anton Bunk erklärte vor Gericht, „die teilweise bereits beschädigte Mauer wurde in Lose aufgeteilt und unter den Gemeindebürgern von Binswangen versteigert“.
Der Binswanger Bürgermeister Anton Bunk erklärte vor Gericht, „die teilweise bereits beschädigte Mauer wurde in Lose aufgeteilt und unter den Gemeindebürgern von Binswangen versteigert“.
Das Gericht verpflichtete Fuhrmann zur Herausgabe der 45 Steine und die Gemeinde zum Transport und zur Aufstellung.
Zur Information: Den Schlüssel für die Synagoge und den Friedhof muss man sich vorher vom Verwalter der Synagoge in Binswangen besorgen. Kontakt: „Förderkreis Synagoge e.V.“, Landratsamt Dillingen. Tel.: 09071-51145. Lydia.Edin@landratsamt.Dillingen.de
Zur Information: Den Schlüssel für die Synagoge und den Friedhof muss man sich vorher vom Verwalter der Synagoge in Binswangen besorgen. Kontakt: „Förderkreis Synagoge e.V.“, Landratsamt Dillingen. Tel.: 09071-51145. Lydia.Edin@landratsamt.Dillingen.de
