Chancenwanderung nach Dillingen – Leopold Baldauf

Leopold Baldauf besuchte in Dillingen die Lateinschule und leistete ein Jahr Militärdienst. Danach nahm Lazarus Häutemann seinen Neffen als Prokuristen in die Bank auf.
Die jüdische Pionierfigur in Dillingen war Lina Baldaufs Schwager Lazarus Häutemann; er hatte in Binswangen sechs Jahre mit dem mageren Verdienst von 200 Gulden im Jahr als Religionslehrer gewirkt. Die neuen Chancen in den Gründerjahren nach 1871 spornten ihn an: Er machte in München eine Bankausbildung und eröffnete 1877 zusammen mit seinem Schwager Josef Neuburger (1842-1895) in Dillingen eine Bank. Er konnte sich gut etablieren: Seit 1888 war er Mitglied des Historischen Vereins Dillingen, in dem sich alle wichtigen Dillinger Bürger trafen und wurde 1896 sogar zum Gemeindebevollmächtigten, also zum Stadtrat gewählt.
Lazarus Häutemann ersteigerte 1899 zusammen mit Dillinger und Münchner Investoren die Stiftsgartenbrauerei mit einem Bierausstoß von 4.000 Hektoliter um 270.000 Mark. Als Direktor setzte er seinen Neffen Leopold ein. Damit ebnete er ihm den Weg in die Dillinger Gesellschaft.
Leopold mit Belegschaft
Unternehmer und Kommerzienrat. Leopold Baldauf und die Mitarbeiter der Stiftsgarten-Brauerei, Privatarchiv Prof. Theodor Einstein, New York
Foto 3 Leopold Werbung Leopold B
Werbung belebt das Geschäft. Vier Dillinger Brauereien wetteifern um Kundschaft, Donau-Bote, 1913, Stadtarchiv Dillingen
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Im Zeichen des Roten Kreuzes. Leopold Baldauf (in Zivil) in der Sanitätskolonne, Begleiter und Rettungshelfer bei Kranken und Lazarettzügen, wohl um 1915,
Copyright: Archiv Karl Baumann im Stadtarchiv Dillingen
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Mit Helm und Feuerleiter. Die Freiwillige Feuerwehr Dillingen zum 50. Gründungsfest 1913
Copyright: Museum der Freiwillige Feuerwehr Dillingen
Wohltätigkeit. Taubstumme Kinder mit ihren Geschenken in der Dillinger Bildungs-, Erziehungs- und Versorgungsanstalt J. Regens Wagner, Dillingen 1903
Copyright: Regens-Wagner-Stiftung

Der Brauereidirektor Leopold Baldauf

Boom-Zeiten

Die Boom-Zeiten um die Jahrhundertwende ermutigten zu Investitionen. Außerdem machte der Bau der neuen Kaserne in Dillingen den Brauern Hoffnung auf steigenden Umsatz.

Zwischen Schweinsbraten und Bier

Auf dem Oktoberfest kostete die Maß Bier 26 Pfennig, Schweinsbraten mit Knödeln waren für 40 Pfennig und ein Teller Suppe mit Einlagen für 6 Pfennig zu haben. Auf dem Land bezahlte man 22 Pfennig für die Maß Bier.
Als Maschinist einer Dillinger Brauerei verdiente man 32,50 Mark – im Monat. Dies zeigt die Dimension von Häutemanns Investition mit 270.000 Mark.
Zur Mitarbeit: Wenn man dies auf heutige Verhältnisse überträgt und von einem Preis von 20 Euro für eine Portion Schweinebraten ausgeht, wie hoch wäre dann die Investition Häutemanns anzusetzen?

Unternehmerprojekt Stiftsgarten

Der Stiftsgarten war ein beliebtes Ausflugslokal, lag er doch unmittelbar neben dem Taxispark, den der Dillinger Verschönerungsverein 1893 angelegt hatte, benannt nach dem Inhaber des Dillinger Cheveauleger-Regiments, dem Fürsten Thurn und Taxis. Die Soldaten waren für alle Dillinger Brauereien willkommene Kunden.
Die Actienbrauerei zum Stiftsgarten belieferte und besaß etliche Wirtshäuser, mit landwirtschaftlichen Grundstücken und Wohngebäuden in Binswangen, in Höchstädt „Zur Schwane“ und in Unterliezheim „Zum Lamm“. Leopold Baldauf kaufte in Höchstädt ein Gebäude für eine Malzfabrik.
Zur Mitarbeit: Welches unternehmerische Konzept steht hinter diesen Investitionen?

Liebe auf den allerersten Blick

Martha Steiner (1877-1940) stammte aus der großen internationalen Hopfenhändlersfamilie Steiner in Laupheim/Baden-Würtemberg, die über Geschäftsbeziehungen zu führenden Bierfabrikanten im In- und Ausland sowie bedeutenden Hopfengegenden verfügte. Auch die Laupheimer Familie Steiner steht beispielhaft für die Integration und Emanzipation einer jüdischen Familie in die christliche Umgebung des 19. Jahrhunderts.
„Sie war schon immer ein sensitiver Mensch gewesen, interessiert für Musik und Poesie, eine kultivierte Frau, ein wenig exaltiert, aber sanft und voll innerer Wärme. Martha hätte für hübsch gelten können, hätte nicht der Zwicker das Gesamtbild gestört. Als sie nahezu Dreißig war, ohne ernsthaften Verehrer, wurde die Familie besorgt und ging auf die Suche nach einem passenden Junggesellen. Im Haus der älteren Cousine wurde ein Nachmittagstee arrangiert. Martha wurde einem wohlhabenden Brauereiinhaber mittleren Alters vorgestellt. Er hieß Leopold Baldauf, hatte ein schönes Besitztum mit großem Garten. Die beiden lächelten sich an, unterhielten sich und zogen sich in die Nische des Speisezimmers zurück. Nach kurzer Zeit erschienen sie wieder und verkündeten: ‚Wir sind verliebt, wir sind verlobt.‘ Eine prächtige Hochzeit erfolgte und der Anfang einer glücklichen, wenn auch kinderlosen Ehe.“ (Brigitte Steiner, Frau des Neffen Hans)
Die Jüdin Martha war eine reiche Erbin, sie brachte 50.000 Mark mit in die Ehe und erbte von ihrem Bruder in New York über 260.000 Mark.
Zur Mitarbeit: Was sagt dieser Text über den Wandel eines Liebes- und Ehebildes um 1900 aus, was über Familie und Gesellschaft?

Einbindung in die Gesellschaft

Leopold Baldauf galt als ein äußerst angesehener Mann. Die öffentliche Wertschätzung beruhte auf Vereinstätigkeit und Wohltäterschaft.
Baldauf war in Verbänden wie dem Brauerverband auf Ortsebene, aber auch im Bayerischen und Deutschen Brauerverband tätig. Er war Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr, im Krieger- und Veteranenverein, im Stenographenverein und förderte und bewirtete im Stiftsgarten lokale Vereine, ebenso die Schülerinnen und Lehrerinnen der Taubstummenanstalt. Im Ersten Weltkrieg stellte er den Stiftsgarten als Lazarett zur Verfügung. 1905 erhielt er das Dillinger Bürgerrecht.
Zur Mitarbeit: Begründe, weshalb die Mitgliedschaft in Verbänden und Vereinen eine hohe Integrationskraft besitzt.
In Dillingen gibt es das Museum der örtlichen Feuerwehr, das ihr unbedingt besichtigen müsst. Auch da finden sich Spuren der Baldaufs: Martha Baldauf verfasste zum 50jährigen Bestehen der Freiwilligen Feuerwehr Dillingen einen Festgruß:
Und freudig öffnen wir die Spalten, gern lassen wir ein Bild erstehn´,
und zeigen euch die Lichtgestalten, die hier für uns durchs Feuer gehen.
Information: Anmeldung Feuerwehrmuseum. Tel: 09071-441.
info@feuerwehr-dillingen.de

Wohltäter, Helfer, Patriot

Die beiden Baldaufs waren empathisch und liebevoll. – Martha verteilte alljährlich Wäschekörbe voller Geschenke an Wöchnerinnen und Bedürftige und an die Zöglinge in der Taubstummenanstalt.
Im Ersten Weltkrieg war Leopold in der Sanitätskolonne und für Verwundetentransporte aktiv und stellte den Stiftsgartensaal als Lazarett zur Verfügung. Seine Frau Martha war eng in diese Aktivitäten eingebunden, sie erhielt den Ehrennamen „Engel der Verwundeten“.

Ehrungen

Leopold Baldauf erhielt für seinen Einsatz das „König-Ludwig-Kreuz“ und die „Rote-Kreuz-Medaille“.
Aufgrund seines Engagements für die Versorgung von Verwundeten bekam Leopold im Jahre 1925 auf Vorschlag des katholischen Jugendfürsorgewerks schließlich den Titel eines Kommerzienrats zugesprochen. Nirgends in dem Vorschlag stand, dass er Jude war. Mit dieser Ehrung zählte Leopold Baldauf zur Elite der Bayerischen Wirtschaftsbürger.
Ein Zeichen der Wertschätzung der Dillinger Bürger gegenüber dieser Persönlichkeit war der Tag der Beerdigung des Kommerzienrats im Jahre 1930, an dem sich 150 Trauergäste auf den Weg nach Laupheim machten, um ihm dort die letzte Ehre zu erweisen. Die Zöglinge der Taubstummenanstalt standen entlang der Straße Spalier.
Zur Mitarbeit: Verfasse anlässlich der Beerdigung Leopold Baldaufs eine kurze Würdigung. Der Vorschlag zur Kommerzienrats-Ernennung gibt auch Gelegenheit, nochmals auf das Verhältnis von Christen und Juden einzugehen.
Das könnte in der Rede stehen:
Leopold Baldauf und sein Bruder Emil, der ja bereits vor drei Jahren verstorben ist, waren angesehene Bürger unserer Stadt Dillingen. Wir haben mit ihnen auch besondere Menschen verloren … Zu ihrem Ansehen trug auch ihr wirtschaftlicher Erfolg maßgeblich bei, doch auch ihre Spendenfreudigkeit und der Einsatz für das Gemeinwohl…