Arisierung, Exil, Tod - das Schicksal der Familien Baldauf
„Trinkt kein Judenbier“ - Propaganda der NSDAP
20. Juni 1933, Bekanntmachung in der Zeitung: Martha Baldauf sei aus dem Vorstand der Aktienbrauerei ausgeschieden, der nun „rein arisch“ sei.
„dass die jüdische Brauerei verkauft werden musste“
„Es wird in aller Form geltend gemacht, dass seitens der NSDAP Propaganda gegen die jüdische Brauerei gemacht wurde mit dem Schlagwort ‚Man darf kein Judenbier mehr trinken‘, dass die Aktienbrauerei so mehr und mehr in finanzielle Schwierigkeiten geriet und zuletzt verkauft werden musste an die Herren Haenle, Nusser und Probst, sämtliche Brauereibesitzer in Dillingen.“ (Quelle: Thekla Bergmann, Schwester von Martha Baldauf, nach Kriegsende in ihrem Wiedergutmachungsantrag.)
Die Aktienbrauerei Stiftsgarten ein Arisierungsfall?
Martha Baldauf musste zwar aus dem Vorstand der Aktienbrauerei ausscheiden, aber sie war nach wie vor Hauptaktionärin. Nach Leopold Baldaufs Tod machte die Brauerei wie alle Brauereien infolge der Weltwirtschaftskrise Verluste. Die Erben wollten verkaufen. Die Verhandlungsposition der Vertreter von Martha Baldauf war denkbar schlecht, denn überall gab es bereits Arisierungen, also Notverkäufe jüdischen Besitzes. Wie sollte man verhandeln, wenn man selbst kurz vor der Emigration stand?
Die Käufer Ludwig Probst schilderte den Vorgang so: „Wir drei Dillinger Brauer Haenle, Nusser und ich beschlossen die Aktien aufzukaufen und die Firma zu liquidieren und das Geschäft zu gleichen Teilen aufzuteilen. Durch die bayer. Hypotheken- und Wechselbank München erwarben wir zu gleichen Teilen die Aktien; als Alleinaktionäre beschlossen wir die Auflösung der bisherigen Aktiengesellschaft und verwerteten in gutem Einvernehmen den bisherigen Besitz. Die Kundschaft teilten wir auf, das Braupersonal übernahmen wir zu gleichen Teilen. Das Inventar, die Brauereieinrichtungen und Grundstücke verteilten wir zusammen und gaben nicht Benötigtes an Dritte käuflich ab. Durch die Übernahme von 1/3tel der Stiftsgarten-Kundschaft vergrößerten sich unsere Bierumsätze um etwa 2.000 hl, was für mein Geschäft doch von ziemlicher Bedeutung war.“ (Quelle: Ludwig Probst, Chronik, S. 134)
Insgesamt bezahlten die drei Brauer Haenle-Nusser-Probst an den Beauftragten von Martha Baldauf 282.000 RM bar aus. Ein Großteil dieser Summe wurde in den nächsten Jahren durch die Abgaben für Juden aufgezehrt. Allein die Verkäufe bis 1942 ergaben für die drei Käufer die Summe von 232.000 Mark, alles andere behielten die Brauer. Ein gutes Geschäft.
Arisierung meint u.a. die günstige Aneignung jüdischen Besitzes durch nichtjüdische Käufer nach 1933. Dies wurde zumeist als ordnungsgemäßer Kauf inszeniert. Für die Käufer ergaben sich zumeist erhebliche Gewinne.
Zur Mitarbeit: Handelt es sich Deiner Einschätzung nach um einen Fall von Arisierung? Nach dem Krieg musste diese Frage beantwortet werden, wenn es um Wiedergutmachung ging.
Exil und Verfolgung
Die Familie Baldauf blieb beim jüdischen Glauben. Alle Baldauf-Kinder heirateten jüdische Ehepartner. Das machte es für die nächste Generation zwingend, wegen der Judenverfolgung zu emigrieren.
Judenboykott – der Weg von Gustav Baldauf
Leopolds Bruder Gustav Baldauf zog 1899 von Binswangen nach München, wurde Diplomingenieur und seine Frau betrieb zugleich einen Handel mit Korbwaren. Er hatte mit seiner Frau Margarete zwei Kinder, Annemarie und Günther. 1935 wurden in allen Stadtteilen Münchens Kästen mit dem Naziblatt „Der Stürmer“ aufgestellt, die neben antisemitischen Hasstiraden auch Verzeichnisse der jüdischen Geschäfte des Stadtbezirks sowie der Bewohner auflisteten, die weiterhin jüdische Geschäfte betraten. Am 15. März 1935 starb Gustav Baldauf, möglicherweise auf eigenen Wunsch. 1936 wanderte Annemarie in die USA aus, nach der Reichspogromnacht folgten Margarete und Günter.
An Gustav Baldauf erinnert in München, Seestraße 8, seit 2018 ein Stolperstein.
Exil und Beraubung
Beraubung als „Wirtschaftsbericht“. „Sicherstellung“ jüdischen Vermögens durch die Münchner Gestapo, München 1939, Dokument: Staatsarchiv München
Zur Mitarbeit: Die Münchner Geheime Staatspolizei führte Vermögens- und Auswanderungslisten, hier ein Beispiel von 1939: Weshalb betrieben die Nationalsozialisten die jüdische Auswanderung bis 1941? Welche Länder nahmen Juden aus Deutschland auf? Was folgte dann?
Welche Personen entdeckst Du aus dem schwäbischen Medinat?
Ziehe zur Beantwortung z.B. heran: Netz Jüdische Auswanderung aus Deutschland Statistik und Deportation der jüdischen Bevölkerung aus dem Deutschen Reich
Welche Personen entdeckst Du aus dem schwäbischen Medinat?
Ziehe zur Beantwortung z.B. heran: Netz Jüdische Auswanderung aus Deutschland Statistik und Deportation der jüdischen Bevölkerung aus dem Deutschen Reich
Deportation – Das Schicksal von Kurth Baldauf
Der Tuchhändler Emil Baldauf war 1927 in Würzburg gestorben. Seine Frau Ella verkaufte das Dillinger Anwesen und zog mit den Kindern Kurth, Charlotte und Hans nach Nürnberg. Kurth trat dort der SPD und dem Reichsbanner bei, floh bereits 1933 ins Exil nach Lyon in Frankreich. Hans ging zur Banklehre nach München und emigrierte 1937, Charlotte konnte mit Mutter Ella noch 1940 emigrieren.
Kurth wurde 1942 verhaftet und in verschiedenen Internierungslagern wie Gurs und Drancy, nahe Paris, festgehalten; nahezu 60.000 Juden kamen von da in die Vernichtungslager. Am 14. August 1942 wurde Kurth zusammen mit 1014 anderen, darunter 121 Kinder und Jugendliche, nach Auschwitz deportiert und ermordet.
Verhaftete Juden im Sammellager Drancy, nahe Paris. Kurt Baldauf wurde 1942 von da nach Auschwitz deportiert und ermordet. August 1941
„Die tiefe Traurigkeit ihres Antlitzes“ – Martha Baldauf
Martha musste dableiben. Seit Leopolds Tod war sie „erst gemüts- dann geisteskrank“ und lebte in Rottenmünster in der psychiatrischen Anstalt: „Martha muss etwa Mitte sechzig um diese Zeit gewesen sein. Sie war groß, sehr abgemagert, trug nur Schwarz bis auf die Knöchel herab. Die tiefe Traurigkeit ihres Antlitzes wich nur selten einem Lächeln, das jedoch nie ihre Augen erreichte. Als wir sie zur Begrüßung sanft umarmten, füllten sich ihre Augen mit Tränen.“ (Quelle: Schilderungen von Brigitte Steiner, der Frau des Neffen)
Zweimal entging Martha nur knapp dem Tod: Im Frühjahr 1940 wurden die ersten geisteskranken Patienten im Rahmen der sogenannten T-4-Aktion aus Rottenmünster in eine Tötungsanstalt verlegt. Im Oktober 1940 deportierten die Nationalsozialisten fast die gesamte jüdisch-deutschen Bevölkerung aus Baden, der bayerischen Pfalz und der Saarpfalz ins Camp de Gurs nördlich der Pyrenäen. Die meisten dieser Häftlinge transportierte man dann im Oktober 1942 ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Martha Baldauf entging im letzten Moment dieser Deportation.
Noch knapp einen Monat lebte sie im Israelitischen Krankenhaus Mannheim. Sie starb dort am 13. November 1940 angeblich an Demenz und Herzschwäche
2011 wurde zur Erinnerung an Martha Baldauf an der Stelle des Israelitischen Krankenhauses ein Stolperstein verlegt.
Nachkriegszeit und Erinnerung
Erinnerungskultur. Martha Baldauf starb unter nicht näher geklärten Umständen 1940 im jüdischen Krankenhaus in Mannheim.
Nach dem Krieg standen die Brauereien der drei Dillinger Brauer unter treuhänderischer Verwaltung, da alle NSDAP-Mitglieder gewesen waren. In einem Nachkriegsverfahren klagten die Neffen und Nichten von Martha Baldauf auf Rückerstattung, auch für entzogenes Wertpapiervermögen. Das weist letztlich klar darauf hin, dass der Verkauf der Stiftsbrauerei unter Wert geschah.
Es gibt nur wenige Zeugnisse, die an die jüdischen Unternehmerfamilien Baldauf und ihre Nachkommen erinnern. Für Martha und Gustav Baldauf wurden Stolpersteine gesetzt, nicht aber für Kurth Baldauf. In Dillingen benannte der Stadtrat eine Straße nach dem jüdischen Unternehmer und Kommerzienrat Leopold Baldauf. Hans, Harold H. Baldauf, wie er sich nannte, der Sohn von Emil und Ella Baldauf, besuchte mehrfach seine Geburtsstadt Dillingen. Doch Zeitzeugen gibt es kaum noch.
Wer die Geschichte der Familie Baldauf kennt, findet leichter die Spuren im Archiv, in Binswangen und in Dillingen.
Unser Film über die jüdische Familie Baldauf soll die Erinnerungsarbeit begleiten.
