Positionspapier der IHK Schleswig-Holstein

Integration geflüchteter Menschen in Arbeit und Ausbildung

Allein im Jahr 2015 suchten über 35.000 Menschen Zuflucht in Schleswig-Holstein. An vielen Stellen haben sich die Schleswig-Holsteiner engagiert, um die großen Herausforderungen zu meistern. Im Mai desselben Jahres wurde der Flüchtlingspakt „Willkommen in Schleswig-Holstein – Integration vom ersten Tag an“ besiegelt. Paktpartner sind die Ausländerbehörden, die Berufsbildenden Schulen (BBS) und die regionalen Berufsbildungszentren (RBZ), die Agenturen für Arbeit sowie die Industrie- und Handelskammern und die Handwerkskammern. Sie haben Ziele und Maßnahmen vereinbart, um die gelungene Integration Geflüchteter in Ausbildung und den Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
Es ist das gemeinsame Interesse der Betroffenen, der Wirtschaft und des Landes, Asylsuchenden und Geflüchteten mit und ohne verfestigten Aufenthalt, die noch nicht über eine anerkannte abgeschlossene Berufsausbildung verfügen, den Weg in Ausbildung und Beruf zu erleichtern. Die Industrie- und Handelskammern und die Handwerkskammern unterstützen Arbeitgeber und Arbeitsmarktakteure dabei, Geflüchteten einen Einstieg in Praktika zur Berufsorientierung, Einstiegsqualifizierungen und Ausbildung sowie Beschäftigung zu ermöglichen.
Mit den Erfahrungen von Unternehmen, Willkommenslotsen und Flüchtlingskoordinatoren der Kammern können wir als IHK Schleswig-Holstein die Voraussetzungen gelungener Integration in der Praxis zu einem Positionspapier zusammenfassen und als Forderungen an die Landespolitik formulieren:

Planungssicherheit ermöglichen 

Den Erlass zur praktischen Umsetzung der Anspruchsduldung zu Ausbildungszwecken vom Ministerium für Inneres und Bundesangelegenheiten vom 14. Februar 2017 begrüßen wir grundsätzlich. Für die Einstiegsqualifizierung bleibt, dass ein Ermessen im Einzelfall einer Planungssicherheit entgegen steht. Bezüglich der Dublin-Fälle fehlt eine Regelung für jene Fälle, in denen eine Rückführung nicht innerhalb von sechs Monaten umgesetzt werden konnte und die Menschen sich hier bereits integriert haben. Planungssicherheit erreichen wir nur über eine konsequente, einheitliche und transparente Umsetzung der so genannten 3+2-Regel (Anspruchsduldung zu Ausbildungszwecken mit anschließender Arbeitserlaubnis nach § 60a Abs. 2 S. 4 AufenthG).
Häufig bringen Flüchtlinge nicht die nötigen Voraussetzungen für eine Ausbildung mit. Daher werden sie oftmals durch eine betriebliche Einstiegsqualifizierung (EQ) an eine Ausbildung herangeführt. Zielgruppen dafür sind vor allem Bewerber, die bis zum 30. September eines Jahres keine Ausbildungsstelle finden sowie junge Menschen, die noch nicht in vollem Umfang ausbildungsreif sind. EQs haben sich bereits in der Praxis bewährt. Allerdings ist für eine EQ derzeit kein gesicherter Aufenthalt vorgesehen. Dies muss sich ändern. Wir fordern die Umsetzung der Anspruchsduldung zu Ausbildungszwecken auch während der Einstiegsqualifizierung.
Ausbildungsverträge werden in Deutschland in der Regel schon sechs bis zwölf Monate vor Beginn der Ausbildung geschlossen. Daher sollte die Ausbildungsduldung bereits zu diesem Zeitpunkt erteilt werden, um zu vermeiden, dass bei Vertragsabschluss und mitunter bis kurz vor Ausbildungsbeginn die Bleibeperspektive nicht geklärt ist. Unternehmer und Auszubildende brauchen hier Sicherheit.
Die Anspruchsduldung zu Ausbildungszwecken sollte auch für Asylsuchende mit anhängigem Dublin-Verfahren gelten. Der Ausschluss einer Personengruppe, die oft mehrere Jahre Aufenthalt in Deutschland hat, erschließt sich integrationspolitisch nicht. Um diese angehenden Fachkräfte in Deutschland zu halten, sollte Deutschland das Asylverfahren übernehmen.
Analog zur Anspruchsduldung ist ein Bleiberecht für Geflüchtete in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung sinnvoll. Arbeitgeber wollen ihre Fachkräfte für einen verlässlichen Zeitraum einstellen und halten.

Unternehmen gewinnen, nicht abschrecken

Wenn ein Geduldeter eine Ausbildung begonnen hat, diese aber „nicht betrieben oder abgebrochen“ wird, ist der Ausbildungsbetrieb laut § 60a Abs. 2 S. 7 AufenthG verpflichtet, dies der zuständigen Ausländerbehörde in der Regel innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Erfolgt die Mitteilung nicht richtig, nicht vollständig, nicht in vorgeschriebener Weise oder nicht rechtzeitig, droht ein Bußgeld von bis zu 30.000 Euro. Bereits die Androhung stellt ein abschreckendes Signal für einen engagierten Ausbildungsbetrieb dar. Eine Zahlung in dieser Größenordnung kann gerade für kleinere Betriebe eine massive Gefährdung bedeuten. Eine Umkehr der Botschaft ist notwendig: Nicht die Bereitschaft von Betrieben, Geflüchtete einzustellen und auszubilden sollte verringert werden, sondern das Abbruchrisiko dieser Auszubildenden.

Mobilität ermöglichen

Es muss möglich sein, ein Ausbildungs- oder Arbeitsplatzangebot auch dann anzunehmen, wenn dafür ein Umzug notwendig wird. Eine rechtliche Grundlage, die dies und die Umverteilung Geflüchteter innerhalb Schleswig-Holsteins für einen Arbeits-, Ausbildungs- oder Studienplatz gestattet, ist notwendig. Mobilität erhöht die Chancen auf Ausbildung und Arbeit.

Sprachkurse und Ausbildung/Beruf koordinieren

Die ersten Erfahrungen mit Geflüchteten in EQ oder Ausbildung zeigen: Um das Abbruchrisiko zu verringern, berufsbezogene Sprache erlernen und den Berufsabschluss erreichen zu können, müssen sprachliche und berufliche Integration aufeinander abgestimmt sein. 
Gleiches gilt für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Eine flächendeckende Umsetzung der Deutschsprachförderverordnung des BAMF und BMAS in Schleswig-Holstein mit dem Ziel, Geflüchteten in Beruf und Ausbildung Deutschunterricht zu ermöglichen, ist dringend erforderlich – und zwar unabhängig vom Herkunftsland. Wenn die drittgrößte Flüchtlingsgruppe in Schleswig-Holstein aus
Afghanen besteht, ist es nicht zielführend, für die berufliche Integration jene von der Deutschförderung auszuschließen.
Immer wichtiger wird es, Ressourcen für die Einführung von EQ-Klassen für Deutschlernende bereitzustellen. In dem Maße, in dem die Vermittlung in die Einstiegsqualifizierung gelingt, wird der Bedarf steigen. Dazu zählt auch, dass alle Auszubildenden – unabhängig vom Aufenthaltsstatus, Herkunftsland und ab Beginn der Ausbildung (ohne Mindestvoraufenthaltszeiten) – Zugang zum gesamten Spektrum
der Ausbildungsförderung und Berufsausbildungsbeihilfe erhalten.

Ausbildungsreife verbessern 

Damit mehr Geflüchtete eine Ausbildungsperspektive in Deutschland bekommen, ist es sinnvoll, den Zugang zu den Beruflichen Schulen auch volljährigen Geflüchteten (siehe Bayerisches Modell) zu ermöglichen. Somit könnte auch dann eine Berufliche Schule besucht und abgeschlossen werden, wenn keine Schulpflicht mehr besteht.
DaZ (Deutsch als Zweitsprache)-Klassen an den Beruflichen Schulen (Berufsintegrationsjahr) müssen bis zum Sprachziel B1 führen. Derzeit zielt der Unterricht – im Gegensatz zu den Integrationskursen für Erwachsene – auf das Sprachziel A2 ab. Das reicht für die Aufnahme in eine Ausbildung nicht aus.
Während der Ausbildung muss eine Sprachförderung mit dem Ziel B2 erfolgen, um das Bestehen der Abschlussprüfung nicht zu gefährden.
Veröffentlicht am 01. März 2017