Forderungen der IHK Nord

Fit For 55 - Ausweitung des EU-ETS auf den Seeverkehr

Zum 14. Juli 2021 hat die EU-Kommission das „Fit for 55 Paket“ vorgelegt, welches neben Vorschlägen zur Überarbeitung des EU-ETS Vorschläge zur Ausweitung des EU-ETS auf den Seeverkehr enthält. Zu den konkreten Vorschlägen der EU-Kommission, dargelegt in Artikel 3, Artikel 3g bis 3ge sowie Artikel 16 des Vorschlags zur Überarbeitung des EU-ETS, bezieht die IHK Nord Stellung unter Bezugnahme auf das IHK Nord Positionspapier vom 20. November 2020.

Rückfluss der Einnahmen in die maritime Wirtschaft sichern 

Eine der Hauptforderungen der IHK Nord hinsichtlich der Ausweitung des EU-ETS auf den Seeverkehr ist der Rückfluss der Einnahmen aus der Ausweitung des ETS auf den Seeverkehr in die maritime Wirtschaft, insbesondere durch einen Fonds zur Dekarbonisierung im Seeverkehr. Die norddeutsche Wirtschaft bekennt sich zu den Zielen der EU-Kommission zur Emissionsreduktion im Seeverkehr und erkennt die Notwendigkeit der Dekarbonisierung grundsätzlich an. Doch nur durch einen Rückfluss in die maritime Wirtschaft kann die geplante Ausweitung als Innovations- und Forschungstreiber wirken, gerade im Hinblick auf alternative Treibstoffe. Zusätzlich würden die finanziellen Mittel in nicht unerheblichem Umfang den Werften und der Schiffbauindustrie insgesamt zufließen, die durch die internationale Dumping-Konkurrenz aus Asien und durch die Corona-Krise vor erheblichen Existenzproblemen steht. Eine zielgerichtete Reinvestition in die maritime Wirtschaft würde zur Sicherung von Arbeitsplätzen und zur zukunftsfähigen Aufstellung der Branche beitragen.
Anders als für die ebenfalls neu einbezogenen Sektoren Straßenverkehr und Gebäude, für die ein „separater“ ETS für Gebäude und Verkehr geschaffen werden soll, wird der Seeverkehr nach den Plänen der EU-Kommission in den bereits bestehenden EU-ETS integriert und somit kein separater EU-ETS für den Seeverkehr geschaffen. Dies hat Konsequenzen für die Nutzung der Einnahmen aus der Ausweitung des EU-ETS, da der Seeverkehr damit den allgemeinen Regeln des EU-ETS unterworfen wird. Nach den aktuellen Plänen der EU-Kommission für die anstehenden EU-ETS Phasen werden die Einnahmen teilweise in die Mitgliedsstaaten zurückfließen, teilweise in Fonds gespeist werden. Diese Fonds sind nach dem Entwurf der EU-Kommission zwar auch dem Klima gewidmet und sollen grüne Investitionen fördern, allerdings ist ein Zuschnitt auf den Seeverkehr und seine speziellen Förderbedürfnisse nicht erkennbar. Es ist zu befürchten, dass die Einnahmen nicht zurückfließen in die maritime Wirtschaft und der Effekt als Innovations- und Forschungstreiber ausbleibt. Einer Forderung nach einem Fonds zur Dekarbonisierung im Seeverkehr haben verschiedene Stakeholder der maritimen Wirtschaft entsprochen. Der europäische Reedereiverband ECSA setzte sich für die Schaffung eines speziellen Fonds ein, dessen Mittel in der Schifffahrtsbranche genutzt werden könnten. Auch der Vorsitzende des ECSA Martin Dorsman, sprach sich für eine entsprechende Kostenverteilung aus. Das Europäische Parlament hatte sich im Vorfeld durch die Berichterstatterin im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) des Europäischen Parlaments, Jutta Paulus, ebenfalls für einen Fonds zur Dekarbonisierung im Seeverkehr ausgesprochen. 
Die IHK Nord fordert die EU-Kommission erneut auf, sich für einen Rückfluss der Einnahmen durch eine Ausweitung des EU-ETS auf den Seeverkehr in die maritime Wirtschaft durch einen Fonds zur Dekarbonisierung im Seeverkehr einzusetzen. Nur wenn ein Rückfluss in die maritime Wirtschaft sichergestellt ist, können Forschung und Innovation alternative Treibstoffe marktfähig machen und eine maritime Verkehrswende unter Reduzierung der CO₂-Emissionen realisiert werden.

Internationale Prozesse nicht blockieren – Konflikte mit der IMO vermeiden 

Weiteres Augenmerk der IHK Nord ist die Harmonisierung mit internationalen Maßnahmen auf IMO Ebene sowie die Vermeidung der Blockade internationaler Prozesse zur Reduktion von Emissionen. Wettbewerbsnachteile für europäische Häfen und Reedereien durch ein Tauziehen zwischen der EU und der IMO sind zu vermeiden und Doppelbelastungen abzuwehren.
Die IMO plant, parallel zum europäischen Klimaschutzprogramm in den kommenden zwei bis drei Jahren eine eigene und künftig global geltende Abgabe auf die Emissionen von Treibhausgasen einzuführen. Wie hoch diese sein wird und wie das Geld verwendet werden soll, ist noch offen. Aus Sicht der norddeutschen Wirtschaft müssen beide Mechanismen miteinander kompatibel sein und dürfen nicht zu Doppelbelastungen für die betroffenen Unternehmen und damit zu einem Standortnachteil führen. Im Vorfeld der Veröffentlichung des Paktes hat es bereits kritische Stimmen gegeben. Japan und Südkorea äußerten Bedenken, dass es zu Handelsspannungen und Carbon Leakage kommen könnte, da Schiffe gezielt EU-Häfen vermeiden, und längere Strecken in Kauf nehmen könnten. Auch das World Shipping Council teilte ähnliche Bedenken. Die Befürchtungen eines internationalen Konflikts mit der IMO sind nicht von der Hand zu weisen und müssen von europäischer Seite adressiert werden. Positiv ist daher zu bewerten, dass die EU-Kommission im Rahmen ihres Vorschlags diesen Konflikt sieht und ihm vorbeugen will, indem sie die Entwicklungen im Rahmen der IMO, insbesondere die Verabschiedung eines Marktmechanismus, bewerten und bei Bedarf Änderungen der Richtlinie vorschlagen will.
Die IHK Nord fordert die EU-Kommission auf, aktiv auf eine Harmonisierung mit den zukünftigen Maßnahmen der IMO hinzuwirken, um Doppelbelastungen und Bürokratie für europäische Häfen und Reedereien abzuwenden und internationale Prozesse zur Emissionsreduktion nicht zu blockieren. Die Harmonisierung sollte vor Beginn der EU-Regelungen abgeschlossen sein.

Anwendbarkeit im internationalen Seeverkehr abschließend regeln

Die IHK Nord hat sich dafür eingesetzt, dass bereits aus dem Luftverkehr bekannte Konfliktlinien bei der Ausweitung auf den Seeverkehr adressiert und wenn möglich vermieden werden. Hier geht es um die Frage der Anwendbarkeit bei Fahrten außerhalb der EU. Ziel muss es sein, Carbon Leakage und die Umgehung europäischer Häfen zu minimieren. Mit dem Paket schlägt die EU-Kommission vor, Emissionen von Schiffen auf Fahrten innerhalb der EU, die einen EU Hafen anlaufen (intra-EU) vollständig zu erfassen und 50 Prozent der Emissionen aus Fahrten zu erfassen, die außerhalb der EU beginnen oder enden (extra-EU) sowie Emissionen von Schiffen an Liegeplätzen in EU Häfen. Nach Angaben der EU-Kommission könnten so etwa zwei Drittel der Emissionen aus dem Seeverkehr (circa 90 Millionen Tonnen CO₂) abgedeckt werden. Ein Blick auf den Luftverkehr, für den es ursprünglich einen ähnlichen Vorschlag gab, lässt jedoch erkennen, dass sich ein massiver Konflikt anbahnt, was die Anwendung des ETS auf Fahrten außerhalb der EU betrifft. Dieser Punkt spitzt sich vor dem Hintergrund des Brexits weiter zu, da Fahrten zu Häfen innerhalb des Vereinigten Königreichs in Zukunft nicht mehr als Fahrten innerhalb der EU gewertet werden.
Die IHK Nord fordert die EU-Kommission auf, die Anwendbarkeit der Ausweitung des EU-ETS auf den Seeverkehr für Fahrten außerhalb der EU abschließend zu regeln, um vor dem Hintergrund des Brexits die Benachteiligung europäischer Häfen sowie Carbon Leakage zu vermeiden.

Vorlaufzeit sichern – Übergangsphase bis mindestens 2026

Die geplante Ausweitung des EU-ETS auf den Seeverkehr ist für die Branche mit einer massiven Umstellung und Vorbereitung verbunden, die eine ausreichende Vorlaufzeit benötigt. Investitionen werden gerade in der Anlaufzeit gehemmt, da Mehrbelastungen entstehen. Hierbei muss die lange Lebensdauer von Schiffen von durchschnittlich 20 bis 30 Jahren berücksichtigt werden. Die IHK Nord begrüßt es daher, dass der Seeverkehr erst ab 2023 einbezogen wird und dass eine Übergangsphase bis 2026 von der EU-Kommission vorgesehen ist, in der Zertifikate nur für einen Teil der Emissionen abgeben werden müssen. Nach den aktuellen Plänen müssen erst nach drei Jahren - das bedeutet bis zum Jahr 2026 - 100 Prozent erreicht werden. Hierbei müssen Emissionszertifikat für jede Tonne gemeldeter CO₂-Emissionen gekauft und abgegeben werden. Zusätzlich zu den S4 Sanktionsvorschriften des EU-ETS kann Schiffen der Zugang zu EU-Häfen verweigert werden, die die erforderlichen Zertifikate für zwei oder mehr aufeinanderfolgende Jahre nicht abgegeben haben.
An der Übergangsphase sollte auch vor dem Hintergrund der Einbeziehung in das bestehende EU-ETS sollte unbedingt festgehalten werden, da eine sofortige vollumfängliche Einbeziehung des Seeverkehrs das gesamte EU-ETS, auch in der Luftfahrt, ins Ungleichgewicht bringen könnte.
Die IHK Nord fordert die EU-Kommission auf, an dem Starttermin zum Jahr 2023 sowie der Übergangsphase bis mindestens 2026 festzuhalten, um der maritimen Branche genügend Vorlaufzeit zu geben. Die EU-Kommission soll dem Seeverkehr konkrete Unterstützungsangebote unterbreiten, damit die Branche zum Starttermin gut aufgestellt ist. Hierzu gehört, dass die EU-Kommission die Übergangsphase in den Jahren 2023, 2024 sowie 2025 flexibel und angelehnt an die Bedürfnisse der maritimen Branche ausgestaltet und gemessen an den Erfolgen des Seeverkehrs zur Emissionsreduktion zielgerichtet Fördermittel zur Verfügung stellt. 

Daten der MRV-Verordnung effektiv nutzen 

Die norddeutsche Wirtschaft setzt sich für die Nutzung bestehender Datengrundlagen zu Schifffahrtsemissionen ein. Insbesondere für die aus der MRV Verordnung, nach welcher bereits Daten zur Emission im sogenannten Emissionsbericht erhoben werden. Zu begrüßen ist, dass auch die EU-Kommission die entsprechenden Daten der MRV Verordnung nutzen will. Vor dem Hintergrund, dass die EU-Kommission den Seeverkehr in den regulären EU-ETS einbeziehen will, gewinnt diese Forderung an Bedeutung, da eine korrekte Berechnung der von der Seefahrt zu erwartenden Emissionen einen direkten Einfluss hat auf die im Umlauf befindlichen Zertifikate im gesamten EU-ETS (Total Number of Allowances in Circulation – TNAC) und eine solide Datengrundlage unabkömmlich ist.
Die IHK Nord fordert die EU-Kommission dazu auf, die Daten der MRV Verordnung effektiv zu nutzen. Dies bedeutet zum einen, dass die Daten aus den Emissionsberichten genutzt werden, um die zu erwartenden Emissionen des Seeverkehrs realistisch zu bewerten. Zum anderen kann eine doppelte Bürokratiebelastung vermieden werden.

Ausgleich zwischen Schiffseigner und Schiffsnutzer

Die Ausweitung des ETS auf den Seeverkehr bringt die Frage mit sich, durch wen die Zertifikate erworben werden müssen. Der aktuelle Vorschlag der EU-Kommission sieht die „shipping company“ in der Pflicht. Im Bereich des Seeverkehrs ist es jedoch so, dass Schiffseigner und Schiffsnutzer oftmals nicht identisch sind. Sollte die Verpflichtung der Kostentragung den Schiffseignern auferlegt werden, besteht ein Anreiz zur Umrüstung auf Schiffe mit geringen Emissionswerten. Andererseits muss beachtet werden, dass die Schiffseigner oft nicht den Kurs bestimmen bzw. den Treibstoff kaufen, insofern bestimmt der Nutzer des Schiffes durch sein Verhalten maßgeblich über die schließlich entstehenden Emissionen mit. Es muss zwischen beiden Interessenträgern ein gerechter Ausgleich geschaffen werden. Dieser kann, muss aber nicht durch die EU-Kommission geschaffen werden. Alternativ wären interne Vereinbarungen durch Schiffseigner und Schiffsnutzer möglich.
Die IHK Nord fordert die EU-Kommission auf, die Belastungen der Ausweitung des EU-ETS auf den Seeverkehr verursachergerecht auszugestalten bzw. auf einen sachgerechten Ausgleich zwischen Schiffseigener und Schiffsnutzer hinzuwirken.

Zusammenfassung

Die IHK Nord bewertet die konkrete Ausgestaltung der Ausweitung des EU-ETS auf den Seeverkehr kritisch und fordert die EU-Kommission auf:
  • sich für einen Rückfluss der Einnahmen durch eine Ausweitung des EU-ETS auf den Seeverkehr in die maritime Wirtschaft durch einen Fonds zur Dekarbonisierung im Seeverkehr einzusetzen. Nur wenn ein Rückfluss in die maritime Wirtschaft sichergestellt ist, können Forschung und Innovation alternative Treibstoffe marktfähig machen und eine maritime Verkehrswende unter Reduzierung der CO₂-Emissionen realisiert werden.
  • aktiv auf eine Harmonisierung mit den zukünftigen Maßnahmen der IMO hinzuwirken, um Doppelbelastungen und Bürokratie für europäische Häfen und Reedereien abzuwenden und internationale Prozesse zur Emissionsreduktion nicht zu blockieren. Diese Harmonisierung sollte vor dem Start der EU-Regelungen abgeschlossen sein.
  • die Anwendbarkeit der Ausweitung des EU-ETS auf den Seeverkehr für Fahrten außerhalb der EU abschließend zu regeln, um vor dem Hintergrund des Brexits die Benachteiligung europäischer Häfen sowie Carbon Leakage zu vermeiden.
  • an dem Starttermin zum Jahr 2023 sowie der Übergangsphase bis mindestens 2026 festzuhalten, um der maritimen Branche Vorlaufzeit zu geben. Die EU-Kommission soll dem Seeverkehr konkrete Unterstützungsangebote unterbreiten, damit die Branche zum Starttermin gut aufgestellt ist. Die EU-Kommission sollte die Übergangsphase in den Jahren 2023, 2024 sowie 2025 flexibel und angelehnt an die Bedürfnisse der maritimen Branche ausgestalten und gemessen an den Erfolgen des Seeverkehrs zur Emissionsreduktion zielgerichtet Fördermittel zur Verfügung stellen.
  • die Daten der MRV Verordnung effektiv zu nutzen. Dadurch können zum einen die Daten aus den Emissionsberichten genutzt werden, um die zu erwartenden Emissionen des Seeverkehrs realistisch zu bewerten. Zum anderen kann eine doppelte Bürokratiebelastung vermieden werden.
  • die Belastungen der EU-ETS-Ausweitung verursachergerecht auszugestalten bzw. auf einen sachgerechten Ausgleich zwischen Schiffseignern und Schiffsnutzern hinzuwirken.
Veröffentlicht im November 2021