Resolution der Vollversammlung der IHK zu Kiel

Für eine verstärkte Erzeugung von Wasserstoff und seiner Nutzung im Bereich der Mobilität und der Industrie

Der Ausbau der regenerativen Energien ist ein energiepolitischer Schwerpunkt des Landes Schleswig-Holstein. Angesichts der hohen Potenziale eines Küstenlandes hat dabei die Windenergie eine besondere Bedeutung.
Anfang 2018 waren hier rund 3.700 Windenergieanlagen mit einer Leistung von rund 6,9 Gigawatt am Netz. Zusätzlich sind 1,8 Gigawatt Windenergieanlagen offshore an das schleswig-holsteinische Stromnetz angeschlossen. Hinzu kommen 1,6 Gigawatt aus Photovoltaik und rund 0,4 Gigawatt aus Biomasse. Zusammen liefern die erneuerbaren Energien damit eine Leistung von mehr als 10 Gigawatt. Für Onshore-Windenergie hat das Land Schleswig-Holstein für das Jahr 2025 ein Ausbauziel von 10,5 Gigawatt formuliert. Bis dahin werden zwischen 3600 und 4200 Windenergieanlagen an Land errichtet sein.
Die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien übersteigt in Schleswig-Holstein bereits seit einigen Jahren den lokalen und regionalen Strombedarf. Bedingt durch die geringe Industriedichte und das Fehlen anderer Großstromverbraucher (zum Beispiel Rechenzentren) kann der regenerativ erzeugte Strom in Schleswig-Holstein nur unzureichend abgenommen werden. Schleswig-Holstein entwickelt sich damit immer stärker zum Exporteur von Grünstrom. Hinzu kommt, dass durch Netzengpässe Windenergie-, aber auch Biomasse- und Photovoltaik-Anlagen zunehmend öfter abgeschaltet werden müssen.
Wenn Energie im Überschuss vorhanden ist, bietet dies die Möglichkeit, sie im Rahmen der Sektorkopplung (Nutzung für Wohnen, Verkehr und Industrie) lokal nutzbar zu machen. Die Umwandlung erneuerbaren Stroms zu „grünem Wasserstoff“ ist hierbei eine Möglichkeit, die erhebliche Chancen für die Industrie, die Dienstleistungsunternehmen und im Bereich der Mobilität bietet.
Wegen seiner vergleichsweise einfachen Speichermöglichkeit in einer bereits vorhandenen Infrastruktur (Erdgasleitungen und –kavernen) und - ohne regulatorische Belastungen - schon heute wettbewerbsfähigen und absehbar sinkenden Produktionskosten, eignet sich Wasserstoff ideal für die Sektorkopplung.
Technisch ist die Erzeugung „grünen Wasserstoffs“ möglich und ausbaufähig. Damit die Nutzung „grünen Wasserstoffs“ wirtschaftlich zu einem Erfolg wird, fordert die Wirtschaft Technologieneutralität.
Hindernisse ergeben sich derzeit jedoch insbesondere im Bereich der regulatorischen Rahmenbedingungen, bei der Infrastruktur und der Entwicklung neuer Technologien. Daher müssen aus Sicht der Wirtschaft folgende Maßnahmen in Angriff genommen werden.

1. Regulatorische Rahmen anpassen

Der regulatorische Rahmen sollte zukünftig Anreize bieten, Wasserstoff verstärkt zu nutzen, wenn es volkswirtschaftlich sinnvoll ist. Im Einzelnen schlagen wir folgende Anpassungen vor:
  • Anlagen, in denen „grüner“ Wasserstoff hergestellt und ggf. zur Methanisierung weiterverarbeitet und als Industriegas oder Kraftstoff genutzt wird, sollten von sachfremden Entgelten und Umlagen befreit werden.
  • Für erneuerbare Energien ist der Anlagenzubau in Netzausbaugebieten gedeckelt. 
    Neuanlagen, die zum Betrieb von Wasserstofferzeugungsanlagen eingesetzt werden, sind von den Zubaubeschränkungen auszunehmen.
  • Anlagen zur ausschließlichen Wasserstofferzeugung (Power-to-Gas-Anlagen) sollten von der EEG-Umlage ausgenommen werden, wenn der Strom, den sie verbrauchen, erneuerbar ist und aus Anlagen stammt, die nicht mehr nach dem EEG gefördert werden.
  • Die Regelungen für zuschaltbare Lasten sind so zu überarbeiten, dass überschüssiger Strom aus erneuerbaren Energien in Power-to-Gas-Anlagen genutzt werden kann.
  • Im Gebäudesektor sollte „grüner Wasserstoff“ bei den Vorgaben zur Erreichung von Energieeffizienz- und Klimaschutzzielen berücksichtigt werden.

2. Wasserstoffinfrastruktur ausbauen

Um Wasserstoff als universellen Energieträger diskriminierungsfrei und sektorübergreifend nutzen zu können sollten folgende Maßnahmen ergriffen werden:
  • Die bestehende Gasinfrastruktur sollte – wo nötig – so ertüchtigt bzw. ausgebaut werden, dass sie auch Wasserstoff aufnehmen und durchleiten kann. Ergänzend sollte eine Wasserstoffinfrastruktur bestehend aus Elektrolyseuren, Power-to-Gas-Anlagen, Verdichterstationen, Pipelines und Wasserstofftankstellen aufgebaut werden. Sofern erforderlich, sollte im Bereich der Netzentgeltregulierung entsprechende Anreize geschaffen werden.
  • Das Gasnetz mit den dazugehörigen Kavernenspeichern bietet fast unbegrenzte Möglichkeiten, um Energie aus erneuerbaren Energien aufzunehmen. Die Einspeicherung grünen Wasserstoffs ohne oder mit Methanisierung in das Gasnetz sollte daher weiter ausgebaut werden.
  • Die Nutzung von Wasserstoff im Bereich des ÖPNV (Schienenverkehre, Omnibusse, Fährverkehr) und des Individualverkehrs ist voranzutreiben. Übergangsweise sollten etwaige Wirtschaftlichkeitslücken mit Modellprojekten überbrückt werden. Hierbei sollten die Förderbedingungen für eine Anlage so definiert werden, dass mehrere Geschäftsmodelle miteinander kombiniert werden können.

3. Forschung und Entwicklung neuer Technologien im Bereich Wasserstoff stärken 

Impulsgeber für Innovationen ist ein wirksamer Preis für CO₂-Emissionen, damit die Nutzung Erneuerbare Energien in anderen Sektoren wirtschaftlich wird. Vor diesem Hintergrund sind kleine und mittlere Unternehmen in Schleswig-Holstein dabei zu unterstützen, vorrangig folgende Technologien zur Marktreife zu entwickeln:
  • Weiterentwicklung von Brennstoffzellensystemen für den Einsatz im Individualverkehr und ÖPNV.
  • Entwicklung stationärer Brennstoffzellen für Haushalte und Industrie als Kraft-Wärme-Kopplung sowie die sichere Stromversorgung sicherheitskritischer Anlagen und Systeme.
  • Entwicklung und Herstellung von konkurrenzfähigen Fahrzeugen für den ÖPNV, den Individualverkehr sowie den Lastkraftverkehr.
  • Erarbeitung eines Konzeptes zur Schaffung einer europaweiten Infrastruktur zur flächendeckenden Wasserstoffversorgung über das bestehende Tankstellennetz.

4. Wasserstofftechnologien erfahrbar machen

Zur Akzeptanzsteigerung der Wasserstofftechnologien in der gewerblichen Wirtschaft und bei den Bürgern sollten folgende Maßnahmen ergriffen werden:
  • Enge Kooperation mit anderen Bundesländern, Regionen und Städten in den bereits Erfahrungen mit Wasserstoff Mobilitätsprojekten gesammelt wurden (wie im Rhein-Main Gebiet, in Wuppertal oder Köln).
  • Installation von Leuchtturmprojekten, um Wasserstoffmobilität sichtbar zu machen. 
Veröffentlicht am 23. August 2018