Resolution der Vollversammlung der IHK zu Kiel

Für eine fortschrittliche Klimaschutzpolitik und eine wirtschaftsverträgliche Ausgestaltung einer CO₂-Bepreisung

Das Wichtigste in Kürze

Der Klimawandel stellt uns national wie international vor große Herausforderungen, die nur gemeinsam von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gelöst werden können. Mit seinem Bekenntnis zum 2-Grad-Ziel hat sich Deutschland auf internationaler Ebene verpflichtet, die Erderwärmung zu begrenzen. In der EU als auch national hat sich Deutschland zu konkreten Klimazielen verpflichtet, die eine Reduktion von Treibhausgasemissionen erfordern. Während die Klimaziele der Bundesregierung ambitionierter sind als die der EU, entfalten die EU-Ziele eine stärkere Bindungswirkung.
Um die Ziele zu erreichen, wird sich auch die Wirtschaft anpassen müssen. Für die Unternehmen sind damit Risiken aber auch Chancen verbunden. Gestalten wir den Prozess gut, kann der Klimawandel für die Wirtschaft unserer Region zum Erfolgsprojekt werden. Damit dies gelingt haben die Mitgliedsunternehmen der IHK zu Kiel acht Kernforderungen formuliert:
  1. Emissionshandel statt staatlich festgelegter CO₂-Preise
  2. Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft sicherstellen
  3. Industrie und Gewerbe von bürokratischen Hemmnissen befreien
  4. Bremsen für den Ausbau der erneuerbaren Energien lösen
  5. Gebäudesanierung auch im Bereich der mittelständischen Wirtschaft voranbringen
  6. Wasserstoff als Schlüsselelement für die Sektorkopplung etablieren
  7. Alternative Antriebsformen jenseits der batteriegetriebenen Elektromobilität forcieren
  8. Speicherung und Nutzung von CO₂ als Option für die Zukunft erhalten

Bekenntnis zu den nationalen, europäischen und internationalen Klimaschutzzielen

Die nationalen Ziele des Klimaschutzplans 2050 sehen eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen Deutschlands um 40 Prozent bis 2020, um 55 Prozent bis 2030 und um 80 bis 95 Prozent bis 2050 vor. Für das Jahr 2030 hat die Bundesregierung im Klimaschutzplan zudem Ziele in den Wirtschaftsbereichen Energiewirtschaft, Industrie, Gebäude, Verkehr und Landwirtschaft formuliert.
Die deutschen Treibhausgasemissionen sind zwischen 1990 und 2018 von 1.248 Millionen Tonnen auf 866 Millionen Tonnen um lediglich 31 Prozent gesunken. Es ist daher davon auszugehen, dass das Ziel von 751 Millionen Tonnen für 2020 nicht erreicht wird. Der Projektionsbericht 2019 der Bundesregierung sagt zusätzlich eine Zielverfehlung für die einzelnen Sektoren für 2030 voraus. 
Im Gegensatz zum Klimaschutzplan entfalten die Verpflichtungen aus europäischen Rechtsakten eine Bindungswirkung. Die Europäische Union hat im Rahmen des Kyoto-Protokolls und des Pariser Klimaschutzabkommens zugesagt, ihre Gesamtemissionen bis 2020 um 20 Prozent und bis 2030 um mindestens 40 Prozent (jeweils gegenüber 1990) zu reduzieren. Für die Branchen, die dem europäischen Emissionshandelssystem (EU emissions trading system – EU-ETS) unterliegen (Energiewirtschaft und weite Teile der Industrie), wurde eine Treibhausgasminderung von 43 Prozent bis 2030 im Vergleich zu 2005 festgelegt. Im Rahmen der Lastenteilung (EU-Effort-Sharing) für die nicht unter den ETS fallenden Wirtschaftsbereiche (Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft) ist Deutschland zur Reduktion von Treibhausgasen um 14 Prozent bis 2020 und um 38 Prozent bis 2030 (jeweils gegenüber 2005) verpflichtet. Deutschland wird sein Ziel 2020 in den Nicht-ETS-Sektoren voraussichtlich verfehlen.
In diesem Fall ist Deutschland nach den Lastenteilungsvorgaben verpflichtet, das Defizit über den Zukauf von Emissionsrechten anderer EU-Länder auszugleichen. Die Kosten für diese Rechte können im Jahr 2020 bis zu zwei Milliarden Euro betragen. Folglich müssen künftige nationale Maßnahmen zur CO₂-Minderung auf den Nicht-EU-ETS-Bereich ausgerichtet werden, ohne den EU-ETS-Bereich in seiner Funktionsfähigkeit bzw. Wirksamkeit negativ zu beeinflussen. Damit werden absehbar auch an die deutsche Wirtschaft neue Anforderungen seitens des Gesetzgebers gestellt, die Auswirkungen auf Wettbewerbsfähigkeit und den betrieblichen Alltag haben werden.
Mit der Verabschiedung des Klimaschutzprogramms 2030 im September 2019 hat die Bundesregierung ein umfangreiches Maßnahmenpaket vorgelegt, mit dem die Klimaschutzziele für 2030 erreicht werden sollen. Die IHK zu Kiel erkennt die Notwendigkeit an, zur Erreichung der ambitionierteren Klimaschutzziele, zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen. Insbesondere ist darauf zu achten, dass alle Emittenten von Treibhausgasemissionen im Sinne des Verursacherprinzips gleichrangig zur Zielerreichung beitragen. Eine Fokussierung auf das Treibhausgas Kohlendioxid reicht nach unserer Auffassung nicht aus. Damit das Klimaschutzprogramm ein Erfolg wird, sieht die IHK zu Kiel deutlichen Nachbesserungsbedarf und hat diesen in acht Kernforderungen zusammengefasst. Sie appelliert an die Bundes- und die Landesregierung, sie im Interesse der gewerblichen Wirtschaft im weiteren Diskussionsprozess zu berücksichtigen.

Forderungen der IHK zu Kiel

  1. Emissionshandel statt staatlich festgelegter CO₂-Preise
    Die im Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung vorgeschlagene Einführung eines Festpreissystems ab 2021 und die stufenweise Erhöhung des CO₂-Preises erlaubt als marktwirtschaftliches CO₂-Bepreisungsmodell grundsätzlich eine kosteneffiziente Erreichung der Klimaziele. Die Übergangzeit zu einem nationalen Emissionshandelssystem von fünf Jahren erscheint jedoch sehr lang. Die IHK zu Kiel fordert daher einen schnellen Übergang auf ein nationales Emissionshandelssystem
    und die zwingende Einbindung in ein europäisches Emissionshandelssystem für den Nicht-ETS-Bereich, da nur dieses als marktwirtschaftliches Instrument die Erreichung der Reduktionziele kosteneffizient sicherstellt. Dabei ist darauf zu achten, dass das Mittelaufkommen aus der CO₂-Bepreisung, bzw. dem Zertifikateverkauf möglichst zweckgebunden und effizient zur Erreichung der Klimaschutzziele eingesetzt wird.
  2. Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft sicherstellen
    Die geplante Senkung der EEG-Umlage reicht nicht aus, um die Belastungen der mittelständischen Wirtschaft durch die die geplante CO₂-Bepreisung zu kompensieren. Für die zu erwartenden Preissteigerungen bei Kraft- und Heizstoffen ist im Klimaschutzprogramm – mit Ausnahme der Anhebung der Entfernungspauschale für Fernpendler – keine Kompensation vorgesehen. Die IHK zu Kiel fordert daher, die mittelständische Wirtschaft vorübergehend auch im Wärme- und Verkehrssektor
    durch Absenkung der Energiesteuern oder gleichwertige Kompensationen zu entlasten. Langfristiges Ziel sollte es sein, die EEG-Umlage ganz auslaufen zu lassen und die staatlich induzierten Preisbestandteile zu reduzieren.
  3. Industrie und Gewerbe von bürokratischen Hemmnissen befreien 
    Der Industriesektor hat durch seine weitgehende Einbeziehung in den Emissionshandel bereits erhebliche Minderungsleistungen bei Treibhausgasemissionen erbracht. Die Ermittlung und Erschließung von Energieeffizienzpotenzialen ist - auch ohne staatliche Förderung - ein zentraler Bestandteil der Unternehmensaktivitäten von Industrie und Gewerbe. Die Verknüpfung von Effizienzprogrammen mit bürokratischen Hemmnissen ist der falsche Weg. Die IHK zu Kiel fordert daher, die Investitions- und Förderprogramme von umsetzungshemmenden Vorgaben zu befreien. 
  4. Bremsen für den Ausbau der erneuerbaren Energien lösen
    Für die schleswig-holsteinische Wirtschaft ist der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien ein wichtiger Schlüssel für das Erreichen der Klimaziele und den wirtschaftlichen Erfolg. Die Ausweitung des Ausbauzieles im Bereich Offshore und die Aufhebung des PV-Deckels werden daher ausdrücklich begrüßt. Das nördlichste Bundesland übernimmt mit seinen Anrainern im Norden eine entscheidende Rolle bei der Dekarbonisierung der Energiewirtschaft und trägt damit große Verantwortung für das 
    gesamte Bundesgebiet. Diese Verantwortung kann Schleswig-Holstein aber nur übernehmen, wenn das Moratorium beim Onshore-Windkraftausbau schnell überwunden wird und die Netzausbaugebiete in Frage gestellt werden. Die IHK zu Kiel 
    appelliert daher an die Bundesregierung die Beschränkungen in Netzausbaugebieten aufzuheben und den Deckel für die Flexiblisierungsmaßnahmen bei BioGas Anlagen von 1.000 Megawatt auf 4.000 Megawatt anzuheben. Die IHK zu Kiel appelliert an die Landesregierung, die Ausweisung neuer Windeignungsflächen schnellstmöglich rechtssicher abzuschließen und das Moratorium zu beenden.
  5. Gebäudesanierung auch im Bereich der mittelständischen Wirtschaft voranbringen 
    Die im Klimaschutzprogramm vorgesehene steuerliche Förderung der Gebäudesanierung zielt auf die privaten Gebäudeeigentümer ab. Unternehmen können von diesen Maßnahme nicht profitieren. Für gewerblich genutzte Immobilien sollte daher eine Zuschussförderung ermöglicht werden. Die IHK zu Kiel fordert daher, die KfW-Förderung für gewerblich genutzte Immobilien über Zuschüsse auszubauen. Die Entwurfsfassung des Gebäudeenergiegesetzes sollte nochmals auf Wirksamkeit 
    überprüft werden.
  6. Wasserstoff als Schlüsselelement für die Sektorkopplung etablieren
    Wir bereits in unserer Resolution vom 23. August 2018 gefordert, kann Wasserstoff im Bereich der Sektorkopplung, insbesondere im Verkehrssektor, eine zentrale Rolle spielen. Für Schleswig-Holstein ist Wasserstoff eine Schlüsseltechnologie, um die Wertschöpfung im Land zu steigern und die Klimaziele zu erreichen. Die Förderung von Reallaboren geht in die Richtung, ist aber zu zaghaft und damit unzureichend. Die IHK zu Kiel fordert daher die Forschungsförderung für Wasserstofftechnologien 
    deutlich auszuweiten, um Wasserstoffanwendungen rasch marktreif werden zu lassen. Analog zum Aufbau einer Batteriezellfertigung sollte ein Zentrum für Wasserstofftechnologien mit einer entsprechenden Mittelausstattung in Schleswig-Holstein errichtet werden. Als mögliche Forschungsschwerpunkte kommen die Möglichkeiten der Methanisierung, die Herstellung von E-Fuels oder die Analyse der Wasserstoffverträglichkeit der bestehenden Erdgasleitungsinfrastruktur in Frage.
  7. Alternative Antriebsformen jenseits der batteriegetriebenen Elektromobilität forcieren 
    Das Klimaprogramm der Bundesregierung zielt in erster Linie auf den Ausbau der batteriegetriebenen Elektromobilität ab. Vom geplanten Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur profitieren in erster Linie Privat-PKW. Insbesondere für den gewerblichen Gütertransport und den Schwerlastverkehr bedarf es alternativer und praktikabler Antriebssysteme. Daher muss die Erzeugung und der Einsatz von bio- und strombasierten Kraftstoffen (insbesondere Wasserstoff) stärker vorangetrieben werden. Die IHK zu Kiel fordert daher den regulatorischen Rahmen so anzupassen, dass deren Einsatz wirtschaftlich wird. Dies gilt auch für den Einsatz von Landstrom auf Schiffen.
  8. Speicherung und Nutzung von CO₂ als Option für die Zukunft erhalten
    Entsprechend wissenschaftlich belegter Prognosen kann die Einhaltung des 2-Grad-Ziels nur über eine Abscheidung von CO₂ erreicht werden. Die IHK zu Kiel hat sich bereits im Jahre 2009, ergänzend zur Reduktion von CO₂, für eine vorurteilsfreie und 
    sachliche Bewertung der Speicherung und Nutzung von CO₂ ausgesprochen und deren weitere Erforschung gefordert. Daran halten wir fest.
Veröffentlicht am 11. Dezember 2019