Stellungnahme der IHK Nord

Konsultation über EU-Umsetzung der Aarhus-Konvention zum Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten

Anlässlich der Konsultation der EU-Kommission über die EU-Umsetzung des Übereinkommens von Aarhus betreffend den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten nimmt die IHK Nord Stellung. 

Hintergrund

Die Europäische Kommission ist derzeit damit befasst, die Übereinstimmung des europäischen Rechts mit der sogenannten Aarhus-Konvention zu überprüfen. Die Aarhus-Konvention regelt unter anderem den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten. Folgende Vorschläge des Aarhus-Komitees stehen im Raum:
  • Die Überprüfung von Entscheidungen soll nicht nur anerkannten Umweltverbänden, sondern jedem Einzelnen möglich sein (Zugang zu Gerichten für jeden Einzelnen).
  • Es sollen nicht nur Entscheidungen überprüft werden können, die Einzelfälle sind oder Auswirkungen auf individuelle Rechte haben, sondern auch generelle staatliche Handlungen ohne Einzelfallbezug (keine individuelle Rechtsbetroffenheit mehr erforderlich).
  • Es sollen nicht nur Entscheidungen anfechtbar sein, die ihre Grundlage (zumindest auch) im Umweltrecht finden, sondern jegliche Entscheidungen mit Bezug zur Umwelt.
  • Es sollen nicht nur rechtsverbindliche Entscheidungen mit Außenwirkungen anfechtbar sein, sondern auch sonstige staatliche Handlungen ohne Außenwirkung (keine Außenwirkung mehr erforderlich, wie bei einer Genehmigung oder einem Planfeststellungsbeschluss).
Bei Umsetzung dieser Vorschläge in das europäische Recht – und der sich daraus ergebenden Anpassungsverpflichtung auch des deutschen Rechts – könnten also sämtliche staatlichen Handlungen mit Bezug zu Umweltfragen von jedem Einzelnen gerichtlich überprüft werden.
Die EU-Kommission führt noch bis zum 15. März 2019 eine öffentliche Konsultation durch, um ein Meinungsbild darüber einzuholen, wie Behörden, Gerichte, Unternehmen, Umweltverbände und die Öffentlichkeit die aktuellen Regelungen des Zugangs zu Gerichten in Umweltsachen bewerten und wie die Schaffung weiterer Klagemöglichkeiten eingeschätzt wird.

Nationale Rechtslage in Deutschland

Nach dem geltenden nationalen Recht können alle staatlichen Einzelfallentscheidungen mit Außenwirkung (zum Beispiel Genehmigungen nach dem BImSchG oder Planfeststellungsbeschlüsse nach den jeweiligen Fachgesetzen) von jedem Einzelnen vor Gericht angefochten werden, der eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen kann. Anerkannte Umweltvereinigungen haben darüber hinaus nach dem sogenannten Umweltrechtsbehelfsgesetz die Möglichkeit, bestimmte im Gesetz festgelegte Entscheidungen vor Gericht anzufechten, auch ohne in eigenen Rechten betroffen zu sein. Sie müssen dazu geltend machen, dass durch die Entscheidung Vorschriften aus dem Umweltrecht, die für die Entscheidung relevant sind, verletzt werden.

Forderungen der IHK Nord

Die IHK Nord spricht sich mit Nachdruck gegen die Ausweitung der Klagerechte in Umweltsachen aus. Vor allem warnt die IHK Nord davor, jedem Einzelnen auch ohne eine unmittelbare Betroffenheit ein Klagerecht einzuräumen und jede staatliche Entscheidung mit jedwedem Bezug zur Umwelt einer nachträglichen Überprüfung preiszugeben.
Sollten die Vorschläge des Aarhus-Komitees umgesetzt werden, wäre einer Flut von Einzelklagen ‚Tür und Tor‘ geöffnet. Dies würde aller Voraussicht nach die heute schon außergewöhnlich langen Verfahren zur Realisierung von Infrastrukturvorhaben in Deutschland weiter verzögern und damit die wirtschaftliche Entwicklung hierzulande blockieren. Es würde darüber hinaus die Durchsetzungsmöglichkeiten vieler staatlicher Entscheidungen zugunsten der Wirtschaft stark behindern.
Die IHK Nord bekennt sich zur Verantwortung der Wirtschaft für den Schutz der Umwelt. Dem Umweltschutz wird nach Überzeugung der IHK Nord jedoch im geltenden Recht bereits ausreichend Rechnung getragen – zum Wohle der Gesellschaft und auch jedes Einzelnen. Auch der Kreis der Klageberechtigten bedarf aus Sicht der IHK Nord keiner Ausweitung: Dem einzelnen Bürger steht der Klageweg gegen staatliche Entscheidungen offen, die ihn in seinen eigenen Rechten verletzen. Dem Interesse der Allgemeinheit am Schutz der Umwelt wird durch die Klagemöglichkeiten anerkannter Umweltschutzvereinigungen Rechnung getragen, die auch ohne eine Verletzung eigener Rechte Verstöße gegen das Umweltrecht vor Gericht geltend machen können. Diese Ausnahme vom Rechtsstaatsprinzip wird nachvollziehbar damit begründet, dass die Natur sich nicht selbst vor Gericht vertreten kann. Die Ausweitung der Klagebefugnis auf jeden Einzelnen ohne eine eigene Rechtsbetroffenheit lässt sich aber aus dem Rechtsstaatsprinzip, das auch dem europäischen Recht innewohnt, nicht herleiten.
Zudem wird dem Umweltschutz nicht dadurch geholfen, dass der Kreis der Klagebefugten immer mehr ausgeweitet wird. Denn es mangelt nicht an Vorschriften zum Schutz der Umwelt (und damit auch zum Schutz jedes Einzelnen), sondern an praktikablen Standards bei der Anwendung dieser Vorschriften. Die Komplexität insbesondere der EU-rechtlichen Natur- und Artenschutzvorgaben hat die Dauer von Genehmigungsverfahren deutlich verlängert und zudem zu einer erheblichen Entscheidungsunsicherheit bei den Genehmigungsbehörden geführt. Aus diesem Grund sollte an der Standardisierung von Entscheidungsprozessen im Umweltrecht gearbeitet werden und es sollten die Abstimmungsprozesse vor einer Entscheidung optimiert werden, anstatt im Nachgang die Anfechtungsmöglichkeiten auszuweiten.
Schon heute kommen wichtige Infrastrukturprojekte aus Sicht der norddeutschen Wirtschaft nicht schnell genug voran. Prominente Beispiele waren in jüngster Zeit in Norddeutschland die Ausbauprojekte an der Unter- und Außenweser sowie an der Unter- und Außenelbe.
Eine zusätzliche Rechtsunsicherheit für Planungsträger ist dadurch entstanden, dass die sogenannten Präklusionsregelungen im deutschen Recht aufgrund eines äußerst umstrittenen EuGH-Urteils aufgehoben werden mussten. Ursprünglich konnte nur derjenige gegen eine (umweltrechtsbezogene) Genehmigung vorgehen, welcher auch bereits im vorangegangenen Verfahren seine Einwendungen erhoben hatte oder hätte erheben können. Ziel dieser Regelung war es, die Rechtssicherheit für Planungsbehörden und Vorhabenträger zu stärken. Es sollte früh erkennbar sein, welche Bedenken gegen ein Projekt bestehen. Auf diesem Weg konnten die Behörden rechtzeitig alle Einwendungen mit in die Planungen einbeziehen und dadurch ein effizientes Verwaltungsverfahren durchführen. Mittlerweile ist das erstmalige Vorbringen von Einwendungen auch noch im Gerichtsverfahren möglich, so dass sich weder der Vorhabenträger noch die Genehmigungsbehörde im Vorfeld damit beschäftigen können. Die Justizministerkonferenz hat im Herbst 2018 die Bundesregierung aufgefordert, sich für die Wiedereinführung der Präklusionsregelungen im europäischen Recht einzusetzen, um eine zeitgerechte Herstellung einer zukunftsfähigen Infrastruktur zu ermöglichen. Die norddeutschen Industrie- und Handelskammern unterstützen die Wiedereinführung der Präklusion auf EU-Ebene. Eine Ausweitung der Klagerechte in Umweltsachen lehnt die IHK Nord ab.
Veröffentlicht im März 2019