Luftfahrtindustrie im HanseBelt

Hightech über den Wolken

Sie gewährleisten mit ihrem Know-how die Sicherheit der Flugpassagiere: Mit innovativen Technologien und jahrzehntelanger Erfahrung liefern Unternehmen aus dem Lübecker IHK-Bezirk hochentwickelte Bauteile für die großen Namen der Luftfahrtindustrie wie Airbus und Boeing - und revolutionieren mit viel Ideenreichtum die Bordtechnik.
Jedes Jahr kommen weltweit 1.800 neue Flugzeuge auf den Markt - in jedem einzelnen steckt Technik "Made in Germany". Einen großen Anteil daran tragen Mittelständler aus Schleswig-Holstein - ganze 75 Zulieferer gibt es. Das nahe Hamburg ist mit dem Airbus-Werk der drittgrößte Standort der zivilen Luftfahrtindustrie weltweit. Doch der Markt für die Zulieferer gilt als technologisch hoch anspruchsvoll und stark reglementiert. Wer auf Dauer mithalten will, braucht hohe Qualitätsstandards und Innovationen. Wie etwa Spiegel für die Bordtoilette, die bei Bedarf zu Monitoren werden. Die Krüger Aviation GmbH aus Barsbüttel ist mit dieser Technologie zum Weltmarktführer geworden. Der Clou: Die Bildschirme hinter den Spiegeln können sowohl Ansagen der Bordcrew als auch Werbung oder Filme zeigen - etwa beim Duschen auf langen Flügen. "Unsere Kunststoffspiegel sind von normalen Glasspiegeln nicht mehr zu unterscheiden - das Material ist gerade in Terrorzeiten wichtig, da es nicht als Waffe verwendet werden kann", sagt Geschäftsführer Nils Stoll.
2016 hat sich das Unternehmen aus der seit 1920 bestehenden Arthur-Krüger-Gruppe ausfirmiert, um sich auf die Luftfahrt zu konzentrieren. Im April 2017 folgte die Gründung einer Abteilung für 3-D-Druck, im August die erste Auslieferung von Serienbauteilen für den Airbus A 350. Dabei gehen die Kunststoffteile für die Kabinendecke zunächst an die Rockwell Collins GmbH, die diese weiterverarbeitet. Im Airbus fallen die Sauerstoffmasken im Notfall aus den neuen Krüger-Behältern. Ein ehemaliger Werkstudent entwickelte das Produkt maßgeblich mit, schrieb bei Krüger seine Bachelor-Arbeit und ist inzwischen als Ingenieur fest eingestellt. "Das Bauteil ist hochkomplex und mittels konventionellen Herstellungsverfahren wie Spritzguss und Thermoformen nicht herstellbar", so Stoll. Für die Zukunft seien neue Druckverfahren und weitere 3-D-Produkte in Planung.
Sauerstoffversorgung
Bei Rockwell Collins in Lübeck dreht sich alles um die Luft zum Atmen. Ganze 90 Prozent Marktanteil hält die ehemalige Dräger-Tochter an der Passagier-Sauerstoffversorgung für die zivile Luftfahrt und rüstet Boeing- und Airbusmodelle exklusiv aus. Dabei blickt das Unternehmen auf eine lange Tradition zurück: "Bereits Ende des 19. Jahrhunderts war Dräger der erste Sauerstofflieferant für Heißluftballone", sagt Geschäftsführer Patrik Baumstark. 1996 folgte die Ausgliederung, 2006 die Übernahme durch B/E Aerospace - seit diesem April gehört der Betrieb nun zu Rockwell Collins. Hauptaugenmerk liegt auf der Produktion von Containern mit Atemmasken und von Sauerstoff-Generatoren. Sie können die Passagiere bis zu 36 Minuten mit Sauerstoff versorgen. Das Besondere sei die ausgeklügelte Konstruktion: "Im Notfall reagiert ein Chemikaliengemisch und produziert reinen Natursauerstoff", so Baumstark. Die Dosierung sei dem Sinkflug genau angepasst, denn je nach Höhe brauche der menschliche Körper eine bestimmte Menge an Sauerstoff. "Das ist hochkomplex und unser USP", sagt er. Auch für das Militär ist das Unternehmen tätig - für den Eurofighter baut es ein System, das Sauerstoff direkt aus der Triebwerksluft generiert, und für Spezialkräfte eine Einheit, die Fallschirmspringer mit Atemluft versorgt. Um auf den wachsenden Markt reagieren zu können, flossen 2016 sechs Millionen Euro in den Standort Lübeck - etwa in ein neues Lager und neue Produktionsverfahren. "Damit konnten wir die Produktion auf 5.500 Generatoren pro Woche verdoppeln", sagt Baumstark.
Streifen und Schläuche
"Unsere Schläuche transportieren die Luft durchs Flugzeug wie Adern das Blut durch den Körper", sagt Dirk Baumann, Geschäftsführer der Matzen & Timm GmbH. Die flexiblen Spezialschläuche laufen durch alle gängigen Airbus-Modelle. Um die Passagiere mit frischer Luft zu versorgen, seien hohe Anforderungen zu beachten: "Die Schläuche dürfen nicht ausdünsten, müssen physiologisch unbedenklich und vor allem selbstverlöschend sein", so Baumann. Dafür produziert der Norderstedter Hersteller Schläuche aus synthetischem Kautschuk in Handarbeit: Das Rohmaterial werde durch Wärme vernetzt und erhalte dann eine sehr hohe elastische Stabilität. Die Produktion gehe von der Serienfertigung bis hin zu individuell gefertigten Einzelstücken – wie etwa ein Verbindungsteil für eine spezielle Anwendung in der Raumfahrt, das nicht mehr ausgetauscht werden kann. "Ein wartungsfreies Teil zu produzieren, ist schon eine Besonderheit." Kunden seien neben Airbus viele weitere Zulieferer für die Luftfahrtindustrie. "Nur Boeing haben wir noch nicht, da wollen wir noch ran", sagt Baumann zuversichtlich.
Die Norderstedter HPL Aviation GmbH produziert seit acht Jahren photolumineszierende (langnachleuchtende) Fluchtwegmarkierungssysteme für Lufthansa Technik. Bis zu zwölf Stunden lang weisen die selbstleuchtenden Streifen den Fluggästen im Ernstfall den Weg zu den Notausgängen. "Wir sind quasi eine exklusive und verlängerte Werkbank", sagt Geschäftsführer Joan Szöke-Erös. Lufthansa Technik halte mit dem Produkt etwa 65 Prozent Marktanteil und verkaufe es an die großen Flugzeughersteller und Airlines. Die Streifen bestehen aus einem Polymer-Leuchtmittel-Gemisch, das durch ein Dioden-Laser-Schweißverfahren zusammengehalten wird. Das Verfahren und die Produktionsmaschine habe die Firma dafür eigens entwickelt. Trotz der strengen Auflagen entwickelt Lufthansa Technik in enger Kooperation mit HPL Aviation das System ständig weiter. "Wir können inzwischen kurvige Streifen produzieren - und neuerdings auch Teppichmuster und Logos der Airlines in die Streifen integrieren", so der studierte Flugzeugbauer. Eine zweite Produktionslinie sei in Planung. In der Schwesterfirma TBS Technische Beratung Szöke GmbH produziert Szöke-Erös zudem Werkzeuge und Betriebsmittel für die Luftfahrtindustrie.
Benjamin Tietjen
Veröffentlicht am 18. Oktober 2017