Verspätete Zielvorgabe
Eine verspätete Zielvorgabe durch den Arbeitgeber kann einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers begründen, wenn sie ihre steuernde und motivierende Funktion nicht mehr erfüllt.
Die Parteien streiten über Schadensersatz wegen entgangener erfolgsabhängiger variabler Vergütung für das Jahr 2019.
Der Kläger war bei der Beklagten ein Mitarbeiter mit Führungsverantwortung. Der Arbeitsvertrag sah ein Jahreszielgehalt von 95.000 Euro brutto bei 100 Prozent Zielerreichung vor, bestehend aus 66.500 Euro Fixgehalt und 28.500 Euro variabler Vergütung. Die Ziele wurden jährlich vom Vorgesetzten festgelegt und sollten spätestens vier Wochen nach Arbeitsbeginn dokumentiert werden. Ab Oktober 2017 erhöhte die Beklagte das Gehalt auf 102.125 Euro brutto (71.488 Euro Fixgehalt, 30.637 Euro variabel). 2017 erfüllte der Kläger ein EBITDA-Ziel mit 20 Prozent Gewichtung zu 200 Prozent. 2018 lagen 60 Prozent der Bewertung auf Unternehmenszielen (je 30 Prozent EBITDA und Umsatz), die er zu 169 Prozent bzw. 107 Prozent erreichte. Laut Betriebsvereinbarung sollte die Zielvorgabe bis zum 1. März erfolgen. Für das Jahr 2019 wurden dem Kläger die konkreten Zahlen zu den Unternehmenszielen am 15. Oktober 2019 genannt. Eine Vorgabe individueller Ziele erfolgte nicht.
Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis zum 30. November 2019. Am 22. November 2019 legte die Beklagte ihm eine MBO-Karte mit einem EBITDA-Ziel und einem Umsatzziel vor, die jeweils mit 35 Prozent auf die Gesamtzielbewertung gewichtet waren. Für das Jahr 2019 zahlte die Beklagte eine variable Vergütung in Höhe von 15.586,55 Euro brutto, wobei sie pauschal einen Zielerreichungsgrad von 142 Prozent für die individuellen Ziele und 37 Prozent für die Unternehmensziele zugrunde legte. Der Kläger vertrat die Auffassung, dass eine wirksame Zielvorgabe für einen vergangenen Zeitraum nicht möglich sei, und ging davon aus, dass er bei rechtzeitiger Festlegung eine Gesamtzielerreichung von 112,6 Prozent erzielt hätte. Unter Berücksichtigung der bereits geleisteten Zahlung forderte er daher weitere 16.035,94 Euro als Schadensersatz.
Das Landesarbeitsgericht Köln entschied mit Urteil vom 6. Februar 2024 zugunsten des Klägers. Die Revision der Beklagten blieb vor dem 10. Senat erfolglos. Der Senat stellte klar, dass ein schuldhafter Verstoß des Arbeitgebers gegen die arbeitsvertragliche Pflicht zur rechtzeitigen Zielvorgabe grundsätzlich einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers gemäß § 280 Abs. 1, 3 i. V. m. § 283 Satz 1 BGB begründe.
War der Arbeitgeber verpflichtet, Ziele zur variablen Vergütung nach § 315 Abs. 1 BGB nach billigem Ermessen festzulegen, verletzte er bei unterlassener oder verspäteter Vorgabe eine Nebenpflicht und konnte schadensersatzpflichtig sein, wenn eine nachträgliche Zielbestimmung nicht mehr möglich war. Der Zeitpunkt der Zielvorgabe ergab sich aus vertraglichen oder kollektivrechtlichen Regelungen. Eine verspätete Zielvorgabe war dann unmöglich im Sinne von § 275 Abs. 1 BGB, wenn sie ihre Funktion zur Motivation und Steuerung nicht mehr erfüllen konnte.
Mangels vorgegebener Ziele und nicht feststellbarer Zielerreichung war eine Ersatzleistungsbestimmung durch das Gericht ausgeschlossen. Der Arbeitnehmer konnte stattdessen gemäß § 280 Abs. 1, 3 i. V. m. § 283 Satz 1 und § 275 Abs. 1 BGB Schadensersatz statt der Zielvorgabe verlangen.
Das BAG entschied, dass eine Zielvorgabe spätestens nach Ablauf des Bemessungszeitraums zu spät erfolgte. Zwar war dieser hier noch nicht erreicht, doch die Betriebsvereinbarung sah den 1. März als spätesten Termin vor. Ob dieser bereits als „zu spät“ galt, hing von der Funktion der Zielvorgabe ab. Da die Ziele erst am 15. Oktober mitgeteilt wurden und ihre Steuerungsfunktion nicht mehr erfüllt werden konnte, lag Unmöglichkeit vor. Ein Mitverschulden des Arbeitnehmers bestand nicht; die Verantwortung lag allein beim Arbeitgeber (Quelle: BAG, Urteil vom 19. Februar 2025 - 10 AZR 57/24).