Verhaltensbedingte Kündigung wegen sexueller Belästigung
Mehrere schwerwiegende Pflichtverstöße in Form sexueller Belästigungen durch einen Vorgesetzten gegenüber ihm hierarchisch unterstellter Arbeitnehmerinnen rechtfertigen regelmäßig eine verhaltensbedingte Beendigungskündigung auch ohne vorherige Abmahnung.
Der Kläger war seit dem 1. September 2004 bei der Beklagten, einem 4-Sterne-Hotel mit Veranstaltungsbetrieb, als Restaurantleiter beschäftigt.
Während seines langjährigen Arbeitsverhältnisses kam es zu wiederholten Übergriffen und anzüglichen Äußerungen gegenüber verschiedenen Mitarbeiterinnen. Bereits im Frühjahr 2016 sprach er gegenüber einer Kollegin eine zweideutige Bemerkung aus und zog sie körperlich an sich. Im Juli 2019 folgte ein körperlicher Übergriff mit sexueller Konnotation auf eine andere Mitarbeiterin. Ab Ende 2022 äußerte er regelmäßig sexuell explizite Bemerkungen gegenüber einer weiteren Angestellten. Im August 2023 griff er verbal und visuell die Empfangsleiterin des Hotels an, indem er ihre Kleidung beiseiteschob und abwertende Kommentare über ihre körperliche Erscheinung äußerte. Zuletzt versuchte er im September 2023, sich einer Kollegin auf einer Messe gegen deren Willen körperlich zu nähern und sie zu küssen.
Angesichts dieser Vorfälle sprach die Beklagte am 13. September 2023 eine fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung aus. Nachdem der Kläger Klage beim Arbeitsgericht Emden erhob, holte die Beklagte die Zustimmung des Integrationsamts zur ordentlichen Kündigung ein und kündigte daraufhin am 28. November 2023 erneut ordentlich. Der Kläger erweiterte seine Klage entsprechend.
Das Arbeitsgericht Emden wies sowohl die Klage gegen die fristlose als auch gegen die ordentliche Kündigung ab. Auch das Landesarbeitsgericht bestätigte in der Berufung die Wirksamkeit beider Kündigungen. Das Arbeitsverhältnis gilt damit als beendet.
Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien unterliegt dem allgemeinen Kündigungsschutz nach § 1 Abs. 1 KSchG. Jede dieser Handlungen stellt eine schwerwiegende Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar (§ 241 Abs. 2 BGB), die auch ohne vorherige Abmahnung die ordentliche Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG rechtfertigt. Eine Weiterbeschäftigung ist dem Arbeitgeber nicht zumutbar, da die Würde der betroffenen Personen verletzt wurde und die Wiederherstellung der Vertrauensbasis ausgeschlossen erscheint. Die Kündigung verstößt nicht gegen das Ultima-Ratio-Prinzip, da mildere Mittel wie Abmahnung oder Versetzung aufgrund der Schwere und Wiederholungen der Vorfälle nicht in Betracht kamen.
Sexuelle Belästigung im Sinne des § 3 Abs. 4 AGG gilt gemäß § 7 Abs. 3 AGG als Vertragsverletzung, die selbst eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB rechtfertigen kann. Die Unerwünschtheit des Verhaltens war für den Kläger objektiv erkennbar – gerade vor dem Hintergrund seiner Leitungsfunktion. Das Verhalten stellte eine Ausnutzung hierarchischer Macht dar und beeinträchtigte die sexuelle Selbstbestimmung der Betroffenen (Quelle: LAG Niedersachsen (11. Kammer), Urteil vom 29. April 2025 – 11 SLa 472/24).