Schadenersatz wegen verspäteter Zielvorgabe

Besteht die arbeitsvertragliche Verpflichtung, dem Arbeitnehmer rechtzeitig für eine Zielperiode Ziele vorzugeben, an deren Erreichen die Zahlung einer variablen Vergütung geknüpft ist (Zielvorgabe) und verstößt der Arbeitgeber dagegen schuldhaft, löst dies, wenn eine nachträgliche Zielvorgabe ihre Motivations- und Anreizfunktion nicht mehr erfüllen kann, grundsätzlich einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Schadenersatz aus.
Der Kläger war bei der Beklagten als Mitarbeiter mit Führungsverantwortung beschäftigt. Laut Arbeitsvertrag setzte sich sein Gehalt aus einem fixen und einem variablen Gehalt zusammen. Laut einer Anpassung der Betriebsvereinbarung zum Januar 2019 hat bis zum 1. März des Kalenderjahres eine Zielvorgabe zu erfolgen, die sich zu 70 Prozent aus Unternehmenszielen und 30 Prozent aus individuellen Zielen zusammensetzt, und sich die Höhe des variablen Gehaltsbestandteils nach der Zielerreichung des Mitarbeiters richtet. Dem Kläger wurde erst Ende September mitgeteilt, dass für das Jahr 2019 werde bezogen auf die individuellen Ziele entsprechend der durchschnittlichen Zielerreichung aller Führungskräfte in den vergangenen drei Jahren von einem Zielerreichungsgrad von 142 Prozent ausgegangen. Mitte Oktober wurden dem Kläger dann konkrete Zahlen zu den Unternehmenszielen einschließlich deren Gewichtung und des Zielkorridors genannt. Eine individuelle Zielvorgabe für den Kläger erfolgte nicht. Die Beklagte zahlte an den Kläger für 2019 eine variable Vergütung in Höhe von 15.586,55 Euro brutto.
Der Kläger forderte die Zahlung von weiteren 16.035,94 Euro brutto als Schadenersatz. Es sei davon auszugehen, dass er rechtzeitig vorgegebene, billigem Ermessen entsprechende Unternehmensziele zu 100 Prozent und individuelle Ziele entsprechend dem Durchschnittswert von 142 Prozent erreicht hätte.
Die Revision der Beklagten hatte vor dem Bundesarbeitsgericht keinen Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagte nach § 280 Abs. 1, Abs. 3 BGB i.V.m. § 283 Satz 1 BGB einen Anspruch auf Schadensersatz i.H.v. 16.035,94 Euro brutto. Die Beklagte hat ihre Verpflichtung zu einer entsprechenden Zielvorgabe schuldhaft verletzt, indem sie dem Kläger keine individuellen Ziele vorgegeben und ihm die Unternehmensziele erst verbindlich mitgeteilt hat, nachdem etwa ¾ der Zielperiode abgelaufen waren. Eine ihrer Motivations- und Anreizfunktion gerecht werdende Zielvorgabe war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich. Der Kläger muss sich kein anspruchsminderndes Mitverschulden wegen fehlender Mitwirkung anrechnen lassen. Bei einer unterlassenen oder verspäteten Zielvorgabe des Arbeitgebers scheidet ein Mitverschulden des Arbeitnehmers regelmäßig aus, weil allein der Arbeitgeber die Initiativlast für die Vorgabe der Ziele trägt (Quelle: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Februar 2025 – 10 AZR 57/24, LAG Köln, Urteil vom 6. Februar 2024 – 4 Sa 390/23).
Veröffentlicht am 23. April 2025