Arbeitsrecht

Reisezeit mit der Bahn kann Arbeitszeit sein

In einem Urteil vom 2. Mai 2023 weicht das Verwaltungsgericht Lüneburg von der Definition des Bundesarbeitsgerichts ab und stuft Fahrten mit der Bahn zu und von den Abholorten eines zu überführenden Fahrzeugs als  Arbeitszeit ein.
Die Klägerin betreibt ein Speditionsunternehmen, welches auf die Überführung von Nutzfahrzeugen spezialisiert ist. Das zuständige Gewerbeaufsichtsamt wendete sich mit Bescheid an die Klägerin, die Arbeitszeiten einzuhalten und diese ordnungsgemäß zu dokumentieren. Bahnreisezeiten, die im Zusammenhang mit der Überführung von neuen Nutzfahrzeugen anfallen, seien als Arbeitszeit im Sinn des Arbeitszeitgesetzes zu berücksichtigen. Dagegen wandte sich die Klägerin mit dem Argument, die betroffenen Arbeitnehmer während der Bahnfahrt in der Gestaltung ihrer Zeit völlig frei seien, sodass ihnen nur ein "Freizeitopfer" abverlangt werde.
Gegen den Widerspruchs- und Kostenbescheid erhob die Klägerin Klage vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg.
Das Gericht entschied, dass die Fahrten mit der Bahn zu und von den Abholorten des zu überführenden Fahrzeugs zur Arbeitszeit gehören. Aufgrund der einschlägigen europarechtlichen Grundlagen (Arbeitszeit-Richtlinie) müsse hier von der gängigen Definition des Bundesarbeitsgerichts (BAG) des Begriffs der Arbeitszeit abgewichen werden. Bei den Fahrten mit dem Taxi oder der Bahn zu den Abholorten der Fahrzeuge und von den Zielorten zum Wohnort sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ihrer Zeiteinteilung nicht völlig frei. Vielmehr sei die regelmäßig mehrstündige An- und Abreise mit der Bahn bereits Teil der Leistungserbringung und beschränke die Freiheit der Fahrer, über ihre Zeit selbst zu bestimmen.
Das Bundesarbeitsgericht geht hingegen von der sog. Beanspruchungstheorie aus. Nur wenn die Beanspruchung der Reise der herkömmlichen Arbeit entspricht, sind Reisezeiten als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes zu qualifizieren. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig (Urteil vom 2. Mai 2023, Az. 3 A 146/22).
Veröffentlicht am 20. Juni 2023