Arbeitsrecht

Keine betriebsbedingte fristlose Kündigung

Eine fristlose, betriebsbedingte Kündigung ist auch dann unverhältnismäßig, wenn der Arbeitgeber seine geschäftlichen Beziehungen ins Ausland (hier Russland) aufgrund einer politischen Entscheidung aktuell nicht mehr aufrechterhalten darf.
Der Kläger ist als kaufmännischer Angestellter bei der Beklagten beschäftigt, die ein Handelsunternehmen für Möbelindustrie betreibt. Der Umsatz wurde allein in Russland generiert. Aufgrund unionsrechtlicher Sanktionsmaßnahmen als Reaktion auf Russlands Invasion in der Ukraine ist der Beklagten der Handel mit Dekorpapier für Möbel mit Russland ab April 2022 untersagt.
Im Mai 2022 erklärte die Beklagte dem Kläger die fristlose Kündigung. Daraufhin erhob der Kläger Klage beim Arbeitsgericht, um festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht beendet wurde. Das Kündigungsschutzgesetz war nicht anwendbar. Die Beklagte beantragte die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, dass die außerordentliche Kündigung wirksam sei. Aufgrund der unionsrechtlichen Sanktionen bestehe keine Möglichkeit mehr, das Arbeitsverhältnis sinnvoll fortzuführen. Die außerordentliche Kündigung aller Mitarbeiter zum Ende Mai 2022 sei ihre einzige Option, sich zu retten und ggf. nach Ende der Sanktionen einen Geschäftsbetrieb wieder aufnehmen zu können. Sie könne auch keinen Lohn zahlen, da sie selber keinen Umsatz generieren dürfe. 
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und wurde im Berufungsverfahren im Wesentlichen durch das Landesarbeitsgericht bestätigt.
Die Kündigung hat das Arbeitsverhältnis nicht gemäß § 626 Abs. 1 BGB außerordentlich beenden können. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Betriebseinstellung und -einschränkung sind unabhängig davon, ob sie auf einer unternehmerischen Entscheidung beruhen oder zwangsläufig eintreten, regelmäßig kein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung. Im Regelfall ist es dem Arbeitgeber zuzumuten, bei Wegfall des Arbeitsplatzes – aus welchen Gründen auch immer – das (sinnentleerte) Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist aufrechtzuerhalten. Bei der vorliegenden Konstellation – einem staatlich angeordneten Berufsverbot – sind auch die Interessen des Klägers zu berücksichtigen. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt es selbstverständlich im Interesse des Klägers, das Arbeitsverhältnis jedenfalls bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist aufrechtzuhalten. Es ist nicht erkennbar, weshalb ein staatlich angeordnetes Berufsverbot allein der Kläger tragen muss. Unter Beachtung der ordentlichen Kündigungsfrist des § 622 Abs. 2 Nr. 7 BGB fand das streitgegenständliche Arbeitsverhältnis zum 31.Dezember 2022 sein Ende (LAG Köln Urt. v. 13. Juni 2023 – 4 Sa 17/23).
Veröffentlicht am 26. September 2023