Kompass24
KOMPASS 24: „Not in My Backyard“ – Industrieansiedlungen in Schleswig-Holstein
Am 20. November 2024 brachte der Parlamentarische Abend „Kompass24“ der IHK zu Kiel Politik, Verwaltung und Wirtschaft zusammen. Die etablierte Veranstaltung widmete sich der Frage: Wie kann Schleswig-Holstein klimaneutrale Industrieansiedlungen vorantreiben, ohne auf massiven Widerstand in der Bevölkerung zu stoßen? Das Motto des Abends lautete: „Not in My Backyard“.
Ein Land mit Potenzial – aber auch mit Widerständen
Vizepräsident Tillmann Schütt eröffnete den Abend und plädierte für ein neues Bild der Industrie. Er betonte, dass Industrie keine veraltete Wirtschaftsnostalgie sei, sondern Zukunftstechnologie. Sein Unternehmen, seit 1889 im Holzbau tätig, ist ein Beispiel für nachhaltige Bauindustrie.
Ist Schleswig-Holstein überhaupt ein Industrieland?
In ihrem Vortrag beleuchtete Frau Dr. Julia Körner, Geschäftsführerin der IHK zu Kiel, den Weg Schleswig-Holsteins zum klimaneutralen Industrieland und stellte die Frage: Ist Schleswig-Holstein überhaupt ein Industrieland? Im Vergleich zu Bundesländern wie Baden-Württemberg liegen die Beschäftigungsquote in der Industrie (zwölf Prozent) sowie der Anteil an Industrieflächen und Bruttowertschöpfung deutlich niedriger.
Trotzdem hob Frau Dr. Körner die Bedeutung der Industrie hervor: hochbezahlte Arbeitsplätze, Innovation und Exportstärke machen sie zu einem unverzichtbaren Wirtschaftszweig. Die Industriegehälter in Schleswig-Holstein liegen etwa einunddreißig Prozent über dem Landesdurchschnitt. Doch aktuelle Umfragen zeigen eine schwache Investitionsbereitschaft und zurückhaltende Perspektiven in der Branche.
Die Vision eines klimaneutralen Industrielands erfordert erhebliche Anpassungen, vor allem im Energiebereich. Der Flächenbedarf für Windkraft und Photovoltaik übersteigt den herkömmlicher Kraftwerke bei Weitem. Diese Veränderungen stellen die Region vor Herausforderungen und verlangen nach breiter gesellschaftlicher Akzeptanz.
Frau Dr. Körner betonte, dass Schleswig-Holstein das Potenzial hat, als nachhaltiges Industrieland eine Vorreiterrolle in Deutschland zu übernehmen – vorausgesetzt, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft arbeiten eng zusammen. Der Vortrag regte zur Diskussion über die Chancen und Herausforderungen auf diesem Weg an.
Akzeptanz ist kein Zufallsprodukt
Prof. Dr. Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim betonte, dass frühzeitige Information und gemeinsames Erarbeiten von Lösungen essenziell sind. Sein Fazit: „Es ist okay, ‚NIMBY‘ zu sein. Der Schlüssel ist ein ernsthafter Dialog.“
- Klare Kommunikation: Frühzeitige, umfassende Information.
- Ehrliche Einbindung: Gemeinsam Lösungen erarbeiten, statt fertige Pläne vorzustellen.
- Dialog statt Monolog: Respektvoll auf verschiedene Interessen eingehen.
„Akzeptanz entsteht durch gute Kommunikation, Projektwissen, transparenten Nutzen und eine klare Vision.“
Praxis trifft Theorie: Erfolgsformeln für Akzeptanz
Ralf Eggert, Geschäftsfeldleiter der IFOK GmbH, ergänzte die wissenschaftlichen Erkenntnisse durch praktische Beispiele. Sein Fazit: „Akzeptanz entsteht durch gute Kommunikation, Projektwissen, transparenten Nutzen und eine klare Vision.“ Schleswig-Holstein habe durch Stromüberschüsse und freie Flächen ideale Voraussetzungen für industrielle Entwicklungen.
Offenheit und Mut: Erfahrungsbericht eines Bürgermeisters
Ein Höhepunkt des Abends war der Beitrag von Daniel Ambrock, Bürgermeister der Gemeinde Bovenau. Offen schilderte er die Schwierigkeiten bei der Planung eines 60 Hektar großen Gewerbegebiets:
- Kommunikationsfehler und mangelnde Bürgerbeteiligung führten zu Widerständen.
- Ängste der Bürger, wie der Verlust von Grünflächen, blockierten die sachliche Diskussion.
- Ein strukturierter Bürgerdialog soll nun den Konflikt lösen.
Klare Botschaften des Abends
Der Abend verdeutlichte, dass Schleswig-Holstein das Potenzial hat, ein Vorreiter für klimaneutrale Industrieansiedlungen zu sein – vorausgesetzt, alle Akteure arbeiten eng zusammen. Akzeptanz entsteht dabei durch transparente Kommunikation, frühzeitige und ehrliche Bürgerbeteiligung sowie glaubwürdige Visionen. Besonders wichtig ist die lokale Ebene: Visionen müssen direkt vor Ort mit den Menschen abgestimmt werden, um Vertrauen und Unterstützung zu gewinnen. Zudem brauchen kleine Kommunen gezielte Beratung und Anreize, damit auch sie von den Chancen der Industrieansiedlungen profitieren können.
Networking und neue Ideen
Nach den Vorträgen nutzten die Gäste die Gelegenheit, sich bei einem Imbiss auszutauschen. Unternehmerinnen und Unternehmer diskutierten gemeinsam mit politischen Vertreterinnen und Vertretern aus Kommunal-, Landes- und Bundesebene über Lösungsansätze und Perspektiven.
Mit Formaten wie „Kompass“ unterstreicht die IHK zu Kiel ihre Rolle als wirtschaftspolitischer Kursgeber: Von der Vision zur Umsetzung – für eine zukunftsorientierte Industrie in Schleswig-Holstein.
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Patrick Schmidt