Kirche und Wirtschaft

"Es ist Zeit für eine Sozialwende"

Die Energiewende in Deutschland sowie der Wertewandel in Wirtschaft und Politik beherrschen die Schlagzeilen. "Wir benötigen auch eine Sozialwende, die die Bürger einbezieht. Dafür ist es höchste Zeit." Das forderte Kirsten Fehrs, Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck, auf dem "Roten Sofa" in der IHK zu Lübeck.
Gemeinsam mit Friederike C. Kühn, Vicepräses der IHK zu Lübeck und Geschäftsführerin der MWS Werbeagentur GmbH in Bargteheide, und Renate Menken, Vorsitzende des Stiftungsvorstandes der Possehl-Stiftung Lübeck, diskutierte die Bischöfin über das Thema: "Kirche & Wirtschaft – Soziale Verantwortung in der Region".
Der Bischöfin bereite die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich, aber auch Jung und alt Sorgen, betonte sie in der von Schleswig-Holsteins ehemaligem Ministerpräsidenten Björn Engholm moderierten Runde. Den Menschen fehle das Gefühl dafür, was es bedeute arm oder Hartz-IV-Empfänger zu sein. "Das heißt, nicht zu wissen, was es morgen zu Essen gibt." Ihr Vorbild sei der barmherzige Samariter, der geteilt und geholfen hat. Auch ist er vom Esel gestiegen, um auf derselben Ebene mit den Bedürftigen zu erfahren, was den Armen hilft. Fehrs sieht die Kirche auch heute in der Pflicht, die Menschen zur Barmherzigkeit zu motivieren. "Wir müssen dran bleiben und die Menschen überzeugen", sagte sie. Viele Menschen hätten Angst davor, sich zu engagieren und mit sich mit ihnen bis dahin unbekannten Problemen zu befassen, so Fehrs. Sie habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass bürgerschaftliches Engagement den Menschen großen persönlichen Halt gebe.
Für die ehrbaren Kaufleute in Lübeck und anderen Hansestädten sei es trotz ihrer zum Teil großen Gier selbstverständlich gewesen, Gutes für die Armen und die Städte zu tun, sagte Engholm. Viele hätten aus christlichen Motiven heraus gehandelt. Es sei aber auch gut für den Ruf des Kaufmanns gewesen, als guter Mensch zu gelten. Warum würden viele Mittelständler noch heute so handeln, wollte Engholm von Friederike Kühn wissen. "Ich habe mich immer dort engagiert, wo ich gewohnt und gearbeitet habe. Damit habe ich der Region etwas Gutes zurückgegeben", sagte sie.
Helfen könne jeder, so Kühn. Es müssten nicht immer Millionen Euro sein, auch kleine Taten wie das Kopieren von Flyern für Vereine seien eine wichtige Unterstützung. "Mein Motto ist es, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Sponsere ich mit meiner Firma Trikots für eine Fußballmannschaft, erwarte ich eine Beteiligung der Sportler. Nur so kann ich sicher sein, dass sie pfleglich mit den Trikots umgehen", betonte Kühn. Bei jedem Engagement beziehe sie ihre Belegschaft mit ein. Das steigere die Motivation und die Identifikation mit dem Arbeitgeber.  
Humanitas und Vernunft müssten die Bürger dazu bringen, sich zu engagieren, fasste Engholm zusammen. Dem stimmte Renate Menken zu. Wer anderen hilft, sollte sich nicht fragen, ob es sich für ihn lohnt. "Ein Unternehmer hat einmal gesagt, es sei keine Schande, reich zu sein. Es sei aber eine Schande, reich zu sterben." Getreu diesem Motto habe auch der Industrielle Emil Possehl gehandelt und sein Vermögen über die Stiftung der Hansestadt Lübeck vermacht.
Der Lübecker Unternehmer Jens Dühring forderte in der Diskussion eine bessere Aufklärung seitens der Hilfsorganisationen und Vereine. "Die Menschen müssen wissen, dass eine Organisation sie als Persönlichkeiten benötigt, nicht, weil die Personen Geld haben." Auch die Vereine und Verbände sollten zum Wertewandel beitragen, ergänzte er.
IHK-Hauptgeschäftsführer Matthias Schulz-Kleinfeldt griff das Stichwort "Wertewandel" auf. "Insgesamt erlebt das Leitbild des ehrbaren Kaufmannes eine Renaissance. Es ist sehr erfreulich, dass zunehmend immer mehr Unternehmen die Zustimmung der Öffentlichkeit anstreben, indem sie ihre Ziele mit gesellschaftlichen Werten verknüpfen. Das soziale Engagement von Unternehmen wird langfristig daher zu einer tragenden Säule der Gesellschaft."