Künstliche Intelligenz und ChatGPT

„Proaktiv an der KI-Wertschöpfung teilnehmen“

Künstliche Intelligenz und ChatGPT verändern die Beziehung zwischen Mensch und Maschine. Doris Weßels ist Professorin für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Kiel und mahnt, den Diskurs auch auf unternehmerischer Ebene zu führen.
Frau Weßels, wer ist OpenAI und was hat ein Chat damit zu tun?
Wer sich mit KI befasst, kommt an OpenAI aus San Francisco nicht vorbei. Das 2015 als Non-Profit-Betrieb gestartete Unternehmen erforscht KI und hat die Produkte GPT-3, DALL-E und ChatGPT auf dem Markt, die derzeit riesige Wellen schlagen. Sogar den superreichen Investoren war anfangs nicht klar, wie profitabel das Ganze werden würde. Mittlerweile ist Microsoft Großinvestor und beabsichtigt, diese Technologien möglichst umfassend in die eigenen Produkte wie die Office-Lösungen zu integrieren. Die Entwicklung der generativen KI-Modelle führt zu immer leistungsfähigeren Systemen. Wir sind im Falle von ChatGPT bereits beim Modell 3,5 angekommen, und es zeigt sich, dass die KI Höchstleistungen in der maschinellen Verarbeitung natürlicher Sprache erbringt, je riesiger das Modell ist. Schon heute lässt sich nur in Ausnahmefällen erkennen, dass es sich um einen KI-generierten Text handelt. ChatGPT ist der Prototyp eines Chatbots, also ein Dialogsystem.
Warum müssen sich Unternehmen mit der Thematik befassen?
 KI, die aus den USA, China oder Israel stammt, wird mit den dort vorherrschenden Werten und dortigem Wissen angelernt. KI mit deutschen oder europäischen Trainingsdatensätzen würde andere Ergebnisse liefern als eine KI aus anderen Regionen der Welt. Und hier liegt der Schlüssel: Wenn wir selbstbestimmt KI für die deutsche Wirtschaft einsetzen wollen, dürfen wir nicht lediglich Kunden des US-Markts werden, wie das Beispiel ChatGPT zeigt, sondern müssen proaktiv und eigenständig an der KI-Wertschöpfung teilnehmen. KI kann auch für uns hier im Norden zur Schlüsseltechnologie werden, wenn es um Digitalisierung, Klimaschutz oder Bildung geht. Unsere Hochschulen leisten bereits Pionierarbeit in der KI-Forschung und -Entwicklung. Um die Experten von morgen zu halten, müssen die wirtschaftliche Basis und der strategische Handlungsspielraum für Start-ups und gestandene Unternehmen gegeben sein. Hier sind Politik, Investoren und Unternehmen gleichermaßen gefragt.
Wenn wir selbstbestimmt KI einsetzen wollen, dürfen wir nicht lediglich Kunden des US-Markts werden.
Wo sehen Sie Handlungsoptionen für die Wirtschaft?
Der Einsatz von KI-Technologien forciert die Automatisierung, sodass menschliche Arbeitskraft durch IT-Lösungen ersetzt werden kann, etwa durch den Einsatz von Chatbots. Dadurch entschärft sich in bestimmten Bereichen die Fachkräfteproblematik, aber es entstehen auch neue Berufsbilder, die in der Regel ein sehr hohes Kompetenzniveau erfordern. In jedem Fall wird die kontinuierliche Qualifizierung der Mitarbeitenden bedeutsamer. Derzeit dominieren Anwendungsbeispiele im Marketing- und Sales-Bereich noch. Trotzdem lohnt sich der Blick auf KI bei Dokumentationen, interner Kommunikation, Kundenservice, Feedbackschleifen, Effizienzsteigerung, Programmierung oder Jahresabschlussberichten. Problematisch ist noch, dass generative KI-Modelle wie GPT-3 und darauf basierende Anwendungen wie ChatGPT eine Blackbox und damit für uns nicht transparent sind. Und, natürlich: Auch eine KI macht Fehler – wie wir Menschen.
Welche Veränderungen um GPT – und KI im Allgemeinen – sind 2023 zu erwarten?
Nach meiner Einschätzung sind die zu erwartenden Implikationen viel gravierender, als wir es heute vermuten. Täglich kommen neue KI-gestützte Werkzeuge auf den Markt, die an die großen Sprachmodelle wie GPT‑3 oder 3,5 von OpenAI oder anderen Anbietern andocken – auch dank des Gründerbooms in diesem Bereich. Schon heute lassen sich mit sehr wenig Input ganze Präsentationen, Bilder, Videos, Filme, Musikkompositionen und mehr auf Knopfdruck generieren. Dadurch entstehen aber auch Prozessketten, die auf Dauer keinen Sinn mehr machen und einen kompletten Change erfahren müssen. Die noch immer nicht ausreichend thematisierten rechtlichen Fragestellungen zu Urheber- und Haftungsrecht müssen endlich behandelt werden – juristisch sind wir hier viel zu zurückhaltend. Reißen wir das problematische Feld KI-Kunst nur an: Generatoren wandeln Texteingaben in Kunstwerke um. Hier sehen wir Datenmissbrauch erster Güte, denn die KI nutzt als Basis riesige Mengen vermutlich urheberrechtlich geschützter Bilder aus dem Internet – und kein Künstler verdient an dem neu generierten Werk. Fälschungen werden so kaum noch zu erkennen sein. Die rechtliche Präzisierung der Plagiatsdefinition wird im KI-Zeitalter zu einer sehr großen Herausforderung. Außerdem sind Fülle und Varianten an Deepfakes kaum abzusehen. Die dahinterliegenden Datensätze solcher Generatoren machen uns bewusst, dass wir eine ethische KI-Technologie benötigen. Die von der Europäischen Union veröffentlichten Ethik-Leitlinien für eine vertrauenswürdige KI bieten uns eine gute Orientierung. Wir wollen und dürfen Innovationen nicht ausbremsen, benötigen aber auf der anderen Seite ein Mindestmaß an Transparenz und Fairness. Daher müssen wir uns umgehend mit Kennzeichnungspflichten, Lizenzvereinbarungen und vermutlich auch neuen Formen von KI-Gütesiegeln beschäftigen.
Interview: Julia Romanowski