"Das Ziel des Verkehrsversuchs war richtig"

Ein Jahr Verkehrsversuch hat die Mannheimer Innenstadt hinter sich. Nun stehen der Rückbau und die Auswertung an. Doch die Diskussion um den Verkehrsversuch geht weiter. IHK-Präsident Manfred Schnabel beantwortet die wichtigsten Fragen:
Ein Jahr lief der Verkehrsversuch in der Mannheimer Innenstadt. Wie fällt die Bilanz aus Sicht der IHK aus? 
Wir teilen das Ziel, den Durchgangsverkehr aus der Innenstadt rauszuhalten, Emissionen zu mindern, die Aufenthaltsqualität zu stärken und Alternativen zum motorisierten Individualverkehr zu stärken. Gleichzeitig muss der Zielverkehr in die Innenstadt fließen können: Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten und Anwohner müssen die Innenstadt mit dem Verkehrsmittel ihrer Wahl erreichen könne, also auch mit dem Auto. Angesichts dieser Ziele hat der Verkehrsversuch die meisten Betriebe der Innenstadtwirtschaft nicht überzeugt, was unsere Umfragen und Foren immer wieder gezeigt haben. Die Sperrung einzelner Straßen hat wohl zur Belastung anderer und zu Umwegen in der City geführt. Wir rechnen damit, dass der Parksuchverkehr inzwischen rund ein Drittel des gesamten Verkehrs ausmacht. Das bedeutet eine unnötige und zusätzliche Belastung. Es bleibt aber dabei: Das Ziel war richtig! In diesem Sinne bringen wir uns auch weiter konstruktiv ein und wollen den Dialog mit der Stadtverwaltung weiterführen.
Was waren die positiven und die negativen Aspekte für den Handel?
Der Mannheimer Einzelhandel ist hervorragend aufgestellt und rangiert nach wie vor unter den Top-Einkaufsadressen in Deutschland. Als Oberzentrum der Metropolregion Rhein-Neckar ist er aber existenziell darauf angewiesen, dass die Kunden aus der ganzen Region gerne und mit dem Verkehrsmittel ihrer Wahl in die City kommen. Die IHK-Kaufkraftanalyse zeigt, dass aber genau diese notwendige Kaufkraftbindung aus der Region in der Mannheimer City im Vergleich zu anderen Städten dramatisch, und zwar um rund ein Drittel, eingebrochen ist. Unter unseren Mitgliedsunternehmen in der City herrscht weitgehend Konsens, dass für diese Entwicklung die Verkehrssituation mitverantwortlich ist. Es ist ausdrücklich nicht der Verkehrsversuch allein! Gründe für die schwierige Verkehrssituation sind auch die vielen Baustellen, die Sperrung des Fahrlachtunnels und die großen Probleme bei den Neckar- und Rheinquerungen. Diese tatsächlichen und empfundenen Probleme halten die Kunden aus dem Umland davon ab, mit dem PKW in die City zu fahren.
Kann der Verlust an Kaufkraftbindungsquote wieder aufgeholt werden nach Ende des Versuches?
Neben der Lösung der konkreten Verkehrsprobleme wie Baustellen, der gesperrte Fahrlachtunnel oder Engpässe bei den Rheinquerungen, geht es vor allem auch darum, die Stimmung zu drehen. Vieles ist auch hier Psychologie! Die Negativstimmung zieht ihre Kreise und spricht sich auch bei den Kunden im Umland herum. Deshalb ist es wichtig, dass nun Rechtssicherheit und Verlässlichkeit einkehrt und Rückbaumaßnahmen zügig umgesetzt werden. Sehr problematisch wäre es, wenn die Negativstimmung und Polarisierung nun weiter angeheizt würden. Dies könnte beispielsweise dadurch geschehen, dass der Gemeinderat über die “Neuauflage und Verstetigung des Verkehrsversuchs” übereilt entscheidet. Das Risiko ist groß, denn wir stehen mitten in einem Wahlkampf und wir möchten nicht, dass dieser möglicherweise auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen wird. Gerade vor der für die Wirtschaft wichtigen BUGA brauchen wir eine gute Stimmung und keine Polarisierung. Entscheidungen sollten dann vom neuen Oberbürgermeister eingeleitet werden. Aber ja: die Innenstadtwirtschaft ist hervorragend aufgestellt und mit einem Konsens kann die Wirtschaft zu alter Stärke zurückgeführt werden.
War der Versuch ein Vorbild für eine langfristige Lösung oder muss man das Verkehrsproblem in der Innenstadt anders angehen? 
Im Ziel sind wir mit der Mehrheit der politischen Kräfte einer Meinung: Der Durchgangsverkehr muss raus, der Zielverkehr muss fließen. Und zwar mit möglichst geringen Emissionen. Das Ziel einiger, die City in eine autofreie und wirtschaftsfreie Wohnstadt zu verwandeln, teilen wir nicht. Ganz im Gegenteil: Die Innenstadt ist kein bloßer geographischer Punkt, sondern vielmehr ein Ort, an dem vielfältiges soziales Leben aus der Mischung von Handel, Gastronomie, Dienstleistungen, Freizeit, Kultur und Wohnen entsteht. Ohne Wirtschaft wird diese nicht gelingen und Wirtschaft braucht Wirtschaftsverkehr. Für manchen, der jetzt eine autofreie City fordert, würde es ein böses Erwachen geben, wenn die Wirtschaft den Rückzug antreten würde.
Was sind Ihre Lösungsansätze?
Bei der Umsetzung der Verkehrsziele verfolgen wir seit vielen Jahren eine sehr klare Strategie, die an den konkreten Gegebenheiten in der Metropolregion Rhein-Neckar ansetzt, nämlich den Durchgangsverkehr weiträumig um die beiden Städte Mannheim und Ludwigshafen herumzuleiten und den Zielverkehr so zu ertüchtigen, dass möglichst viele auf das Auto verzichten können. Hierzu haben wir Studien wie unsere Untersuchungen zur Erreichbarkeit der Innenstädte und den Kernraum der Metropolregion sowie zur Notwendigkeit einer dritten Rheinquerung beauftragt. Auf dieser Grundlage bringen wir konstruktive Vorschläge ein. Zentral in diesem Zusammenhang ist auch der Mobilitätspakt Rhein Neckar, dessen Partner wir sind. Wir betreuen dabei die Arbeitskreise zum Pendlerverkehr und zum Güterverkehr.
Und konkret schlagen Sie vor?
  1. Beim Durchgangsverkehr liegt das Hauptproblem darin, dass die einzigen beiden Rheinquerungen in der Nähe mitten durch die Städte Mannheim und Ludwigshafen führen. Das hat zur Folge, dass der Ost-West-Verkehr durch die Metropolen gezwungen wird. Im Jahr 2010 haben wir daher eine Studie veröffentlicht, in der wir eine weitere Rheinquerung fordern, die ja bereits auf dem Bundesverkehrswegeplan stand. Dass beide Brückenzufahrten wegen Baumängeln und Bauarbeiten über Jahre nur eingeschränkt befahrbar sind, verschärft die Situation zusätzlich. Die Schließung einzelner Straßen kann das Problem nur verlagern und höchstens einen sehr eingeschränkten Lösungsbeitrag bilden. Der Durchgangsverkehr darf erst gar nicht rein nach Mannheim. Die Verkehrsprobleme der Region treffen die Mannheimer Innenstadt, werden dort aber nicht gelöst.
  2. Beim Zielverkehr setzen wir darauf, Kunden und Mitarbeitern attraktive Alternativen zum Individualverkehr zu bieten, sodass sie gerne auf das eigene Auto verzichten. Zentral ist hierbei der Ausbau des ÖPNV und wir bringen uns mit unseren Unternehmen intensiv in die Verbesserung der Nutzungsmöglichkeiten ein. Allerdings stößt das in einer multizentrischen, ländlich geprägten Flächenregion wie der Metropolregion Rhein-Neckar an seine Grenzen. Auf viele Jahre wird der ländliche Raum nicht so dicht angebunden sein, wie sich das mancher Städter wünscht und vorstellt. Wenn Mannheim auf die Erreichbarkeit aus dem ländlichen Raum verzichtet, büßt die Stadt die Funktion als Oberzentrum ein.
Oft wird auf Metropolen in Europa oder andernorts verwiesen, die den Verkehr aus der City verbannt haben.
Metropolen wie Wien, London oder andere Hauptstädte taugen nicht als Vorbild, weil wir in unserer Flächenregion mit einem großen ländlichen Raum völlig andere Voraussetzungen haben. Wir haben in der Metropolregion Rhein-Neckar eben kein U-Bahn-Netz, mit dem man aus jedem Dorf nach Mannheim kommen kann. Wir müssen also auf viele Jahre die Erreichbarkeit auch durch das Auto sicherstellen und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Transformation zu einer emissionsarmen bzw. emissionsfreien Mobilität gelingt. Erfreulicherweise ist diese Entwicklung bereits in vollem Gange. Gleichzeitig brauchen wir technologische Lösungen, wie beispielsweise ein modernes Parkleitsystem, um den Parksuchverkehr zu reduzieren. Ohne zu viel zu versprechen: Allein die Reduktion des Durchgangsverkehrs, des Parksuchverkehrs und des Ausbaus des ÖPNV hat das Potenzial, den Verkehr um mehr als die Hälfte zu verringern, ohne ein einziges Verbot oder eine Straßensperrung auszusprechen. Wir sehen keinen Widerspruch, auf diese Art Wirtschaft, Anwohner und Klima unter einen Hut zu bekommen und verschließen uns auch nicht temporären Verkehrsversuchen. Schädlich finden wir ein polarisierendes und dogmatisches Verhalten – gleich auf welcher Seite. Wir setzen auf zukunftsgerichtete Lösungen und auf einen konstruktiven Dialog. Nach Pandemie, Inflation und Kaufzurückhaltung können wir uns jedenfalls keinen weiteren Versuch leisten, der nicht wirklich zu Ende gedacht ist. Am Ende könnte es nämlich heißen: Operation gelungen – Patient tot!
Mannheim, 20. März 2023
Studien:
Mobilitätspakt für die Metropolregion Rhein-Neckar: