02 | 2022

Fachkräfte: Schwierige Suche

Für Unternehmen wird es immer schwieriger, ihre freien Ausbildungsplätze zu besetzen. Das Problem ist nicht neu, doch die Coronakrise die Situation verschärft. Wie Firmen in der Region den Fachkräftebedarf der Zukunft sichern, zeigen die Beispiele Kyocera und Freudenberg.
In einem Besprechungsraum hängt in einem einfachen Rahmen ein Plakat, darauf steht: „Möglichkeiten schaffen, damit sich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter materiell und intellektuell weiterentwickeln können und durch gemeinsame Anstrengung zum Fortkommen von Gesellschaft und Menschheit beitragen“. Es ist der Anspruch des Mannheimer Keramikhersteller Kyocera. Die einstige Division Keramik, die zur Friatec gehörte, wurde vor zwei Jahren vom namensgebenden Konzern aus Japan übernommen. “Die Manager sind entsprechend geschult und müssen das tagtäglich berücksichtigen”, sagt Kyocera-Geschäftsführer Armin Kayser. Grundprinzip des Unternehmens sei Wachstum. Damit das gelingt, braucht der Spezialbetrieb, der Bauteile aus technischer Keramik herstellt, die sich dann in der Halbleitertechnik, Medizintechnik oder dem Maschinenbau wiederfinden, gut ausgebildete Fachkräfte. Weil der Markt diese nicht immer oder nicht in ausreichender Zahl hergibt, sorgt Kyocera selbst dafür. 
Entsprechend hoch ist die Ausbildungsquote: Sie liegt bei dem Mittelständler mit 300 Mitarbeitern bei rund zehn Prozent. Aktuell lernen bei dem Betrieb in Friedrichsfeld 25 gewerbliche Auszubildende – Zerspanungsmechaniker, Industriemechaniker, Industriekeramiker – zwei angehende Industriekaufleute und ein Kaufmann für Digitalisierungsmanagement. Das ist ein neuer Beruf, der durch die Neuordnung der IT-Berufe entstanden ist. Die Aussichten für einen Job im Anschluss? “Sehr gut”, sagt Personalchef Bernhard Stähle. „Die können mit Ende 20 so viel verdienen wie der studierte Ingenieur.“ Ausbildung, so werben Stähle und Kayser, sei heutzutage viel attraktiver als noch vor zehn Jahren. “Die Technologien, mit denen wir arbeiten, sind neu, die Anforderungen hoch”, so Kayser. Kyocera bildet im Verbund aus, das heißt, die Auszubildenden sind die ersten 15 Monate im Ausbildungszentrum von ABB in Heidelberg. „Das hat für uns den großen Vorteil, dass an den modernsten Maschinen unter professioneller Betreuung gelernt wird“, betont Kayser. Danach kehren die jungen Leute ins Werk von Kyocera zurück und absolvieren die restliche Zeit ihrer Ausbildung dort. 

Wilhelm Schüttler, Ausbilder bei Freudenberg:
Eine Ausbildung stellt die Menschen breit auf, das müssen wir wieder stärker kommunizieren. Denn die Fachkräfte sichern die Zukunft von uns allen.
Die allermeisten bleiben nach erfolgreichem Abschluss im Betrieb – und machen Karriere. “Wir haben wenige Ingenieure, die direkt von der Universität kommen, viele sind Meister oder Techniker, die bei uns ausgebildet wurden und sich später weitergebildet haben“, sagt Stähle. Welche Chancen eine Ausbildung bietet, das sei vielen nicht klar, und die Coronakrise habe die Situation noch verschärft. Wegen der monatelangen Schulschließungen und später Kontaktbeschränkungen konnten die Unternehmen nicht vor Ort in die Schulen gehen, um sich dort zu präsentieren. Die Botschaft "Bewirb Dich bei uns” hat so die Zielgruppe nicht erreicht. “Wir suchen händeringend Auszubildende, das ist unglaublich schwierig.” Für Stähle sind Berufsorientierungstage, Ausbildungsmessen und Praktika essenziell, damit sich Betriebe und potenzielle Bewerber kennen lernen, damit junge Menschen überhaupt eine Vorstellung davon bekommen, was sie einmal werden wollen und können. “Es gibt unzählige Berufe, die Schülerinnen und Schüler wissen oft gar nicht, worüber sie reden“, sagt Stähle, der sich noch mehr und engere Kooperationen zwischen Firmen und Schulen wünschen würde, um frühzeitig den Fokus auf die Berufswahl legen zu können. Denn sonst wechselten die einen auf weiterführende Schulen, anstatt eine Lehre zu beginnen, andere gehen an die Universität und so manch einer geht auch ganz verloren. „Das können wir uns nicht leisten”, betont Kayser. Schon jetzt sei absehbar, dass das Kontingent an künftigen Fachkräften, das Kyocera ausbildet, kaum reichen werde, um dem demografischen Wandel abzufangen, der in ein paar Jahren überall zu vielen Lücken führen werde.
Von Mannheim nach Weinheim: Vor vier Jahren hat Freudenberg hier rund 8,5 Millionen Euro in ein neues Gebäude für Aus- und Weiterbildung investiert. Das Bildungszentrum befindet sich an prominenter Stelle im Industriepark. Wer das Gelände an Tor 1 betritt, läuft automatisch an dem Bau vorbei. “Das Ausbildungszentrum ist eines unserer modernsten und innovativsten Gebäude”, sagt Wilhelm Schüttler, Technischer Leiter des Bildungszentrums. Auf zwei Etagen mit hellen, offenen Räumen stehen hier Hightech-Maschinen. Die Lernmethoden sind innovativ, bevor zum Beispiel in der Realität geschweißt wird, erproben die Auszubildenden die Technik zunächst mittels VR-Technologie, also in der virtuellen Realität. Freudenberg bietet auch anderen Unternehmen an, im Industriepark auszubilden. Inzwischen nutzen 27 Betriebe, darunter Coca-Cola, Naturin und Amazon, die Möglichkeiten der Verbundausbildung in sechs verschiedenen Berufen. Derzeit gibt es 188 Auszubildende, 69 davon befinden sich ersten Lehrjahr. Die Hälfte von ihnen gehört zu Freudenberg, die anderen zu den Ausbildungspartnern. 
Vor sieben Jahren hat sich Freudenberg zudem mit vier weiteren Unternehmen aus dem Rhein-Neckar-Kreis, MVV, John Deere, Roche Diagnostics und Heidelberger Druck zu einem Ausbildungsbündnis zusammengeschlossen. Die Partner legten eine neue Form des Praktikums auf: “Mint-5” – in einer Woche können die Praktikanten alle fünf Unternehmen kennen lernen, jeden Tag ein anderer Betrieb. Daneben geht es um Benchmarks: Was kostet die Ausbildung in anderen Unternehmen? Wie viele Auszubildende kommen auf einen Ausbilder? Und den Austausch über aktuelle Fragen. Die wohl aktuellste ist: Woher die dringend benötigten Auszubildenden in Zukunft nehmen? “Es gibt weniger Schulabgänger als noch vor ein paar Jahren, wir haben den Trend zum Studium, und wir befinden uns seit Monaten in der Corona-Krise”, sagt Schüttler. 
Die große Befürchtung ist, dass der Einbruch auf dem Ausbildungsmarkt erst im September offensichtlich wird. Während die Bewerberzahl für den Ausbildungsstart 2021 zumindest für viele größere Firmen im Bereich des Üblichen lag, gehen die Anschreiben und E-Mails derzeit nur zögerlich ein. “Es haben keine Ausbildungsmessen stattgefunden, keine Praktika, es fehlt der Bezug zum Berufsleben, was soll ich lernen, welche Möglichkeiten gibt es”, beschreibt Schüttler das Problem. Es gibt rund 350 Ausbildungsberufe, wie soll man da wissen, was für einen interessant sein könnte? Seit den 2000er Jahren habe die Zahl der Akademiker zugenommen, und im gleichen Maße sei die Attraktivität der dualen Ausbildung gesunken. „Dabei stellt eine Ausbildung die Menschen breit auf, das müssen wir wieder stärker kommunizieren“, mahnt Schüttler. Denn: “Die Fachkräfte sichern die Zukunft von uns allen.” 

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