06 | 2022

Existenzgründung – auf neues Terrain wagen 

Positive Nachrichten aus der Gründerszene: Nach einem Pandemie-bedingten Knick gehen wieder mehr Menschen den Weg in die Selbstständigkeit. 
Sie bleiben oft solo, haben noch einen anderen Job, sind Dienstleister, extrem anpassungsfähig und leidenschaftlich – so sehen die “typisch” deutschen Gründerinnen und Gründer aus. Im Bezirk der IHK Rhein-Neckar zählten dazu vergangenen Jahr 8.359 Personen – zuletzt wurde dieses Gründungs-Niveau 2014 erreicht. Zum Vergleich: 8.107 Neugründungen gab es im Corona-Jahr 2020. 
Nicht zuletzt nach den Erfahrungen der Pandemie, die die Schwächen vieler analogen Geschäftsmodelle offenlegte, erfolgen viele Gründungen digital und internetbasiert, wie die KfW in ihrem Gründungsmonitor 2022 feststellt. Nach einer Untersuchung des IHK StarterCenters bevorzugen es sechs von zehn Menschen zudem, ihre (alten) Jobs zu behalten und in Teilzeit zu gründen, was ein langsames Wachstum der neuen Unternehmung ermöglicht und gefühlt mehr Sicherheit bedeutet. 
“Gründungen spielen eine große Rolle für die Volkswirtschaft. Jeder, der seine Geschäftsidee heute nicht verwirklicht, fehlt als Unternehmerin oder Unternehmer von morgen”, betont Alex Wolf, Leiter des IHK StarterCenters. Aus der Praxis kennt Wolf die wichtigste Regel bei der Existenzgründung: Nicht aus jeder guten Idee wird automatisch ein erfolgreiches Start-up. Entscheidender Faktor ist die gründliche Vorbereitung. 
Auch wichtig: die richtigen Netzwerke. Speziell für Gründerinnen und gründungsinteressierte Frauen bietet die IHK daher seit diesem Sommer das Netzwerk “Jungunternehmerinnen” an. Die Teilnehmerinnen können dort ihr Wissen erweitern und sich mit anderen austauschen.
Welche Erfahrungen Neu-Unternehmerinnen und Unternehmer in der Rhein-Neckar-Region machen? Im Titelthema erzählen vier von ihnen ihre ganz persönliche “Auf neues Terrain wagen”-Geschichte, darunter Raphael Soueidan: 
Raphael Soueidan kann sich noch erinnern, als er mit einer Zwei in der Mathematikarbeit nach Hause kam und seine Mutter ihm deshalb verbot, beim Pokalspiel seines Ziegelhäuser Fußballvereins am kommenden Wochenende mitzuspielen. Dabei hatte der Trainer extra noch bei seiner Mutter angerufen: “Der Raphael ist Stürmer, der muss dabei sein!” Doch die Mama ließ sich nicht erweichen, und heute ist der 32-Jährige dankbar dafür. “Es heißt ja immer, der größte Gegner sei man selbst, ich bin für mich kein Gegner. Aber seither will ich die Eins – immer!”
Sein Bruder stirbt, da ist Soueidan noch in der Grundschule. Er verpasst damals fast ein ganzes Schuljahr und kommt deshalb auf die Hauptschule. Doch er ist ehrgeizig, erhält Nachhilfe und schließt die Schule mit einem glatten Einserschnitt ab. Soueidan wechselt auf die Wirtschaftsrealschule, danach auf das Wirtschaftsgymnasium. Anschließend studiert Soueidan Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Maschinenbau an der TU Darmstadt. 
Parallel betreibt er den “Heidelbeach”, eine Eventlocation in Heidelberg am Neckar. Später steigt Soueidan bei der Schiffers und Horn GmbH ein, einem Start-up, das Likör herstellt. Er baut das Lokal “Blickfang” in Heidelberg auf, ist danach Projektleiter bei einem Unternehmen und sammelt dort industrielle Projekterfahrungen in der Industrie. 2017 gründet Soueidan die Kommunikationsagentur Aparted Communication GmbH mit Hauptsitz in Schwetzingen. Die Schwerpunkte der Full-Service-Agentur liegen auf Marketing, Medien und Management, das Portfolio reicht von Kreativkampagnen über Corporate Branding und Events bis hin zur medialen Begleitung im Filmbereich. “Ich will anderen Leuten dabei helfen, ihr Unternehmen erfolgreich zu machen”, erklärt Soueidan, der vor zwei Jahren mit 30 das jüngste Mitglied der Vollversammlung der IHK Rhein-Neckar war. 
Weil er außerdem überzeugt ist, dass viele Menschen gute Ideen haben, aber nicht wissen, wie sie diese gewinnbringend umsetzen können, will Soueidan eine Schule für Unternehmerinnen und Unternehmer ins Leben rufen. Ende dieses Jahres soll sie an den Start gehen. Dozenten werden selbst Unternehmerinnen oder Unternehmer sein, die genau wissen, was sie den Teilnehmern vermitteln können: das Einmaleins des Wirtschaftsalltags. Die zwei- bis dreistündigen Kurse finden zwei Mal die Woche statt, und je nach Wissensstand erstrecken sie sich über ein, zwei oder drei Jahre. Zielgruppe sind Jungunternehmerinnen und Jungunternehmer und solche, die es noch werden wollen. Auch Schüler will Soueidan gezielt ansprechen. “Wir wollen Menschen dazu bewegen, ihren Traum zu verwirklichen.”
Dass das (meist) nicht ohne Risiko geht, will der Vater einer zweieinhalbjährigen Tochter nicht verhehlen. “Ich selbst hatte auch drei, vier harte Jahre”, betont der Unternehmer. Aber er weiß von seiner Mutter: “Wenn es mal nicht so gut läuft, muss man noch mehr lernen, dann schreibt man auch die Eins.”