04 | 2022

Mobilität – weg vom Öl

“Uns hätte es schlimmer treffen können.” Jochen Graeff, Geschäftsführer der Graeff Spedition GmbH & Co. KG, gibt sich realistisch, ja geradezu bescheiden, wenn man ihn nach seinem Befinden angesichts von zwei Jahren Corona-Pandemie befragt. “Wir im Transport- und Logistikbereich hatten lange nicht die Probleme wie das Hotel- und Gaststättengewerbe oder der Einzelhandel.” Die Corona-Folgen der Gesamtwirtschaft mit Krankheitsausfällen und Lieferkettenproblemen betrafen und betreffen jedoch immer noch die Gesamtwirtschaft und damit auch die Speditionen. „Wir sollten auch über die Themen globale Vernetzung und lange Werkbank bis China nachdenken“, meint Graeff. “Wir müssen in Europa wieder näher zum Lieferantenmarkt kommen.”
Die Abhängigkeit von China bei vielen Produkten ist zu groß. Und genau die gleiche Abhängigkeit im Bereich Energie besteht von Russland. “…auch wenn es hier bislang überhaupt keine Engpässe gab!”, sagt der Mannheimer Spediteur, der zwar immer eine gesunde Portion Optimismus ausstrahlt, aber die komplette Volkswirtschaft aufgrund der gegenwärtigen Energiepreissituation in Gefahr wähnt. “Ich sehe die wirtschaftliche Situation in den nächsten 24 Monaten sehr kritisch.” Sollte es gar zu einem Energieboykott Russlands kommen, fürchtet Graeff den kompletten wirtschaftlichen Stillstand, ausgelöst durch einen Produktionsstillstand bei Primärprodukten durch fehlende Ausgangsprodukte wie Öl und Gas. 
Jochen Graeff, Geschäftsführer der Graeff Spedition GmbH & Co. KG
Ich sehe die wirtschaftliche Situation in den nächsten 24 Monaten sehr kritisch.

Dieselpreis-Floater zur Kostendämpfung

Für Spediteure spielen der Treibstoff und sein Preis eine elementare Rolle. Transportlogistiker wie Graeff kalkulieren den Spritpreis auf etwa ein Viertel der Gesamtkosten. “Wenn nun die Treibstoffkosten um 25 Prozent steigen, dann gilt es, rasch mit dem Kunden in Kontakt zu kommen”, so der Geschäftsführer, dessen Unternehmen 40 Prozent aller Transporte mit dem eigenen Fuhrpark abwickelt. Zu 60 Prozent bedient er sich Subunternehmen, mit denen meist eine langjährige, vertrauensvolle Zusammenarbeit besteht. Dieser Kontakt zum Kunden sei das Entscheidende, um zum Beispiel eine Lösung des Energieproblems zu finden. Transportaufträge würden derzeit oft mit einem sogenannten Dieselpreis-Floater gekoppelt. Damit erhalten Spediteure eine Art Preis-Nachschlag, wenn sich der Dieselpreis nach oben verändert. “Da aber das Vertragsverhältnis mit Subunternehmen über Pauschalen abgedeckt wird und diese Subunternehmen gar keinen direkten Kundenkontakt haben, kommen diese unter Umständen rasch in eine wirtschaftliche Schieflage”, erklärt Graeff, der Mitglied im Verkehrsausschuss der IHK sowie des DIHK in Berlin sowie stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der SVG Straßenverkehrsgenossenschaft Baden eG ist.
Und welche Stellschrauben sieht der umtriebige Unternehmer für sein Unternehmen in der gegenwärtigen Situation? “Wenige.” So seine knappe Antwort. Jedes prosperierende Unternehmen müsse ständig seine Prozesse überprüfen und optimieren. Da blieben kaum Spielräume. Die Bahn als Speditionsalternative sei jedenfalls keine, meint Graeff. “Zu teuer, zu wenig Kapazitäten zu unflexibel und immer zu langsam”, fällt sein Urteil wenig schmeichelhaft aus. Außerdem gäbe es immer weniger Bahnstrecken und Gleisanschlüsse für Speditionen und Kunden. 
Auch die Fahrzeugauslastung sei kaum noch zu optimieren – ganz anders als die Fahrzeugtechnik. Die Zukunft gehöre sicherlich dem Elektroantrieb – im nächsten Schritt über eine Batterie, die vielleicht auch in ein paar Jahren konkurrenzfähige Reichweiten und niedrigere Eigengewichte böte. Langfristig könnten es auch Wasserstoff-Brennstoffzellen-Antriebe sein. “Doch da hätte die Politik viel früher viel aktiver sein müssen”, kritisiert Graeff, wie er überhaupt an der Politik kein gutes Haar lässt. Vor Jahren sei der LNG-Antrieb mit Flüssiggas propagiert worden. Heute stünden Unternehmen, die auf LNG gesetzt und vertraut haben, wegen massiv gestiegener LNG-Preise vor dem Ruin. Die Preissteigerung selbst sei keine Folge eines Liefermangels, sondern der gestiegenen Nachfrage. „Ich kenne Unternehmen, die 70 ihrer 140 Lkw mit LNG betreiben. Sie zahlen nun jeden Monat 200.000 Euro mehr. Das geht nicht mehr lange gut“, so Graeff. 
Eine Lanze bricht der Vorstand des Verkehrsgewerbes Baden e.V. auch für das Busgewerbe. Hier kämpften vor allem klein- und mittelständische Unternehmen ums Überleben, die im Auftrag von Kommunen und Kreisen den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) bedienen. Bei den Landratsämtern stießen ihre Nachforderungen aufgrund der Dieselpreise auf taube Ohren. So etwas wie Preisgleitklauseln oder Diesel-Floater seien unüblich. „Wenn man sich diesen Logistikbereich wegdenkt, bricht die gesamte ÖPNV-Logistik zusammen“, fürchtet Jochen Graeff. 

Busreisen mit Perspektiven

Optimistischer blickt Lena Grimm-Esposto in die Zukunft der Busbranche. Sie leitet seit 2019 als Geschäftsführerin das Unternehmen Grimm-Reisen GmbH in dritter Generation gemeinsam mit ihrem Vater Roland Grimm. “Wir erholen uns gerade von zwei Jahren Pandemie und müssen nun den Treibstoff-Schock verkraften”, sagt die Geschäftsführerin. Das sei ganz schön heftig. “Aber wir sind dennoch optimistisch.” Die Lust auf Reisen sei trotz des völligen Stillstandes während der Pandemie ungebrochen, und die Gäste schätzten den Service, bei allen Formen der angebotenen Reisen wirklich an der Haustür abgeholt zu werden. 
Bei allen Arten des Reisens, ob bei der Taxiabholung, bei dem Tagesausflug mit dem Bus oder gar der mehrwöchigen Auslandsreise spielen die Treibstoffkosten eine große Rolle. “Von fünf Prozent Anteil am Reisepreis sind diese inzwischen auf zehn Prozent gestiegen”, berichtet Grimm-Esposto. Aber die wirtschaftliche Basis sei mitnichten gefährdet. Das Unternehmen habe vor Corona sehr gut gewirtschaftet und auch jetzt verkrafte man die Spritpreiserhöhung sowie die allgemeine Inflation. 
Das gelingt vor allem auch dadurch, dass in den Reise-AGB festgelegt sei, dass man auch nach Vertragsabschluss mit dem Reisegast die Preise anpassen könne. “Davon haben wir sehr moderat erstmals in diesem Jahr Gebrauch gemacht und verlangen pro Reisegast und Reisetag einen Zuschlag von vier Euro”, so Lena Grimm-Esposto. Dank ausführlicher Begründung sei man bei den Gästen auf großes Verständnis gestoßen. Sie habe die Erfahrung gemacht, dass der Drang zum Reisen nach wie vor groß sei, auch wenn man vielleicht aus finanziellen Gründen nicht mehr ganz so oft reise wie in der Vergangenheit. Aber bei den Gästen setze sich die Erkenntnis durch, dass Busreisen wesentlich umwelt- und klimagerechter seien als die Individualreise mit dem Pkw. “Nachhaltigkeit wird auch bei uns und unseren Reisegästen immer wichtiger”, konstatiert die Geschäftsführerin von Grimm-Reisen. 

Wenige Spielräume bei den Taxen

Bei einer anderen Form des Reisens geht es nicht um Urlaub und Erholung, sondern um die dringende Beförderung von Schülern, Geschäftsleuten oder Patienten. Die Firma Taxi Herrmann führt im Großraum Mosbach solche Fahrten durch. Firmeninhaber Markus Herrmann kämpft in diesen Tagen mit ähnlichen Problemen wie die gesamte Logistik-Branche; allerdings hat er keine Möglichkeit, steigende Kosten durch Inflation oder bei den Spritpreisen weiterzugeben oder Honorare nachzufordern: “Spritkosten sind bei uns nach den Personalkosten die größten Ausgaben; dennoch schreibt uns das Landratsamt jeden Beförderungstarif genau vor. In einem Konzessionsgebiet gelten damit für jeden die gleichen Preise”, berichtet Herrmann. So etwas wie Preisgleitklauseln gebe es in der Branche nicht, und wenn man entsprechende Anträge bei den Behörden stelle, dann dauere die Bearbeitung manchmal Jahre. Wenn die Preise schließlich geändert werden dürften, dann müssten aufwändige Softwareumstellungen bei allen Fahrzeugen erfolgen und jede Uhr müsste dann erneut amtlich geeicht werden. “Wir müssen versuchen, durch kluge Planung und gutes Teamwork Preisschwankungen intern abzufedern”, so Herrmann. Auf staatliche Unterstützung mag er sich weder verlassen, noch sei diese überhaupt zu erwarten. 

Verbrenner ohne Zukunft

In einer strukturell ähnlichen Situation ist der Pflege- und Gesundheitsservice Cornelia Friedrich GmbH in Mosbach. Benjamin Schwarz ist dort als Assistent der Geschäftsleitung für die Fahrzeuge zuständig. Auch sein Pflegedienst leidet unter den Spritpreisen. Vertragliche Bindungen mit den Kassen lassen gegenwärtig keine Preisanpassungen zu. “Höhere Pflegesätze kann man eventuell später über die Verbände aushandeln, aber bis dahin müssen wir alle Preissteigerungen selbst puffern”, berichtet Schwarz. Die Familie Friedrich habe in der Vergangenheit gut gewirtschaftet und vor allem: Sie habe kräftig in E-Mobilität investiert. So lassen sich die monatlichen Sprit-Mehrkosten von knapp 2500 Euro besser verkraften. Von den 45 Fahrzeugen sind bereits 23 voll-elektrisch und drei sind Plug-in-Hybridfahrzeuge. Diese werden bereits über eigene Ladepunkte im Unternehmen geladen. Nur wenn es in die weitere Umgebung geht, fahren die Pflegekräfte vorzugsweise wegen der größeren Reichweite mit ihren Benzinern. 
Ende dieses Jahres soll eine eigene Trafostation auch mit öffentlichen Schnellladepunkten in Betrieb gehen, um noch mehr Fahrzeuge gleichzeitig laden zu können. Der Staat helfe dabei kräftig, wenn die Ladestationen für die Öffentlichkeit seien.
Mit Blick auf die Energiesituation und deren Verschärfung durch den Russland-Ukraine-Krieg rechnet Benjamin Schwarz damit, dass der gesamte Fuhrpark mittel- bis langfristig auf Elektro umgestellt wird: “Der Verbrenner hat langfristig keine Zukunft mehr, weder bei uns noch grundsätzlich!” 

Solidarität in Krisenzeiten

Ganz anders sind die Perspektiven dagegen bei der Binnenschifffahrt. Für Stephen Mnich, der mit seinem Bruder Torsten das Gütermotorschiff (GMS) “Gebr. Mnich” flußauf-flußab quer durch Deutschland und seine Nachbarländer steuert, wird auch langfristig kein Weg am Dieselmotor vorbeiführen. “Unsere Motoren haben Standzeiten von 25 Jahren und mehr – da lohnen keine vorzeitigen Neuinvestitionen, zumal eine alternative Antriebstechnik überhaupt nicht verfügbar ist”, erklärt Stephen Mnich. Auch er hatte, wie viele Binnenschiffer, mit der Corona-Krise zu kämpfen, wenn auch stark zeitverzögert. Viele Kollegen aus der Containerbranche seien mangels Aufträgen in die Schüttgutbranche gewechselt, in der sich auch die beiden Schiffe der Gebrüder Mnich bewegen. Die beiden anderen Brüder Patrick und Dominik führen ebenfalls ein Gütermotorschiff, die “GMS Kallisto”.
Ein knallharter Verdrängungswettbewerb mit einem Überangebot von Transportkapazitäten und daraus folgenden Preisabschlägen seien die Folgen gewesen. Das habe den vier Brüdern ordentlich zugesetzt. Nachdem man sich davon langsam wieder erholt hat, geht es neuerdings um die Treibstoffproblematik. “Bei 250.000 Litern Diesel pro Jahr für unsere beiden Schiffe müssen wir jeden Auftrag einzeln und noch schärfer kalkulieren”, so Stephen Mnich. Zum Glück muss er auf Basis der “Mannheimer Akte” keine Diesel-Steuer und auch sonst keine Schifffahrtsabgaben entrichten. Dieses internationale Abkommen wurde am 17. Oktober 1868 geschlossen und regelt bis zum heutigen Tag den Schiffsverkehr auf dem Rhein.
Langfristige Transportaufträge mit einem hohen Inflationsrisiko seien eher selten. Gegebenenfalls müsse man mit dem Auftraggeber nachverhandeln. Das sei weniger ein Problem als die Tatsache, dass die Bunkerstationen aufgrund der starken Dieselpreis-Schwankungen gar keine größeren Abgabemengen oder gar jährliche Mengenkontingente erlauben. Die Verhandlungsspielräume beim Tanken seien eher gering, so der Unternehmer.
In Krisenzeiten sofort nach Staatshilfen zu fragen, ist nicht Sache von Stephen Mnich: “Den Forderungen von den Verbänden nach mehr Unterstützung haben wir uns nicht angeschlossen. Derzeit haben alle Probleme; es gehört auch ein wenig Solidarität zur gegenwärtigen Situation.”
Und welche Stellschrauben sieht der Binnenschiffer, um seine Spritkosten zu senken? Wenige. Eigentlich bleibe nur das Drosseln der Fahrgeschwindigkeit. Langsamer fahren bedeutet aber auch eine Verlängerung der Fahrzeit und damit längere tägliche Arbeitszeiten. Für Familienunternehmen wie das der vier Brüder Mnich eher eine Option als für größere Reedereien mit vielen Angestellten. 
Doch eines liegt dem Binnenschiffer Mnich besonders am Herzen: “Die Binnenschifffahrt hat schon immer einen großen Umweltvorteil, der bei steigenden Energiepreisen noch deutlicher wird.” Deutschland käme den gesteckten Klimazielen viel näher, wenn es der der Binnenschifffahrt die Bedeutung gebe, die sie verdiene. “Auf der Rheinschiene könnten wir problemlos die Transportkapazität verdoppeln”, meint Stephen Mnich. Gerade bei zeitunkritischen Gütern wie Dünge- oder Futtermitteln habe das Schifft gegenüber der Bahn und erst recht gegenüber dem Lkw deutliche Vorteile – bergauf und erst recht bergab. “Da transportieren wir gut 1100 Tonnen und brauchen dafür kaum mehr als 20 Liter Diesel pro Stunde!”
 
Steigt der Dieselpreis weiter, wird es in der Logistikbranche noch mehr Veränderungen geben. Das muss, wie die Gespräche zeigen, aber nicht unbedingt zum Nachteil einzelner Unternehmen sein.


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