Heidelberg: Auf- oder abwärts?

Aufbruch und Beharrung liegen in Heidelberg nahe beieinander. Der Standort punktet mit Zukunftstechnologien und Nachhaltigkeit, gleichzeitig wächst die Unzufriedenheit im Mittelstand.
Am Neckar lässt es sich gut gründen und leben. Im neuen Report „Next Generation – Startup-Neugründungen in Deutschland“ liegt Heidelberg bundesweit in Relation zur Einwohnerzahl auf dem ersten Platz. Heidelberg zählt ebenso zu den nachhaltigsten Kommunen Deutschlands. Im Städteranking von WirtschaftsWoche, Immobilien Scout GmbH und IW Consult erreichte Heidelberg unter 72 Großstädten den dritten Platz in der Kategorie “Nachhaltigkeit”.
Im entsprechenden Gesamtranking schneidet Heidelberg mit Platz 22 von 72 Plätzen grundsätzlich passabel ab. Betrachtet man im sogenannten Dynamikranking jedoch, wie sich die einzelnen Indikatoren in den fünf zurückliegenden Jahren verändert haben, so erreicht Heidelberg nur noch Platz 38 und rutscht im Vergleich zum Vorjahr um besorgniserregende 22 Plätze ab. Laut den Forschern kann dies ein Hinweis darauf sein, dass eine Stadt eher von der wirtschaftlichen Substanz lebt, als im Standortwettbewerb aufzuholen.
Wer sich in Heidelberg umschaut, erlebt zwei Seiten: Da ist zum einen der boomende BioTech-, Life-Science- und IT-Standort mit zahlreichen Neubauprojekten in der Bahnstadt und im Heidelberg Innovation Park (hip) sowie großen Plänen für das Patrick-Henry-Village (PHV). Zum anderen fühlen sich viele mittelständische Unternehmer von der kommunalen Politik und der städtischen Gesellschaft zu wenig wahr- und ernstgenommen, klagen sie über langsame Verwaltungsverfahren und Fachkräftemangel.
Was wäre von der städtischen Politik gefordert, um die Wirtschaftsstruktur Heidelbergs jenseits von IT und BioTech zukunftsfest aufzustellen? Die Wunschliste kann nicht beliebig lang sein, denn die Heidelberger Haushaltslage ist angespannt. Im Doppelhaushalt 2025/2026 rechnet man statt des noch im Herbst 2024 angenommenen Defizits von 80 bis 100 Millionen Euro nun mit einem Fehlbetrag von 120 Millionen Euro. Die Ursache: gestiegene Ausgaben aufgrund zusätzlicher kommunaler Aufgaben und ein gesunkenes Gewerbesteueraufkommen, wie Oberbürgermeister Prof. Dr. Eckart Würzner im Interview erklärt. Eine Haushaltsstrukturkommission will nun bis zu 40 Millionen Euro einsparen. Zugleich sind neue Steuern und Abgaben im Gespräch: Eine kommunale Verpackungssteuer soll nach Überzeugung ihrer Verfechter nicht nur für zusätzliche kommunale Einnahmen sorgen, sondern auch die Vermüllung der Stadt durch To-Go-Verpackungen bekämpfen. Die Wirkung einer solchen Steuer ist jedoch umstritten.
Zuträglich sind der Wirtschaftskraft einer Kommune vor allem gut ausgebildete Fachkräfte, eine gute Erreichbarkeit und verfügbare Flächen für Gewerbe und Handel. In Heidelberg sind die Miet- und Lebenshaltungskosten jedoch hoch. Entsprechend klagen Unternehmer über Schwierigkeiten, nicht-akademische Fachkräfte zu finden und Schüler für eine Ausbildung zu begeistern. Attraktivitätssteigernd könnte eine Verbesserung des Wohnungsangebots wirken.
Eine gute Erreichbarkeit nutzt dem Wirtschaftsstandort, geht allerdings oft mit Lärm einher. Die Kommunalpolitik muss in Heidelberg gerade in zwei Konflikten ausgleichend wirken: Ende Oktober 2024 entschied der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof nach einer Klage von Anwohnern, dass die Stadt ihre Sperrzeit-Verordnung verschärfen muss. Die betroffenen Gastronomiebetriebe fürchten ihr Geschäft. Gegensätzlich sind auch die Meinungen beim Thema Straßenlärm. Die Verkehrslärmkartierung 2022 führte zu einer deutlich höheren Zahl der Lärmaktionsbereiche. Da sich andere Lärmminderungsmaßnahmen als nicht praktikabel erwiesen haben, werden aktuell Geschwindigkeitsbeschränkungen diskutiert.
Flächen scheinen in Heidelberg durch die Konversionsprojekte im Gesamtumfang von 180 Hektar genug vorhanden zu sein. Gute Bedingungen für die Neuansiedlung und das Wachstum der Heidelberger Betriebe sind dennoch rar gesät. Die meisten Möglichkeiten bietet aktuell der hip. Künftig kommen das Angebot im Interkommunalen Gewerbegebiet Leimen Nord – Rohrbach Süd sowie im PHV hinzu.
Hier wie an vielen anderen Stellen ist aber mehr Tempo gefordert. Die Klage, dass Verwaltungsvorgänge zu viel Aufwand verursachen und zu lange dauern, verbindet Unternehmer und Bürger Heidelbergs. Sicherlich gibt es hierfür viele Ursachen, die außerhalb der kommunalen Verantwortung liegen. Doch schadet es nichts, sich bewusst zu machen, dass Zeit für einen Wirtschaftsstandort Geld ist. Und Geld kann Heidelberg gut gebrauchen.
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