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Bioökonomie: Der Wirtschaft neue Kleider

Aus landwirtschaftlichen Produkten wie Holz, Stroh, Gras oder Kakaobohnen werden Zellstoff, Biokraftstoffe und Biogas gewonnen. Das sind Beispiele für Bioökonomie. “Bioökonomie bedeutet, Produkte auf der Basis erneuerbarer, biogener Rohstoffe herzustellen, möglichst lange zu nutzen und am Ende nicht als Abfall zu entsorgen, sondern als Ausgangsstoff für neue Produkte zu gebrauchen oder den natürlichen Stoffkreisläufe ohne Schadstoffe wiederzuzuführen”, erklärt IHK-Technologietransfermanager Thilo Schenk.
Dass dies bereits keine Zukunftsmusik mehr ist, beweisen zahlreiche bioökonomische Anwendungen in der Region, wie beispielsweise bei der hawo GmbH in Obrigheim. Das Unternehmen entwickelt und produziert seit 1975 Folienschweißgeräte. Ein wichtiger Bereich sind Maschinen für die Verpackung von Kleidung und Wäsche, zum Beispiel in Reinigungen. Jahrelang waren nur aus Polyethylen gefertigte Folien erhältlich. Das hawo-Team suchte nach einer nachhaltigeren Lösung, die nicht nur kompostierbar, sondern bei einer energetischen Verwertung auch klimaneutral sein sollte. Doch die am Markt verfügbaren Biofolien überzeugten nicht: Sie wurden oft auf der Basis von Mais, Soja oder Zuckerrohr hergestellt – Lebensmittel, für deren Anbau häufig südamerikanischer Regenwald weichen muss. Darüber hinaus sind diese Folien aufgrund ihres starken Eigengeruchs für Wäschereien ungeeignet.
So entstand die Idee, aus Kartoffelschalen – einem lokal verfügbaren Abfallprodukt der Lebensmittelindustrie – eine vollständig kompostierbare und geruchsneutrale Bio-Kunststofffolie auf Stärkebasis herzustellen. Ein Problem lag allerdings im Preis des neuen Produktes, der anfangs doppelt so hoch wie jener einer herkömmlichen Polyethylenfolie war. “Für uns war aber klar, dass der Endverbraucher bereit ist, für mehr Nachhaltigkeit einige Cent mehr zu zahlen. Und so war es auch”, berichtet Krattinger.
 
hawo-Produktmanager Wolfram Krattinger
Wir wollten uns nicht mit schlechten Kompromissen zufriedengeben.
Als sich die Biofolie in der Wäschereisparte etabliert hatte, ging es Schlag auf Schlag: hawo erreichten Anfragen aus allen möglichen Bereichen wie Krankenhäusern, Industriebetrieben oder dem Versandhandel. Das neue Produkt veränderte aber nicht nur das Sortiment, sondern auch das Unternehmen selbst, wie Wolfram Krattinger ausführt: “Die Entwicklung gab dem Team geradezu das Gefühl, in einem Start-up zu arbeiten, das mit einer neuen Entwicklung die Welt ein Stück besser macht.” Für seine Arbeit wurde hawo 2021 und 2022 mit dem German Innovation Award ausgezeichnet.
Neben dem vollständigen Ersatz der Erdölbasis kann bereits eine teilweise Substituierung durch nachwachsende Rohstoffe zu einer Verbesserung der Ökobilanz eines Produktes führen. Dieser Ansatz ist Timm Oberhofer wichtig. Der Geschäftsführer der Oberhofer Kunststoff GmbH aus Schönau beschäftigt sich intensiv mit der Frage, wie sein Unternehmen Kunststoff-Produkte nachhaltiger produzieren kann. Gelungen ist das bei einem speziellen Angebot: Plastikeimer aus “Krünstoff”, einem selbst entwickelten Kunststoff, der zu 30 Prozent aus grünem Wiesengras besteht. Weshalb aber Gras? “Gras ist für mich ein echter, nachwachsender Rohstoff, der allzu oft nur als Abfallprodukt angesehen wird”, erklärt Timm Oberhofer: “Holz sehe ich hingegen nicht als schnell nachwachsenden Rohstoff an. Ein gesunder Baum ist für mich immer schützenswert.”
Bis der Krünstoff wie Kunststoff verarbeitet werden konnte, war viel Entwicklungsarbeit notwendig. Für Oberhofer kam nicht infrage, die Wandstärke der Wiesengras-Produkte zu erhöhen, um den nachhaltigen Füllstoff problemlos einbinden zu können. Ein Füllstoff ist ein Zusatzstoff, der zum Grundmaterial zugegeben wird – in diesem Fall Wiesengras. Vielmehr fertigte das Unternehmen aus Krünstoff ganz bewusst Eimer – ein in diesem Zusammenhang herausforderndes Produkt, da der Plastikanteil normalerweise besonders hoch ist. Weitere Verwendungsmöglichkeiten für den Krünstoff sind ebenso in Planung wie die Verarbeitung zusätzlicher nachhaltiger Füllstoffe, zum Beispiel Kirschkernschalen, Weinreben oder Kaffeesatz. Ideal wären‚ so Timm Oberhofer, “Abfallprodukte” aus der Nahrungsmittelindustrie. Hierfür würden nämlich keine zusätzlichen Agrarflächen benötigt, die zur Ernährung für Mensch und Tier notwendig sind.
Die Erfolgsgeschichten von hawo und Oberhofer zeigen, dass bioökonomische Ansätze auch wirtschaftliche Herausforderungen mit sich bringen können. So kostet es oft Zeit und Geld, Lieferketten und Produktionsprozesse anzupassen, rechtskonform auszugestalten, neue Erfahrungen zu sammeln und Mitarbeiter zu schulen. Hinzu treten Markttrends und die Mentalität der Verbraucher: Nicht jedes ökologisch einwandfreie Produkt wird auch automatisch nachgefragt. “Das muss ein Markt erst einmal verkraften können”, erklärt IHK-Experte Thilo Schenk. Doch auf der Plusseite kann die Begeisterung der eigenen Belegschaft stehen, aktiv zum Umweltschutz beizutragen. Und ganz allein sind die Unternehmen nicht.
Kooperationen zwischen Betrieben, Hochschulen und Kommunen helfen, die notwendigen Kompetenzen interdisziplinär auszubauen, den Transfer in die Praxis zu beschleunigen, Fördermittel einzuwerben und durch kommunikative Maßnahmen zu flankieren. Deshalb will die Metropolregion Rhein-Neckar mit ihrem Vorhaben “KommBÖ4MRN” kommunale und urbane Netzwerke stärken und durch den Aufbau von regionalen Wertschöpfungsketten bioökonomische Potenziale heben. Die IHK hilft sowohl über ihr Technologietransfer-Angebot als auch über die Kompetenzstelle Ressourceneffizienz Rhein-Neckar (KEFF+) Unternehmen, die den Weg in die Bioökonomie wählen.


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