„Innenstädte brauchen Mut und Initiative“
Die gute Nachricht zuerst: Die jüngste Ausgabe des CIMA-Monitors „Deutschlandstudie Innenstadt“ zeigt ein Plus bei Gastronomie und den sogenannten konsumnahen Dienstleistungen. Weiterhin unter Druck ist dagegen der stationäre Handel – das ist die schlechte Botschaft. Wie Ostbayerns Innenstädte attraktiv bleiben können und zukunftsfähig werden, erklärt einer der Macher der Studie. Jan Vorholt ist Partner und Projektleiter bei der CIMA Beratung + Management GmbH in München.
Herr Vorholt, der Onlinehandel sorgt bereits dynamisch seit zwei Jahrzehnten dafür, dass niemand mehr eine Innenstadt aufsuchen muss, um ein bestimmtes Produkt zu kaufen. Dennoch sorgen gerade wieder die Leerstände großer Immobilien für schlechte Stimmung – wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?
Jan Vorholt: Tatsächlich haben wir in der aktuellen Ausgabe unserer Innenstadtstudie festgestellt, dass der Einzelhandel als Besuchsgrund weiterhin an Bedeutung verliert, das ist richtig. Auf der anderen Seite nimmt die Gastronomie zu, und auch die konsumnahmen Dienstleistungen und Freizeitnutzungen nehmen als Besuchsgründe zu. Deshalb sind wir der Überzeugung, dass die Innenstadt eine Zukunft hat. Aber Sie haben Recht: Es gibt eine ganze Reihe von Leerständen, und auch die Privatwirtschaft ist gefordert, hier mit spannenden Angeboten in die Marktlücken hineinzugehen.
Sind hier nicht auch andere Player als die Unternehmen selbst gefragt?
Die Kommunen oder auch Organisationen wie die IHK sind für den Rahmen verantwortlich. Sie sollten dafür sorgen, dass die Aufenthaltsqualität steigt. Je stärker aber der Schulterschluss zwischen allen Beteiligten ist, desto besser sind später die Ergebnisse, das zeigen unsere Studien im Übrigen auch. Rathäuser sind keine Dienstleistungsunternehmen für den lokalen Handel oder die Gastronomie. Deshalb müssen Letztere zum Beispiel auch Formate für Besuchsanlässe einfordern, wenn es solche noch nicht gibt und auch selbst daran mitwirken. Attraktive Veranstaltungen mit klarem Profil und einer breiten Zielgruppenansprache können ein Mittel sein.
Betrifft die Innenstadtmisere denn alle Kommunen gleichermaßen?
Im Grunde schon. Selbst kleine bayerische Kurstädte, die in der Vergangenheit noch keine Probleme hatten, spüren jetzt, dass sich die Zeiten ändern. Und wer erst heute beginnt, muss einen erheblichen Vorlauf einplanen, ehe Maßnahmen greifen. Ein wichtiger Aspekt, den alle Einzelhändler, egal wo, umsetzen sollten, ist die minimale digitale Präsenz – Google Maps sollte einen schon kennen, ließe sich salopp sagen. Leider sind immer noch sehr häufig digitale Leerstände festzustellen. Das ist vor allem in einer Tourismusregion wie Bayern schlecht.
Ein heiß diskutiertes Thema sind aber oftmals keine Links, sondern Parkplätze und ganz allgemein die Mobilität in den Städten – was ist Ihre Meinung dazu?
Mir persönlich wird diese Mobilitätsdiskussion zu emotional geführt. Autos und Parkplätze sind weder grundsätzlich schlecht noch ein Grundrecht. Diese Extreme bringen uns nicht weiter. Tatsächlich ist keine einzige prekäre Innenstadtsituation allein durch eine schwierige Parkplatzlage ausgelöst – zumindest wäre mir so etwas nicht bekannt. Hilfreich ist bei dem Thema, zu einer sachlichen Basis zurückzukehren. Wir müssen jedem oder jeder die Möglichkeit geben, mit ihrem bevorzugten Verkehrsmittel die Stadt zu erreichen: Entweder durch ausreichenden Parkraum in der Stadt, sichere Fahrradwege- und stellplätze, attraktive Fußwege oder öffentlichen Nahverkehr. Letztlich muss es für alle passen, darum geht es – zumindest, wenn man mehr Frequenz will.
Welche Art von Innenstadt sehen Sie als zukunftsfähig an?
Wir brauchen einen Nutzungsmix, der nicht nur den Einzelhandel beinhaltet. Es geht darum, Angebotslücken zu finden und zu füllen, Bildung und öffentliche Einrichtungen für mehr Frequenz in die Innenstädte zurückzuholen und vom Tagestourismus zu profitieren. Letzteres schafft man beispielsweise auch durch gute Leitsysteme. Außerdem will man alle, die man in die Stadt gelockt hat, ja nun auch möglichst lange dort halten, also braucht es hohe Aufenthaltsqualität – unter anderem durch konsumfreie Sitzgelegenheiten, am besten im Schatten oder sogar überdacht sowie saubere öffentliche Toiletten. Auch Grün- und Wasserelemente gehören gerade im Zuge des Klimawandels für einen angenehmeren Aufenthalt dazu. Das klingt jetzt vielleicht etwas banal, entscheidet aber am Ende des Tages darüber, ob und wie lange jemand noch durch ein paar Läden bummelt, einen Kaffee trinkt oder eben nicht.
Gibt es Städte – auch außerhalb unseres IHK-Bezirks – die das schon gut gemacht haben?
Ich denke an Freising, hier hat man neben vielen anderen Maßnahmen den Bach Stadtmoosach in der Innenstadt wieder freigelegt, um Wasser in der Altstadt erlebbar zu machen. In Münster hat man einen riesigen Sandkasten in der Altstadt angelegt, um auch für Familien mit kleinen Kindern ein Angebot zu schaffen. Die Stadt Weilheim hat mit ihrem „Zwischenzeit“-Konzept attraktive Flächen kostengünstig an mehrere Einzelhändler und Dienstleister für einige Wochen zur Verfügung gestellt.
Gibt es noch weitere Einzelmaßnahmen ein, die schnell umsetzbar sind?
Sprühnebel kann ein Thema sein, Trinkwasserspender, allgemein Verschattung. Man könnte plakativ sagen: Wir brauchen die grüne und die blaue Stadt. Was als Besuchsanlass noch Frequenz bringt, sind Wochenmärkte, die man wieder in die Stadt holen kann. Hier haben stationäre Händler oft Sorge, dass sie Umsatz verlieren. Studien belegen aber genau das Gegenteil. Denn Regionalität und Bio sind weiterhin Besuchermagneten. Außerdem sollte man im eigenen Interesse die Barrierefreiheit ernsthaft prüfen und etwa bei Sitzgelegenheiten auf Details wie die richtige Höhe achten – ganz einfach, um auch die ältere Zielgruppe in die Stadt zu ziehen. Beim Thema Ideensammlung muss übrigens niemand von vorne anfangen, es gibt bereits Datenbanken dazu, etwa unter www.unsere-stadtimpulse.de.
Mit Blick auf die Gesamtstrategie – was halten Sie hier für erfolgskritisch?
Wichtig ist die Frage, ob es eine konsequente Idee gibt, der alle Akteure folgen können. Das ist deshalb so bedeutsam, weil im Zeitablauf ja immer weiter Entscheidungen getroffen werden: Wo soll das Ärztehaus hin? Was passiert mit dem zentralen Volksfestplatz? Was ist der geeignete Nutzungsmix? Welche Lagen haben noch Perspektive? Innenstädte brauchen Mut und Initiative. Erfolgreich sind Städte dann, wenn Politik, Verwaltung, Unternehmerschaft und Stadtgesellschaft Innenstädte aktiv gemeinsam gestalten, hinter der Strategie stehen und Entscheidungen breit mittragen.
Das Interview führte Alexandra Buba.