Region - Ausgabe September 2023

Chancen vor der Haustüre

Um Lieferketten gegen geopolitische Risiken abzusichern, setzen viele Betriebe verstärkt auf das nahe gelegene Ausland. Märkte in Ost- und Südosteuropa sind gefragt. Zwei Unternehmen berichten.
Die emz-Hanauer GmbH & Co. KGaA aus Nabburg, ein Zulieferer von Haushaltsgroßgeräten für den internationalen Markt, fertigt im rumänischen Resita seit diesem Frühjahr Komponenten wie Türverschlüsse oder Beleuchtungssysteme. „Rumänien war für uns die ideale Wahl, als wir uns entschieden, neben unseren Standorten in Deutschland und Tschechien einen dritten Fertigungsstandort in der EU aufzubauen“, sagt Geschäftsführer Thomas Hanauer. Auch andere Firmen setzen derzeit bewusst auf europäische Länder – nicht nur für den Aufbau von Produktionsstandorten, sondern auch als Absatz- oder Beschaffungsmärkte. Weil das Umfeld im globalen Handel rauer wird, wägen viele Unternehmen die Kosten und Risiken weltumspannender Lieferketten neu ab. Sie diversifizieren oder verkürzen Lieferketten und verlagern Prozesse, Produktion oder Dienstleistungen in näher gelegene Länder, um sich unabhängiger von einzelnen, weit entfernten Märkten zu machen.
Thomas Hanauer, emz-Hanauer GmbH & Co. KGaA
Durch diesen Trend zum Nearshoring sind vor allem Länder in Ost- und Südosteuropa in den Fokus gerückt. Sichere und verlässliche Geschäftsbeziehungen sind gefragt. Sebastian Metz, Geschäftsführer der Deutschen Auslandshandelskammer (AHK) in Rumänien, weiß um die Stärken des Landes: „Rumänien ist mit 19 Millionen Einwohnern der größte Markt in Südosteuropa und punktet mit vielen Standortvorteilen: geografische und kulturelle Nähe, EUund NATO-Mitgliedschaft, lange Tradition als Industriestandort mit entsprechender Infrastruktur, gut ausgebildete Menschen.“
Letzteres war auch für Hanauer das entscheidende Argument bei der Standortwahl: „Anders als in anderen EU-Mitgliedsstaaten ist aus unserer Sicht der rumänische Arbeitsmarkt noch groß genug, um für die kommenden Jahre das notwendige Fachpersonal zu finden.“ Ein zusätzliches Plus für Rumänien: Der Beitritt in den Schengen-Raum steht schon in Aussicht. Offene Binnengrenzen in Europa versprechen kürzere Wartezeiten an den Grenzen und noch robustere Lieferketten. Dank seiner strategisch günstigen Lage am Schwarzen Meer und an der Donau hat Rumänien das Potenzial, zur Drehscheibe zwischen Europa und der restlichen Welt zu werden. Laut Hanauer ermögliche der neue Standort dem Unternehmen, der Firmenphilosophie „local for local“ treu zu bleiben – also genau dort zu fertigen, wo die Produkte auch abgesetzt werden. So produziert die emzNiederlassung in Resita vorrangig für den südosteuropäischen Markt und die Türkei.

Kurze Wege in Osteuropa

Auch die Firma Huber SE aus Berching setzt auf kurze Wege in Osteuropa: Schon 1992, kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, gründete der weltweit führende Hersteller von Maschinen, Anlagen und Ausrüstungsteilen aus Edelstahl für die kommunale und industrielle Wasser-, Abwasserund Schlammbehandlung seine erste Auslandsniederlassung im benachbarten Tschechien. Rund 15 Mitarbeiter wickeln vom Standort in Brünn auch den Vertrieb für die Slowakei ab. Um Installation und Reparaturen bei slowakischen Kunden kümmert sich dort zusätzlich ein Servicebüro vor Ort.
Franz Heindl, Huber SE
Franz Heindl, Vertriebsleiter und Prokurist der Huber SE, hat in beiden Ländern positive Erfahrungen gemacht: „Tschechien und die Slowakei bieten ein gutes Marktumfeld und stabile Rahmenbedingungen. Dank der geografischen Nähe und der ähnlichen Mentalität profitieren wir von einem einfachen Marktzugang.“ Nicht nur kulturell, auch sprachlich tut man sich in der Slowakei leicht. 86 Prozent der Slowaken können Englisch, 61 Prozent haben sogar Deutsch gelernt.
„Die Slowakei ist ein Markt, der deutschen Unternehmen unglaublich viele Chancen eröffnet“, urteilt Peter Kompalla, Geschäftsführer der AHK Slowakei. Wer Lieferanten suche, stoße auf ein breites Spektrum von Aminosäuren über Zahnräder bis hin zu IT-Sicherheitssystemen. Auch als Produktionsstandort ist die Region beliebt, vor allem für die Automobilindustrie. In der Slowakei werden pro Jahr 184 Pkw pro 1.000 Einwohner hergestellt, so viele wie sonst nirgends auf der Welt. Im Gegensatz zu anderen osteuropäischen Ländern setzt die Slowakei außerdem seit 2009 auf den Euro. Die Gemeinschaftswährung hat die Transaktionskosten für die Exportwirtschaft gesenkt – ein weiteres Plus auf dem slowakischen Konto.
Auch wenn man im Nachbarland Tschechien in Kronen rechnen muss, das Land ist seit drei Jahrzehnten einer der wichtigsten Außenhandelspartner Bayerns. Hatte Tschechien früher noch das Image als verlängerte Werkbank, ist das Land im Herzen Europas heute zu einem leistungsstarken Partner für Forschung und Entwicklung avanciert. „Die Nähe zu Bayern macht das Land als Investitionsstandort äußerst attraktiv“, bestätigt Bernard Bauer, Geschäftsführer der AHK in Prag. „Bayerische Unternehmen profitieren heute insbesondere vom Know-how der tschechischen Wissenschaft sowie von der Innovationskraft der Ingenieure“, erklärt der Marktexperte.
Autorin: Dagmar Gutbrod