Schachtl-Gschichtn

Etwa 500 Mitarbeitende sind bei der Liebensteiner Kartonagenwerk GmbH im Landkreis Tirschenreuth beschäftigt. Damit diese Zahl nicht zu 500 Nummern verkommt, hat sich Geschäftsführerin Marion Forster, die den Betrieb zusammen mit ihrem Bruder Bernhard Schön in der dritten Generation führt, einiges einfallen lassen: eine Kinderkrippe und einen Frisör gibt es auf dem Betriebsgelände schon – Physiotherapie, eine Tagespflge sowie eine Arztpraxis sollen folgen.
Sorgen abnehmen – darum geht es fast immer, wenn Marion Forster, Geschäftsführerin der Liebensteiner Kartonagenwerk GmbH, über ihre unternehmerischen Pläne jenseits des Kerngeschäfts spricht. Dass dabei der unternehmerische Nutzen nicht zu kurz kommt, wird deutlich, wenn man auf das erste besondere Projekt der Liebensteiner Kartonagenwerk GmbH blickt: die Schachtlwichtl. Die 2024 gegründete Kinderkrippe auf dem Betriebsgelände war Forsters Antwort auf dreizehn Schwangerschaften innerhalb der Belegschaft allein im selben Jahr.
„Das hat große Löcher in die Personaldecke gerissen, und einige wären tatsächlich früher wieder gekommen, wenn sie eine Betreuungsmöglichkeit für ihre Kinder gehabt hätten“, so die Geschäftsführerin. Sie schafft Abhilfe, findet mit Learning Campus einen Partner mit eigener Pädagogik. Offen ist die Kinderkrippe, zu der im Herbst 2025 ein Kindergarten angeschlossen wird, auch für Nichtbeschäftigte des Unternehmens – die das Angebot gern annehmen. Ähnliches gilt auch für den betriebseigenen Frisör, den Schachtl Boder. Stets ausgebucht ist der komplett aus Holzmodulen gebaute, quadratische Salon im Grünen: Während die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich darüber freuen, ihren Haarschneidetermin innerhalb einer Arbeitspause erledigen zu können, genießen externe Kundinnen und Kunden die moderne Atmosphäre, die die beiden beim Kartonagenwerk angestellten Frisörmeisterinnen geschaffen haben.
„Wenn heute die betagten Eltern nicht mehr allein zurechtkommen, dann sind in der Regel die Frauen in der Familie gefordert, das zu regeln."

Margot Forster

Next Level Vereinbarkeit

Doch wer nun glaubt, Marion Forster verliere sich in Spielereien, die vom Kerngeschäft ablenken, der irrt gewaltig. Der Frisör ist ein Vorgriff innerhalb eines Generationenprojektes, das es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erleichtern soll, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren – und das ihnen eine Menge Jobs, die sie privat erledigen müssen, erleichtern will. Geplant sind nämlich neben Kindertagesstätte und Frisör eine Kurzzeitpflegeeinrichtung sowie Praxen für Physiotherapie, Ergotherapie und Allgemeinmedizin. „Denn es ist ja so: Wenn heute die betagten Eltern nicht mehr allein zurechtkommen, dann sind in der Regel die Frauen in der Familie gefordert, das zu regeln – egal, ob sie erwerbstätig sind oder nicht“, erklärt die Geschäftsführerin. In der Folge müssten sie ihre Arbeitszeit reduzieren oder fielen vorübergehend ganz aus. Das sind die Realitäten, die sich hinter der arg strapazierten Formel von Vereinbarkeit von Beruf und Privatem verbergen, und bei der viele Unternehmen sich schon sehr engagiert sehen, wenn sie lediglich Freiräume verschaffen. Das allerdings genügt Marion Forster nicht, sie will den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht nur Zeit geben, ihre Probleme selbst geregelt zu bekommen, sondern ihnen aktive Hilfestellung durch passende Angebote auf ihrem Betriebsgelände bieten, das durch den Zukauf angrenzender landwirtschaftlicher Flächen eigens dafür erweitertet wurde.

Sozial engagiert und automatisiert

Das geschieht aus sozialer Überzeugung heraus – und gleichzeitig auch nicht ganz uneigennützig. Denn wie die meisten Betriebe kämpft auch das Liebensteiner Kartonagenwerk mit dem Fach- und Arbeitskräftemangel. Letzterem begegnet die Geschäftsführerin vor allem durch Automatisierung. So erledigen seit kurzem Roboter das Anliefern der Ware an die Pickstationen im Tochterunternehmen SmartboxPro. Dieser Bereich wurde 2014 übernommen und ergänzt heute das Kerngeschäft der individualisierten Verpackungslösung um eine Dropshipmentund Fullfillmentsparte mit einem Umsatzanteil von rund zehn Prozent. SmartboxPro verpackt die Waren für Kunden und verschickt sie anschließend an deren Kunden. Der Löwenanteil der rund 130 Millionen Euro Jahresumsatz entfällt aber weiterhin auf die Wellpappenverpackungen. Etwa 100.000 verschiedene Lösungen sind dazu in der Artikeldatenbank des Kartonagenwerks angelegt. Ihre 3.700 Kunden in Deutschland, Österreich und Tschechien hält Forster über eine eigene Logistiksparte und besonderen Service in einem vom Preiskampf geprägten Verdrängungsmarkt bei der Stange. „Wir haben 45 eigene Lkw, denn ich glaube, sie sind das Aushängeschild unserer Firma beim Kunden vor Ort: Unsere Fahrer liefern exakt zum vereinbarten Zeitpunkt, sprechen die Landessprache und können dementsprechend auch bei Anfragen weiterhelfen“, so die Geschäftsführerin. Das honorierten die Kunden durch ihre Bereitschaft, den einen oder anderen Euro mehr zu bezahlen.

Innovation und der eigene Kopf

Dass auch in schlichten Pappkartons immer wieder Innovation steckt, zeigt ein Blick auf die Trends der Vergangenheit und Zukunft: So konnte es bis vor kurzem vor allem im Discountbereich nicht bunt genug bedruckt sein, während gerade bei teuren Produkten heute Hersteller neutrale Verpackungen aus Angst vor Diebstahl bevorzugten. „Der Druck kommt dann beispielsweise auf die Innenseite“, erklärt Forster. Doch nicht nur im Design zeige sich Neuerung, sondern auch in der Funktionalität, mit Aufreißfaden, Selbstklebestreifen und Automatikfaltkarton. Zehn Entwicklerinnen und Entwickler setzen die Kundenwünsche entsprechend um. Software für Maschinen und Verwaltung kommt oftmals aus dem eigenen Haus, sieben Programmierer kümmern sich darum.
Es dürften gerne mehr sein, sagt die Chefin, doch diese fänden sich derzeit eher nicht. Umso wichtiger ist ihr das Engagement in der Ausbildung – auch wieder anders als oftmals praktiziert. Denn Forster widerstrebt es, mit teuren Startgeschenken und Boni zu locken. Sie will ihre zehn Azubis lieber motivieren, indem Belohnungen Leistungen folgen, nach einem genauen System. Viel Gehirnschmalz und eine individuelle Handschrift sorgen nicht nur dafür, dem Unternehmen innerhalb der Region eine besondere Stellung zu verschaffen, sondern brachte der Firma 2024 den Bayerischen Mittelstandspreis ein. 2022 zählte man schon zu Bayerns Best 50. Damals führten noch die Eltern den Betrieb, der 1968 von Forsters Großvater an derselben Stelle gegründet wurde.
Autorin: Alexandra Buba