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„Dagegen sein ist kein politisches Konzept“
Mit Christian Volkmer betritt ein IHK-Präsident die Bühne, der an die Arbeit seines Vorgängers Michael Matt im Hinblick auf Öffnung und Modernisierung der Kammer anknüpft und den Kontakt zu den Mitgliedsunternehmen sucht. Vom allgegenwärtigen Politik-Bashing hält er wenig.
Herr Volkmer, neben ihrer unternehmerischen Tätigkeit sind sie vielfältig ehrenamtlich engagiert. Welche Rolle spielt die IHK für Sie?
Christian Volkmer: Die IHK ist bedeutsam – für mich und generell für die Unternehmen – weil die Wirtschaft ein unglaublich wichtiger Teil der Gesellschaft ist. Wir wollen als Unternehmerinnen und Unternehmer zwar alle Geld verdienen, aber es geht eben nicht nur um Profit. Meine eigene Unternehmensgruppe ist zum Beispiel seit April nach der Gemeinwohlökonomie bilanziert. Dieses Konzept stellt die soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt des Wirtschaftens, im Kern geht es darum, die Aktivitäten der Organisation mit den 17 Nachhaltigkeitszielen der UN abzugleichen. Für die IHK, und hier auch in Bezug auf mich persönlich, bedeutet das, sich stärker zu engagieren.
Wofür genau engagieren Sie sich?
Das Unternehmertum ist total vielfältig, und wir sind längst nicht mehr die alte Kammer im Hintergrund, sondern ein Ankerpunkt für alle, die etwas bewegen wollen. Meine Vorgänger und davon besonders Michael Matt, sind meine Vorbilder in dieser Hinsicht, da sie bereits den Muff von Ledersesseln und Cognac-Schwenkern hinaus gelüftet und gezeigt haben, was wir auch sein können. Aber auch wenn wir sozusagen den Silberrückeneffekt schon eine Weile hinter uns gelassen haben, ist es weiterhin wichtig, Lösungen und Angebote sichtbar zu machen, insbesondere für die kleinen und mittleren Unternehmen. Natürlich vertreten wir auch die Siemens', Krones' und BMWs inbrünstig, aber die wissen um ihre Möglichkeiten zum Beispiel bei der Expansion ins Ausland oder bei der Kooperation mit Hochschulen.
Weshalb ist das wichtig?
Wir werden keine Diskussionen mehr über Zwangsmitgliedschaften führen, wenn die Unternehmerinnen und Unternehmer erkannt haben, welches Angebot wir für sie haben, und welchen Andockpunkt wir bieten. Dafür trete ich an und ermutige auch ganz konkret alle, die ein Anliegen haben, mich unmittelbar z.B. über LinkedIn zu kontaktieren. Denn entscheidend ist der persönliche Kontakt.
Haben Sie Bedenkzeit gebraucht, um sich für das Amt des Präsidenten zur Verfügung zu stellen?
Tatsächlich war das Thema nach einem zweiminütigen Gespräch mit meiner Frau erledigt – es ist eine Ehre, wenn man gefragt wird, und da lehnt man nicht ab. Dr. Helmes, Michael Matt und ich kennen uns schon viele Jahre, so dass ich genau wusste, mit wem ich hier im Team gut werde arbeiten können. Darüber hinaus, auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, ist mir die IHK-Präsidentschaft ein echtes Anliegen: Ich will Berührungsängste abbauen, die Leute reinholen und begeisterte IHK-Botschafter gewinnen, die sagen: Geht's da hin, die sind top. Es hat eben bislang nicht jeder den persönlichen Zugang zur IHK, der Körperschaft des öffentlichen Rechts. Das soll sich ändern.
Jetzt sind Sie ja schon ein paar Wochen im Amt – funktioniert das denn?
Die Leute kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen auf mich zu, und ich war anfangs sogar etwas überrascht, mit welcher Offenheit sie das tun. Das freut mich sehr, und ich kann meist schnell Kontakte herstellen und Brücken schlagen. Es gibt übrigens noch ein zweites wichtiges Ziel, nämlich die Politikberatung als Kammeraufgabe. Die IHK muss sich nicht nur aktuell bei der kommenden Oberbürgermeisterwahl, sondern auch bei den Landtags- und Bundestagsabgeordneten immer wieder positionieren, auch dann, wenn es unbequem wird. Manchmal geht es auch in diesem Bereich wieder darum, Menschen zusammenzubringen, etwa Unternehmerinnen und Unternehmer mit sehr klaren Anliegen und Politiker. Letztere kommen eher zu einer IHK-Veranstaltung als zu einem Eins-zu-eins-Gespräch mit einem Unternehmer. Wir können außerdem nachhalten, was den Firmen in dieser Form so oft nicht möglich ist. Denn oft ist es ja so, dass viel geredet wird, aber die Frage, was konkret geschehen soll, unbeantwortet bleibt.
Warum hat Politik offenbar immer weniger Ahnung davon, was in der Praxis für die Wirtschaft relevant ist?
Ich will keinesfalls in das allgemeine Politik-Bashing einstimmen – ich glaube, davon müssen wir unbedingt wegkommen und stattdessen Lösungsvorschläge finden. Dagegen-Sein ist kein politisches Konzept. Ein Beispiel dazu vielleicht aus meiner eigenen Geschäftstätigkeit: Wir stellen für 5.500 Unternehmen in Deutschland den externen Datenschutzbeauftragten, sind damit der größte Dienstleister in diesem Bereich. Nun kam in den Koalitionsverhandlungen der Vorschlag, die Pflicht im nationalen Gesetz dazu abzuschaffen. Das wäre für mein Unternehmen super, denn 90 Prozent unserer Kunden benötigen den Datenschutzbeauftragten weiterhin aufgrund der übergeordnet geltenden EU-Verordnung, die kleineren, die von Wettbewerbern betreut werden, würden aus der Pflicht fallen, was eine große Marktbereinigung zur Folge hätte, von der wir profitieren würden. Für die Unternehmen und den Wirtschaftsstandort als solchen wäre die Abschaffung aber ein Vollkatastrophe – denn die Datenschutzbeauftragten sind oftmals die einzigen im Unternehmen, die sich überhaupt mit IT-Sicherheit beschäftigen. Fallen sie weg, ist sofort auch noch das Wenige passé, das wir in Deutschland an Cyber-Resilienz hatten.
Der oft gehörte Ruf nach Bürokratieabbau greift also zu kurz?
Meiner Meinung nach haben wir ein Exekutiv- und kein Bürokratieproblem. Bürokratie an sich ist das, was unser Land 50 Jahre lang groß gemacht hat: Wenn ich mich an die Regeln halte, dann darf ich auch erwarten, dass alles funktioniert. Darum beneidet uns die ganze Welt. Das Problem liegt darin, Bürokratie nicht als etwas aufzufassen, was in erster Linie dem Staat dient, sondern den bürokratischen Prozess so zu gestalten, dass er Bürger und Unternehmen schützt und absichert. Es ist doch ganz einfach so: Egal, wen Sie fragen, welche bürokratischen Konstrukte man abschaffen sollte – Sie hören bis auf die Ministerialebene immer wieder dieselbe Antwort, nämlich den Leiterbeauftragen, den Asbestbeauftragten und den Datenschutzbeauftragten. Bleiben wir einfach nur mal beim Ersten. Jener macht eine 45-minütige Onlineschulung und prüft fortan einmal im Jahr für fünf oder zehn Minuten lang, ob Leitern zur Evakuierung bei Feuern in Stand sind, die Sprossen fest usw. Ist das jetzt wirklich schlecht, ein unzumutbarer Aufwand oder wo genau liegt dabei das Problem?
Wie kommen wir da raus? Was muss ich verändern?
Man muss den Leuten in der Verwaltung die Haftungsangst nehmen. Sie sollen mutige Entscheidungen treffen – nach bestem Wissen und Gewissen. Schauen Sie nach Frankreich, die dortige Datenschutzbehörde gilt nicht gerade als besonders lässig. Dennoch sanktioniert sie Datenschutzverstöße nach dem Prinzip, ob diese absichtsvoll begangen wurden oder trotz der üblichen Sicherheitsroutinen passiert sind. Im letzteren Fall bleibt das ungeahndet. Politik und auch Medien tun häufig so, als gäbe es einfache Lösungen. Das stimmt aber nicht, wir leben schließlich in einer hyperkomplexen Welt. Und das, was die Landes- und Bundespolitiker in den vergangenen Jahren an Populismus auf eigentlich wichtige Themen geworfen haben, tropft jetzt in sämtliche gesellschaftliche Debatten. Das verstellt den Blick auf Lösungen und muss dringend aufhören. Es geht darum, dass die Herren und Damen in München und Berlin vom Berg heruntersteigen und sich wieder in den Niederungen der Sacharbeit einfinden. Die Wirtschaft ihrerseits muss davon wegkommen, immer auf die Politik einzuhauen und konstruktive Lösungen anzubieten, wo Veränderungen nötig sind.
Sehen Sie da eine Perspektive für schnelle Erfolge? In der Welt gewinnen ja gerade nicht diejenigen mit den feinsten Inhaltskonzepten, sondern diejenigen mit den lautesten Tönen...
Ich glaube tatsächlich, dass konzentrierte Sacharbeit besser funktionieren wird als immer nur Dinge zu eskalieren. Ein Sinnbild dafür war für mich das Foto von Selenskyj und Trump bei der Bestattung des Papstes im April. Offenbar hatte es dieses Rahmens bedurft, damit sich zwei Leute gegenübersitzen und zehn Minuten ruhig austauschen konnten. Das zeigt für mich, dass nicht alles auf großer Bühne ausgetragen werden muss, das Wichtigste ist die Zugewandtheit, die Bereitschaft zuzuhören. Als Land müssen wir dazu aber All-in gehen und insbesondere den jungen Unternehmen Unterstützung und Vertrauen bieten. Wir sind die Unternehmen, wir haben die Ziele, die Visionen und eben auch die Verantwortung, die man uns auch nun zutrauen muss.
Was hat Sie zu diesen Überzeugungen gebracht? Und warum ist es Ihnen ein so großes Anliegen, sie in die Welt zu tragen?
Das gelebte Vorbild meiner beiden Eltern, glaube ich, hat die größte Rolle gespielt. Mein Vater zog als elftes von 13 Kindern aus einer Familie, die aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten geflüchtet war, in der damaligen Zeit seine Ausbildung zum Rechtsanwaltsgehilfen durch. Er musste immer viel arbeiten, zog aber seinen Anzug aus, wenn er nach Hause kam und hat sich auf den Teppich gelegt und mit mir gespielt. Meine Mutter war sehr engagiert, in vielen Prüfeninger Vereinen. Beide haben mir positive und nicht so positive Eigenschaften vererbt, aber das Engagement und der Wunsch, zu gestalten, gehören sicher in die erste Gruppe. Ich glaube, vieles hängt stark von der Prägung der Eltern ab, ihrem Vorbild, insbesondere der Punkt, wie man sich in einer Gesellschaft verhält.
Das Gespräch führte Alexandra Buba.