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Mit tschechischen Tugenden gegen die Krise
Die geopolitischen Entwicklungen, die allgemeine Marktschwäche und neue Handelsbeschränkungen stellen insbesondere die Automotive-Branche derzeit vor große Herausforderungen. Das betrifft durch ihre starke Präsenz den ostbayerischen Wirtschaftsraum in besonderer Weise, und auch jenseits der Landesgrenze die Region Pilsen. Dort trotzen das Software- und Beratungsunternehmen Aimtec und ein großer Entwicklungsstandort von ZF Friedrichshafen der Krise.
Sand ist es zwar nicht direkt, der in den Getrieben knirscht, aber ein Verlust von einer Milliarde Euro im Geschäftsjahr 2024, der derzeit die Rädchen beim Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen etwas langsamer laufen lässt. Der nach Bosch zweitgrößte deutsche Autozulieferer spürt die Auswirkungen von schwacher Nachfrage und hohem Investitionsdruck durch den Technologiewechsel schon seit zwei Jahren und reagierte mit Stellenabbau: Über die Hälfte des Fehlbetrags sei denn auch der Umstrukturierung geschuldet, heißt es aus der Unternehmenszentrale. Dass diese Ausgangslage nicht überall bei ZF für gleichmäßig trübe Stimmung sorgt, zeigt ein Blick in das Corporate Tec Centre in Pilsen. Bei ZF Engineering Pilsen wurden bislang keine Leute entlassen, die Zahl der Entwickler ist seit der Gründung des Entwicklungsstandorts im Jahr 2007 auf rund 1.000 angestiegen. „Wir spüren die Auswirkungen natürlich auch schon eine Weile und sind seit 2024 nicht mehr gewachsen“, erklärt Dr. Mathias Eickhoff, der dem Unternehmen seit 30 Jahren angehört und seit 2015 das Corporate Tec Center in Pilsen leitet, das zu dieser Zeit 250 Mitarbeitende beschäftigte.
Spezifische Stärken nutzen
Heute geht es hinter der rechteckigen, sechsstöckigen mit Glas verkleideten Fassade, die nur scheinbar ausschließlich von grüner Wiese umgeben ist, in zwei Dritteln der Projekte darum, fast fertige Technologien so weiterzuentwickeln, dass sie in Serie gehen können. Dazu gehört auch ein eigenes Testzentrum, und die Adresse in der Univerzitní-Straße beschreibt schon, was hier nur zwei Kilometer entfernt liegt: die Pilsener Universität. „Diese Nähe hat es uns in der Vergangenheit natürlich ungemein erleichtert, qualifizierte Entwickler und Entwicklerinnen zu finden“, erklärt Eickhoff. Neben der Hauptaufgabe der Serienreifeentwicklung kümmern sie sich auch um die Weiterentwicklung der Methoden. Letztere Aufgabe ist in Pilsen nicht schlecht aufgehoben. „Unsere Mannschaft besteht vor allem aus jungen Leuten, die auch gern mal etwa ausprobieren, pragmatisch an die Sachen herangehen“, erklärt Eickhoff, der darin auch einen Unterschied zu Deutschland erkennt: „Hier sind viele pragmatischer, improvisieren lieber mal, anstatt immer erst lange zu planen.“ Er plädiert daher dafür, die spezifische Stärke einzelner internationaler Standorte zu nutzen, nicht alle kulturellen Unterschiede in erster Linie unter der Maßgabe einer einheitlichen Unternehmenskultur glätten zu wollen. „Wir haben zum Beispiel in unserer internen Organisation erlebt, wie die tschechischen Mitarbeitenden Treiber der Digitalisierung im Lohnbereich waren – sie waren es, die keine Papierabrechnungen wollten, sondern Lohnzettel per App eingefordert haben“, erinnert sich Eickhoff.
Hybridgetriebe als Zukunftschance
Mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen sieht er seinen Standort gut aufgestellt, insbesondere durch die hohe Bandbreite an technischen Lösungen vor allem im Antriebsstrang, die man den Kunden bieten könnte. Denn in den vergangenen Jahren hätten die OEM zwar die Auswahlmöglichkeiten für den Endkunden beschränkt, wenn zum Beispiel nur noch acht statt zuvor 50 Farben möglich sind. Für die Technik unter der Haube gelte das allerdings nicht. „Unser Hauptprodukt sind Getriebe, und hier sehe ich große Chancen für unsere Plugin-Hybrid-Getriebe, die in extrem vielen Varianten nachgefragt werden“, erklärt Eickhoff. In der Zukunft werde KI für eine massive Steuerung der Effizienz sorgen, ist sich Eickhoff zudem sicher. Das ist deshalb wichtig, weil Geschwindigkeit zu einem entscheidenden Faktor in der Entwicklung geworden sei. „In China merken die OEM viel schneller, wenn sich etwas ändert und reagieren ganz unmittelbar mit Neuentwicklungen darauf“, so Eickhoff. „Nun können mir dank unserer Methodenentwicklung – hier allen voran mit dem digitalen Zwilling – in Sachen Geschwindigkeit gleichziehen, weil wir Dinge nicht mehr nur physisch, sondern auch virtuell erproben können. Und physikalische Versuche durch Simulationen zu ersetzen, spart eine Menge Zeit.“ Bange ist ihm daher angesichts der jüngsten Zahlen, die sein Unternehmen bekannt gegeben hat, nicht.
Prognosen immer schwieriger
Angst vor der Zukunft hat auch der Chief Growth Officer von Aimtec in Pilsen, Jan Stočes, nicht. Das auf den Automotive-Bereich spezialisierte Software- und Beratungsunternehmen merkt jedoch eine allgemeine Marktschwäche. Schwierig sei der Forecast geworden. „Früher hatten Automotive-Zulieferer eine klare Vorstellung davon, was in den kommenden Monaten zu liefern ist. Sie hatten Forecasts, auf die sie sich verlassen konnten“, erklärt Stočes. „Jetzt will der Automobilhersteller heute 200.000 Teile, zwei Wochen später nur noch 30.000 und noch eine Woche darauf wieder 100.000. Das macht die Situation für die Zulieferer sehr kompliziert, da die Schwankungen stark den Lagerbestand und somit auch den Cashflow beeinflussen.“
Große Projekte aufgeteilt
Auf das Geschäft von Aimtec wirke sich der geringere Cashflow insofern aus, dass Großprojekte seltener geworden sind. „Bei den Großprojekten investieren viele Unternehmen der Automobilindustrie vor allem in die Umstellung auf SAP S/4 HANA. Ansonsten können die Zulieferer eher selten noch in Großprojekte investieren. Deshalb teilen sie die großen Projekte auf, um Kosten präzise zu kontrollieren und zu steuern“, sagt Stočes. Einkäufer verantworteten öfter nur winzige Budgets selbst, müssten vieles mit dem Board abstimmen. In diesen wirtschaftlich herausfordernden Zeiten unterstützt Aimtec seine Kunden dabei, effektiver zu sein und Kosten zu sparen. „Wir sind ein langjähriger Digitalisierungspartner für unsere Kunden. In den letzten Jahren hat sich die voll integrierte Automatisierung durchgesetzt. Dies ermöglicht zum Beispiel eine intensivere Nutzung von Lagerflächen.“ Ein Beispiel: Ein großer Automotive-Zulieferer etwa habe mit einer Orchestrierungsplattform von Aimtec in Verbindung mit der Integration eines automatisierten Lagersystems von ursprünglich vorhandenen 5.400 rund 2.000 Quadratmeter eingespart. Die Fläche kann nun für die Produktion genutzt werden, ohne dass eine weitere Halle gebaut werden muss.
Gemeinsam durchhalten
Für Aimtec bedeuten diese Entwicklungen vor allem eines: „Wir müssen ständig nach neuen Wegen suchen, unseren Kunden zu helfen, effizienter zu werden, denn wir wollen nicht nur Lieferant, sondern vor allem Partner für unsere Kunden sein“, so Stočes. Als wesentlichen Vorteil seines Unternehmens macht er generell das Geschäftsmodell aus: Aimtec liefert nicht nur Software – auch Projektmanagement und Beratung sowie Know-how-Transfer hin zum Kunden sind fester Bestandteil eines jeden Projekts. Der Kunde soll die Möglichkeit haben, die gelieferte Lösung umfassend zu bedienen und teilweise selbst zu konfigurieren.
KI umfassend integrieren
KI ist aus heutiger Software kaum noch wegzudenken. Für Aimtec steht dabei im Vordergrund, praxiserprobte Lösungen anzubieten. Transformationsprojekte sind der zentrale Hebel – sie sorgen nicht nur für effizientere Abläufe, sondern eröffnen überhaupt erst die Möglichkeit, KI sinnvoll in die Prozesse zu integrieren. KI ist aber kein Selbstläufer. Viele Transformationsprojekte scheitern. Dafür gibt es Gründe. Neben der Datenqualität ist auch die Datentransparenz entscheidend, um beispielsweise Nachfrageschwankungen zu prognostizieren oder Produktionsprozesse zu optimieren. Dies sind klassische Anwendungsfälle für KI, die Teil der Transformationsstrategie sein müssen. Hier empfiehlt sich die Arbeit mit einem Digitalisierungsspezialisten, der die Projekte über die Ziellinie bringt. Typisch tschechisch sei dabei die Flexibilität, die Überzeugung, dass sich am Ende alles realisieren lässt, auch wenn vielleicht nicht alle Voraussetzungen ideal oder sämtliche Ressourcen vorhanden sind.
Autorin: Alexandra Buba
TAL Conference 2025 – Digital. Future-Proof?
Welche Rolle spielt die rasante Digitalisierung in der Automobilindustrie? Wie können Firmen die richtigen Tools bei neuen Technologien, Automatisierung oder KI wählen? Welche Systeme und Fähigkeiten brauchen die digitale Fabrik und ihre Teams? Antworten gibt es auf der Konferenz „Trends in Automotive Logistics 2025 (TAL)“ am 20. Mai in Pilsen. Experten aus Praxis und Wissenschaft teilen ihre Erkenntnisse in den Bereichen Logistik, Produktion, Integration und Nutzung neuer Technologien sowie Methoden und Tools im Bereich der Digitalisierung.
IHK vor Ort in Pilsen
Bei allen Fragen zu wirtschaftlichen Themen im Nachbarland hilft das gemeinsame Regionalbüro Pilsen der IHK Regenburg für Oberpfalz / Kelheim und der Deutsch-Tschechischen IHK gerne weiter.
Bei allen Fragen zu wirtschaftlichen Themen im Nachbarland hilft das gemeinsame Regionalbüro Pilsen der IHK Regenburg für Oberpfalz / Kelheim und der Deutsch-Tschechischen IHK gerne weiter.