Ein "Nährboden für Mächte der Finsternis"

Sie war der Grundstein für die Selbstverwaltung der Wirtschaft: Mit einer "Königlichen Allerhöchsten Verordnung" genehmigte Bayerns König Ludwig I. 1842 die Errichtung von Handelskammern. Für die Pfalz wählte er Kaiserslautern als Standort aus und bestimmte den Kaiserslauterer Bürgermeister Adam Weber als Vorsitzenden. Erste Ansätze zur Gründung einer Interessensvertretung von Handel und Gewerbe gab es schon ein Vierteljahrhundert früher, doch stießen sie bei der königlichen Regierung auf wenig Gegenliebe.
Es war gerade vier Monate her, dass die Pfalz als Folge des Wiener Kongresses 1815 an das Königreich Bayern gefallen und der Rheinkreis gebildet worden war, als Bernhard Sebastian Nau, Professor für Kameralwissenschaft, dem bayerischen General-Kommissär der Pfalz, Xaver von Zwackh-Holzhausen, vorschlug, in Speyer eine Handelskammer zu errichten. Nau kannte diese Einrichtung aus Mainz. Dort hatten die Franzosen bereits 1802 eine Handelskammer etabliert. Der Professor hatte bei seinem Vorschlag allerdings weniger das Wohl er Pfälzer Kaufleute im Sinn. Vielmehr erhoffte er sich für seine Mitarbeit in der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt, die vom Wiener Kongress eingesetzt worden war, Informationen über die Bedürfnisse der Wirtschaft, der Handels- und Schifffahrtsinteressen der Pfalz.

Erste Initiative kam aus Speyer


Nau konnte die bayerische Regierung nicht für einen Vorschlag erwärmen, doch der Speyerer Handelsstand verfolgte die Idee weiter. DIe Kaufleute hofften, mit einer Handelskammer wieder an die alte wirtschaftliche Beduetung ihrer Stadt anknüpfen zu können. Schließlich war Speyer damals mit rund 6.000 Einwohnern die größte Stadt der Pfalz.
Am 29. Juli 1819 war es dann so weit. Der Speyerer Handelsstand sandte eine "unterthänige Bitte um Etablierung einer Handelskammer allhier" an die königliche Regierung in München. Rund 25 Handels- und Gewerbetreibende unterschrieben die Petition, die den Hinweis auf bereits bestehende Handelskammern in Mainz, Frankfurt, Mannheim und anderen Handelsplätzen enthielt. Die Speyerer baten die Königliche Regierung des Rheinkreises, "uns zu erlauben, eine so allgemein anerkannte wohlthätige Einrichtung constituieren zu dürfen." Die Kaufleute wollten mit den Kammern benachbarter deutscher Staaten zusammenarbeiten und gemeinsam nach Mitteln suchen, um die Handelskrise zu beenden.
Die Petition wurde vom Landkommissariat Speyer und der pfälzischen Regierung befürwortet, hatten doch alle dasselbe Ziel im Sinn: mehr Eigenständigkeit für die Pfalz. Die Pfälzer Kaufleute waren übrigens die ersten in Bayern, die die Regierung drängten, eine Kammer einzurichten. Doch die bayerische Regierung legte die Petition "bis auf weitere Anregung" zu den Akten.
Die Pfälzer ließen nicht locker und versuchten in den 1820er und 30er-Jahren mehrfach, eine Interessenvertretung  zu erreichen. Auch die bayerische Ständeversammlung beantragte 1825 erstmals die Errichtung von Kreisindustriekammern. Anfang der 1830er Jahre unternahmen sowohl der Speyerer Handelsstand als auch die Kammer der Abgeordneten einen weiteren Anlauf, der dieses Mal erfolgreich schien. Denn das Ministerium des Innern forderte am 18. März 1832 die Kreisregierungen auf, die Notwendigkeit von Kammergründungen zu prüfen. Die entsprechende Stellungnahme der Speyerer Kreisregierung vom 11. Mai 1832 befürwortete das Projekt eindeutig.
Doch ein politischer Stimmungsumschwung und Systemwechsel führten dazu, dass es nochmals über ein Jahrzehnt bis zur Gründung der Kammern dauern sollte: Ausgelöst durch die französische Julirevolution 1830 wurde die Politik des zunächst als "Reformmonarch" bekannten Ludwig I. konservativer. Er hatte Angst vor einer Revolution und beschnitt die Rechte des Volkes, während dieses nach Demokratie, einem deutschen Nationalstaat und bürgerlichen Freiheiten strebte. Ein Prozess, der im Hambacher Fest 1832 seinen Höhepunkt finden sollte. In dieser Situation hatten die Handelskammern keine Chance. König Ludwig I. blieb beharrlich bei einem "Nein", denn die Kammern waren für ihn eine Plattform für die liberale Opposition gegen die Regierung. Noch 1840 sah der Präsident des bayerischen Appellationsgerichts, Joseph von Hermann, in den Kammern einen "Nährboden für Mächte der Finsternis und revolutionäre Umtriebe".
Etwa zeitgleich versuchte der bayerische Kabinettschef und Innenminister Karl von Abel, beim König "gut Wetter für die Gründung von Handelskammern zu machen. Sein Argument: Für die Förderung von Handel und Gewerbe seien genaue Kenntnis der Verhältnisse und Bedürfnisse in der Wirtschaft notwendig. Abel verwies dabei auf den großen Nutzen, den andere Staatsverwaltungen, vor allem Preußen, aus Berichten der Handelskammern zogen.

1842: Der Weg ist frei


Abels Drängen führte letztlich zum Erfolg: Am 19. September 1842 erließ König Ludwig I. die Königliche Verordnung, die den Weg zur Gründung von sieben Handelskammern in Bayern ebnete. Bayern war damit der erste deutsche Staat, der eine allgemein rechtliche Regelung des Handelskammerwesens einführte.
Die Kammern wurden verpflichtet, die Regierung zu beraten. Gleichzeitig waren sie berechtigt, Anregungen und Ansichten vorzubringen. Der Vorschlag für Wahlen zu den Kammern, den die pfälzische Kreisregierung 1832 ausgearbeitet hatte, fand keine Berücksichtigung. Ganz im Gegenteil, König Ludwig kontrollierte alle Belange der Kammern - angefangen vom Sitz über die Zahl der Mitglieder bis zur Ernennung derselben.
Für die Pfalz wählte Ludwig Kaiserslautern aus, das damals 8.000 Einwohner zählte und mit dem Sitz der größten pfälzischen Getreidebörse und des Fruchtmarktes ein regionales Wirtschaftszentrum war.
Am 30. April 1843 war dann der große Tag gekommen: 15 Kaufleute und Fabrikaten aus der ganzen Pfalz, die vom König zu den ersten Mitgliedern bestimmt worden waren, trafen sich zur konstituierenden Sitzung im Rathaussaal des Stadthauses von Kaiserslautern. Als erste Amtshandlung verfassten die Mitglieder im Namen des gesamten pfälzischen Handels- und Industriestandes eine Dankesadresse an den bayerischen König.