Top-Zulieferer für E-Autos produziert in Vogelsdorf
Wie von einer unbekannten Kraft gesteuert, bewegen sich in der riesigen Halle im Vogelsdorfer Gewerbegebiet solide Metallschlitten die Montagestrecke entlang. Befüllt sind sie mit langen, dunklen Kunststoffteilen, die nach und nach zu immer komplexeren Gebilden anwachsen, in denen der Laie erst auf den zweiten Blick nagelneue Autocockpits erkennt. Genauer gesagt, Cockpits für Elektroautos, denn außer Blinker und Lenkrad gibt es hier keinerlei Hebel oder Knöpfe, dafür jede Menge verbaute Elektronik.
„Wir montieren alles“, erklärt Betriebsleiter Birk Klemm. „Bei Kundenanfragen gibt es von uns kein Nein; gegebenenfalls lediglich ein: Noch nicht!“ Die Montage erfolgt mit einem sehr hohen Automatisierungsgrad – in der Halle stehen allein 14 Roboter. Der Vogelsdorfer Betrieb von Motherson setzt als Zulieferer dabei komplett auf Elektromobilität – und das in einer Zeit, in der sowohl die Automobilindustrie als Ganzes als auch die Zulieferbranche den komplexen Wechsel von Verbrennermotor zum Elektroantrieb bewältigen muss. Doch Automatisierung und Flexibilität gibt es auch woanders. Was ist also das ganz Besondere hier bei Motherson?
27 Werke weltweit
Dazu holt Birk Klemm etwas weiter aus: „Motherson ist ein Spezialist für Design, Engineering, Fertigung und Montage, der zu den Top 15 Autozulieferern weltweit zählt.“ Motherson SAS, die die „Division Integrated Assemblies“ innerhalb der Unternehmensgruppe bildet, betreibt derzeit weltweit 27 Werke, beschäftigt 6000 Mitarbeiter und umfasst auch Zulieferer für Autos mit „klassischem“ Verbrennermotor. Doch der Konzern insgesamt – und speziell das Werk in Vogelsdorf – baut konsequent neue Wertschöpfungsketten rund um die Elektromobilität auf. Dabei hilft sehr, dass es in der Nachbarschaft einen großen E-Auto-Hersteller gibt.
„Keines der Bauteile, die man hier sieht, gehört uns oder wurde von uns produziert. Unser Geschäft heißt ,Intergrated Assembly‘, also ,integrierter Zusammenbau‘. Wir erzeugen keine Teile, wir organisieren Logistik und montieren komplexe Module. Genau da steckt die Wertschöpfung, die wir uns auch bezahlen lassen“, erläutert Klemm. Die hohe Kunst ist dabei das Management der Vorlieferanten und die stets pünktliche Lieferung an den Kunden.
Zwei Lkw auf unterschiedlicher Strecke
Dafür müssen de facto stündlich drei Schritte effektiv aufeinander abgestimmt werden. Der erste Schritt ist das Heranschaffen der Teile. Aus dem Lager lässt sich die Montagestrecke nur für wenige Stunden abpuffern. Ein Stau auf der Autobahn kann da schnell zu Problemen führen. „Ich bestelle deshalb für eine Lieferung grundsätzlich zwei Lkws auf unterschiedlichen Strecken“, so der Betriebsleiter. Im Notfall habe man auch schon Teile per Flugzeug anliefern lassen.
Der zweite Schritt ist die effektive Montage. Denn in der Branche herrscht ein hoher Kostendruck. Deshalb setzt Motherson stark auf Automatisierung. So erfolgt die Vormontage vollautomatisch und die Hälfte der Montagestrecke wird komplett mit Robotern betrieben. „Die sind inzwischen günstig zu haben und extrem zuverlässig“, erklärt Birk Klemm. Am Ende steht eine automatische Versandanlage.
Trotz aller Automatisierung – ohne engagierte Menschen würde hier nichts laufen. „An der Montagestrecke mit vielen Anlerntätigkeiten sind häufig Zeitarbeiter im Einsatz, viele von ihnen aus Polen“, sagt Personalmanagerin Christine Ohm. „Wir zahlen deutsche Gehälter, aber die ÖPNV-Anbindung nach Berlin ist beschwerlicher als der Weg nach Polen.“ Zugleich werden viele höher qualifizierte Fachkräfte beschäftigt – als Techniker, Logistiker, zum Programmieren der Roboter, bei Finanzen und Qualitätssicherung. „Wir haben flache Hierarchien und die Kompetenz, alles schnell am Standort zu entscheiden“, sagt Birk Klemm. Das ist wiederum maßgebend für den dritten Schritt – die unbedingt pünktliche Lieferung an den Kunden.
Eine Viertelmillion Cockpits im Jahr
Insgesamt arbeiten rund 200 Menschen in dem Vogelsdorfer Werk, die jährlich etwa 250 000 Cockpits montieren. In der Perspektive könnten es 500 Mitarbeiter werden. „Die Elektromobilität entwickelt sich rasant. Da wollen wir mitwachsen“, so Klemm. Das erfordert Anpassungsfähigkeit, denn die Innovationszyklen werden immer kürzer und komplexer. Zum einen kommen bei Elektroautos jetzt zügig immer mehr Modellvarianten auf den Markt. Zum anderen funktionieren die Fahrzeuge völlig anders, weil nicht mehr die Mechanik, sondern die Software der entscheidende Part ist - beispielsweise werden sie regelmäßig upgedatet. „Der Kunde fährt nach einem halben Jahr ein anderes Auto, als er gekauft hat“, bekräftigt Birk Klemm.
Um mit den sich ständig wandelnden Anforderungen der Kunden Schritt zu halten, wird kontinuierlich in das Vogelsdorfer Werk investiert. Der Betriebsleiter betont: „Wir investieren nur in Initiativen, die sich innerhalb von zwei Jahren amortisieren.“
FORUM/Nils Ohl
Elektroautos in Deutschland:
• 2020 wurden in Deutschland ca. 194 000 Fahrzeuge mit reinem Elektroantrieb neu zugelassen, entspricht 6,7 Prozent aller Neuzulassungen.
• 2024 wurden in Deutschland ca. 380 000 Fahrzeuge mit reinem Elektroantrieb zugelassen, entspricht 13,5 Prozent aller Neuzulassungen.
• Im September 2025 hatten 19,3 Prozent aller neu zugelassen Fahrzeuge einen reinen Elektroantrieb
FORUM/Red
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