Energiewende als Chance für den Mittelstand

STANDPUNKT. Das ist die FORUM-Serie, in der Menschen zu Wort kommen, die auf dem wirtschaftspolitischen Parkett unterwegs sind und damit die regionalen Unternehmen unterstützen. Ob in Verbänden oder Vereinen, im Ehrenamt oder hauptamtlich, in Verwaltungen oder Interessenvertretungen – im Mittelpunkt steht die Wirtschaft in der Hauptstadtregion, in Brandenburg und Berlin. Heute kommt zu Wort: Prof Dr. Claudia Kemfert, Energieökonomin

Energiewende als Chance für den Mittelstand: Warum KMU jetzt in erneuerbare Energien investieren sollten
Die anhaltende Volatilität der Energiepreise stellt kleine und mittelständische Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen. Während die Energiekosten einen immer größeren Anteil der Betriebskosten ausmachen, fragen sich viele KMU, ob Investitionen in Photovoltaik, Windkraft oder Kooperationen mit Energiegenossenschaften wirtschaftlich sinnvoll sind. Die Antwort: Ja –mehr denn je.
Die Strompreise bleiben ein entscheidender Kostenfaktor für kleine und mittelständische Unternehmen. Deutschland weist im europäischen Vergleich hohe Strompreise auf, was besonders KMU belastet, und ihre Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt. Während große Industrieunternehmen von speziellen Entlastungsregelungen profitieren, stehen kleinere Betriebe oft vor der vollen Kostenbelastung.
Die neue Bundesregierung hat ursprünglich versprochen, die Stromsteuer für alle Verbraucher auf das europäische Minimum zu senken. Tatsächlich soll nun nur die produzierende Industrie und Landwirtschaft entlastet werden – eine Entscheidung, die bei Handwerk und Dienstleistern für erhebliche Kritik sorgt.
Hier zeigt sich das Paradox der aktuellen Energiepolitik: Während hohe Strompreise die Energiewende bremsen, können gerade erneuerbare Energien langfristig zu niedrigeren Kosten führen. Die Praxis zeigt die Wirtschaftlichkeit erneuerbarer Energien. Die aktuelle Einspeisevergütung beträgt bis zu 7,94 Cent pro Kilowattstunde bei Eigenverbrauch und bis zu 12,60 Cent pro Kilowattstunde bei Volleinspeisung. Entscheidend ist der Eigenverbrauch: Strom vom eigenen Dach senkt die Stromrechnung erheblich mehr als die reine Einspeisevergütung einbringt.
Die Photovoltaik ist für KMU dabei eine Schlüsseltechnologie Durch intelligente Nutzung und Zwischenspeicherung des selbst erzeugten Solarstroms können Unternehmen nicht nur ihre Energiekosten langfristig senken, sondern sogar bei negativen Strompreisen wirtschaftliche Vorteile generieren.
Die staatliche Unterstützung für erneuerbare Energien ist umfangreich. Auf die Lieferung von Photovoltaikanlagen einschließlich Batteriespeicher fällt keine Umsatzsteuer mehr an (Nullsteuersatz). Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWE) bezuschusst Energieberatungen für KMU Zusätzlich bieten KfW und BAFA zinsvergünstigte Kredite und Zuschüsse für Investitionen in erneuerbare Energien.
Neben den klassischen Förderungen entstehen innovative Finanzierungsmodelle, die KMU zusätzliche Optionen bieten. Power Purchase Agreements (PPAs) erlauben es Unternehmen langfristige Stromlieferverträge direkt mit Erzeugern erneuerbarer Energien abzuschließen. Diese Verträge, die typischerweise über 10 bis 15 Jahre laufen, bieten Preissicherheit und Schutz vor Marktschwankungen. Deutschland verzeichnete 2024 ein Rekordwachstum bei PPAs
Für energieintensive KMU wurden durch Klimaschutzverträge (Carbon Contracts for Difference) neue Perspektiven eröffnet. Allerdings steht die Fortsetzung des Programms unter der neuen Regierung unter Haushaltsvorbehalt.
Für KMU, die nicht über ausreichende Dachflächen oder Kapital verfügen, bieten Energiegenossenschaften eine attraktive Alternative. Diese Rechtsform ermöglicht gleichberechtigte Zusammenarbeit bei maximaler Flexibilität – Beitritt und Kündigung sind durch einfache Willenserklärung ohne notarielle Mitwirkung möglich.
Die langfristige Perspektive ist eindeutig: Die Kosten erneuerbarer Energien sinken kontinuierlich, während fossile Energien zunehmend Marktanteile verlieren. Weltweit fließen mehr Investitionen in erneuerbare als in fossile Energien. Energieökonomische Analysen zeigen, dass die Gesamtkosten einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien - einschließlich Speicher und Systemintegration - deutlich niedriger sind als die des bestehenden Systems mit seinen hohen Folgekosten. KMU, die in eigene Energieerzeugung investieren, positionieren sich bewusst unabhängig von volatilen Rohstoffmärkten und geopolitischen Risiken.
Brandenburg bietet mit seinen geografischen Gegebenheiten und der industriellen Struktur ideale Voraussetzungen für die Energiewende im Mittelstand. Die dezentrale Energieversorgung stärkt die regionale Wertschöpfung und macht Unternehmen unabhängiger von großen Energiekonzernen. Kooperationen zwischen KMU und lokalen Energiegenossenschaften entstehen bereits in der.
Für KMU ergeben sich vielfältige Optionen: Eine professionelle Energieberatung ist der erste Schritt, um Einsparpotenziale zu identifizieren. Danach sollten verschiedene Optionen geprüft werden: eigene PV-Anlagen, die Beteiligung an Energiegenossenschaften, der Abschluss von Power Purchase Agreements oder bei energieintensiven Betrieben die Teilnahme an Klimaschutzverträgen – sofern weitere Ausschreibungen erfolgen.
Die Energiewende ist für KMU keine Belastung, sondern eine Chance auf Kostensenkung, Unabhängigkeit und Zukunftssicherung. Wer heute investiert, profitiert morgen – wirtschaftlich und ökologisch.

FORUM/Claudia Kemfert
Prof. Dr. Clauia Kemfert ist eine der führenden Energie-Ökonominnen in Deutschland mit dem Schwerpunkt Energiewirtschaft und Klimapolitik. Sie leitet die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin und ist Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität Lüneburg.

Jens Jankowsky
Referent Innovation/Energie
Geschäftsbereich Wirtschaftspolitik