„Wir müssen von einer Kontroll-Kultur zu einer Vertrauens-Kultur kommen“

Herr Ministerpräsident, schaut man von außen auf Niedersachsen, denken wohl viele an Nordsee, Harz und Heide, an Schafe, Schweine und Kühe, vermutlich auch an Volkswagen oder die MeyerWerft. Woran denken Sie?
LIES: Was Niedersachsen ausmacht, sind vorneweg der Zusammenhalt und das Engagement. Es sind Haupt- und Ehrenamt in Kammern und Verbänden, die intensiv daran arbeiten, dieses Land voranzubringen. Und zweitens ist Niedersachsen das Zukunftsland schlechthin. Alle Voraussetzungen, Zukunft zu gestalten, liegen hier. Auch wenn es an manchen Stellen vielleicht noch hakt.

Herr Hoffmann, welches Bild würden Sie von Niedersachsen zeichnen?
HOFFMANN: Niedersachsen ist als zweitgrößtes Flächenland geprägt von der Vielfalt der Regionen, die sich auch in der Wirtschaft widerspiegelt. Niedersachsen ist ein Stahl-Standort und auch der Brennpunkt der Transformation und der Energiewende. Niedersachsen ist die Hauptlogistikdrehscheibe nicht nur für rollende und schwimmende Verkehre, sondern auch für die Energie-Infrastruktur. Daher kann Niedersachsen ruhig selbstbewusster auftreten. Ein bisschen mehr krachlederne Action, wie es die süddeutschen Kollegen vormachen, würde uns schon gut zu Gesicht stehen. Landwirtschaft und Automobilbau werden es nicht richten. Aber gemäß dem Prinzip „Industry follows Energy“ sehe ich großes Potenzial für den Norden.
LIES: Wir sind gut unterwegs, weil wir bodenständig sind. Nicht groß daherreden, sondern einfach mal machen – das beschreibt das niedersächsische Wesen aus meiner Sicht sehr gut. Gleichzeitig können wir ruhig ein bisschen selbstbewusster über uns reden, das stimmt. Deswegen brauchen wir auch eine Standortkampagne, mit der wir uns national selbstbewusst aufstellen und international auf uns aufmerksam machen. Wir brauchen eine Kampagne, bei der sich die Niedersachsen wiedererkennen und von der die anderen beeindruckt sind. Beides miteinander zu vereinen – selbstbewusst nach außen, aber nicht abgehoben, sondern gut bodenständig - das ist eine Herausforderung. Wir müssen dieses neue, bodenständige Selbstbewusstsein bei uns hier entwickeln. Und wir müssen Unternehmen und Fachkräften zeigen, warum es eine hervorragende Idee ist, nach Niedersachsen zu kommen.

Das eine ist das Image, das andere ist die tatsächliche Standortqualität. Eine IHKN-Umfrage zeigt auf, dass viele niedersächsische Unternehmen nicht nur Zölle und Sanktionen als Hemmnis betrachten, sondern vor allem überbordende Vorgaben der EU. Herr Hoffmann, welche Probleme treiben Sie um?
HOFFMANN: Es ist unbestritten, dass die EU ein Segen ist – als Beitrag zum Frieden und als gemeinsamer Markt. Umso ärgerlicher ist es, dass sich Europa gegen die anderen großen Wirtschaftsregionen wie Ostasien und Nordamerika mit einem Wust von Regulierungen selbst im Weg steht. Zu diesen Handelshemmnissen zählt beispielsweise, dass ich einen Ingenieur, den ich in ein europäisches Nachbarland schicke, namentlich und örtlich anmelden muss, damit überprüft werden kann, ob ihm der jeweilige Mindestlohn gezahlt wird. Das ist doch das Gegenteil von freiem Waren- und Personenverkehr. Wenn wir das in Hannover oder Berlin beklagen, verweist man nur auf Brüssel. Das ärgert uns.
LIES: Als Landesregierung müssen wir frühzeitig wissen, was in Brüssel diskutiert wird. Denn nur so können wir rechtzeitig eingreifen, das ist auch für die Wirtschaft wichtig. Deswegen ist unsere neue Europaministerin Melanie Walter in Brüssel in den wichtig Gremien vertreten. Das wollen wir auch strukturell weiter stärken. Außerdem hat man in der EU erkannt, dass wir alle mal durchatmen müssen. Wir versuchen immer, die Regelbrecher dranzukriegen, und verärgern damit alle, die sich vorbildlich an das Gesetz halten. Wir müssen von einer Kontroll-Kultur zu einer Vertrauens-Kultur kommen.
HOFFMANN: Das ist dringend geboten. Eine befreite Wirtschaft, die Lust und Freude am Geldverdienen hat, zahlt auch gerne die Ertragssteuern und die Gewerbesteuern. Es muss eine wirtschaftsfreundliche Atmosphäre geben.
LIES: Wir haben aus dem Blick verloren, dass Wirtschaftspolitik nicht nur aus Auflagen und Regularien besteht. Wir müssen uns darauf besinnen, dass unser Lebensstandard zuerst erwirtschaftet werden muss. Das kann nur mit der Wirtschaft zusammen gelingen. Ohne gute Wirtschafts- und Industriepolitik kann es auch keine gute Sozialpolitik und keine guten Arbeitsplätze geben.

Die Bundesregierung will der Wirtschaft mit dem Investitionsbooster wieder Schwung verleihen. Ist das der richtige Weg?
LIES: Es ist ein gemeinsames Signal von Friedrich Merz und Lars Klingbeil, dass Investitionen zentral sind, um das Land voranzubringen. Wir werden künftig die öffentlichen Ausgaben nur finanzieren können, wenn die Wirtschaft wieder anzieht. Es gibt im Land eine große Sorge, aus der heraus Unzufriedenheit erwächst. Dem kann man nicht mit schönen Worten begegnen, die Leute müssen auch sehen, dass sich etwas tut.
HOFFMANN: Natürlich freuen sich alle über mehr Geld. Wir erwarten aber, dass dieses Geld in weit überwiegendem Maße in investive und nicht in konsumtive Maßnahmen gesteckt wird. Entscheidend sind Verbesserungen bei den Verkehrswegen, also Straßen und Brücken aber auch Kanäle und Schleusen. Eine Infrastruktur, die die Betriebe mit den entsprechenden Losgrößen erreichen kann, ist ein Standortplus.

Beim Ausbau der Infrastruktur wird es auch darum gehen, die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik und der NATO sicherzustellen. Welche Rolle wird Niedersachsen dabei spielen?
LIES: Niedersachsen wird eine ganz entscheidende Rolle bei der Logistik spielen. Unsere Seehäfen aber auch unsere Straßen, Schienen und Brücken werden gebraucht, sollte die NATO binnen weniger Tage hunderttausende Soldaten in Bewegung setzen müssen. Verteidigungsfähig zu sein, heißt aber auch, in Industrie und in Standorte zu investieren. Niedersachsen kann da einen gewaltigen Beitrag Niedersachsen leisten. Und wir müssen darüber vernehmlich sprechen, welche Standortvorteile wir in Niedersachsen haben, um Industrie hier her zu holen.
HOFFMANN: Es wird aber auch um das Personal gehen, das bei uns arbeitet und im Verteidigungsfall andere Aufgaben übernehmen muss. Deswegen brauchen wir jetzt eine rechtliche Grundlage, damit die Betriebe abfragen können, welcher Mitarbeiter Reservist ist oder beim Technischen Hilfswerk oder beim Roten Kreuz mitarbeitet. Politik und Verwaltung müssen mit uns über die sicherheitspolitischen Erwartungen in den Austausch gehen. Für uns ergeben sich auch interessante unternehmerische Perspektiven, wenn es darum geht, Produkte und Dienstleistungen anzubieten. Und da kommen wir wieder zu den Anforderungen an die Infrastruktur: Brücken, Straßen und Häfen.
LIES: Beim Ausbau all dieser Infrastruktur werden wir uns auf eine doppelte Nutzbarkeit vorbereiten müssen. Fünf Prozent des BIP für die Bundeswehr sind 1,5 Prozent für Infrastruktur. Wo das investiert werden soll, müssen wir gar nicht mehr diskutieren – das zeigt der „Operationsplan Deutschland“ bereits auf. Ein Großteil davon wird nicht nach Bayern gehen, sondern muss zwingend im Norden investiert werden.
HOFFMANN: Die Wirtschaft im Norden steht bereit. Das wäre nun allerdings auch ein guter Anlass, noch mal über beschleunigte Planungs- und abgekürzte Widerspruchsverfahren zu reden. Denn nur dann kann das Geld auch schnell und sinnvoll eingesetzt werden.