„Papa ist noch der Oberchef“

Beim Familienunternehmen Honsel wurde die Nachfolge schon eingeleitet: Julia Schlotmann-Honsel ist neben ihrem Vater Ralf geschäftsführende Gesellschafterin. Schwester Christina, erfolgreiche Leistungssportlerin, will nach den Olympischen Spielen 2028 ebenfalls voll in den Einzelhandel einsteigen. | Text: Daniel Boss
Der Unterschied zwischen den Generationen zeigt sich unter anderem bei der Anrede: Julia Schlotmann-Honsel (31) hat im Familienunternehmen die Duz-Kultur eingeführt – zumindest zwischen den Mitarbeitenden. „Gegenüber unseren Kunden trauen wir uns noch nicht“, sagt Vater Ralf Honsel. Wenn es nach dem 60-Jährigen gegangen wäre, hätte es wohl auch sonst beim „Sie“ bleiben können. Aber Tochter Julia, seit 2017 im Unternehmen und seit 2020 auch Gesellschafterin, hat sich mit ihren Vorstellungen von einer modernen innerbetrieblichen Kommunikation durchgesetzt. Und dazu gehört eben auch ein lockerer Umgangston. „Gerade im Führungsverhalten hat es durch den Einstieg von Julia in die Geschäftsführung einen Wechsel gegeben“, so Ralf Honsel. Die Hierarchien seien nun deutlich flacher.
Zugleich betont die Tochter: „Papa ist noch immer der Oberchef.“ Es folgt ein herzliches Lachen. Die Harmonie zwischen den beiden stimmt offenbar. „Natürlich sind wir dann und wann unterschiedlicher Meinung“, so Julia Schlotmann-Honsel. „Aber solche Diskussionen bringen uns letztlich weiter.“ Ganz bewusst besteht das Führungsteam noch aus einer Kollegin in Ralf Honsels Alter sowie einem jungen kaufmännischen Direktor. „So haben wir zweimal jung und zweimal alt sowie zwei Frauen und zwei Männer – das ist perfekt“, meint der Senior-Chef. Schon sein Vater, Unternehmensgründer Bernhard Honsel, habe immer gesagt, dass man ab 50 den Zeitgeist verliere und dieser auch nicht durch Erfahrung zu kompensieren sei. „Irgendwann kann einem die Erfahrung sogar im Weg stehen.“
Honsel ist eine Einzelhandels-Institution im Raum Dorsten und Marl. Die Wurzeln der Unternehmensgruppe reichen 75 Jahre zurück. Damals eröffneten Bernhard und Änne Honsel einen Spar-Markt in Dorsten. Mitte der 90er-Jahre übernahm Ralf Honsel das Geschäft, nach Einzelhandelslehre und BWL-Studium. Tochter Julia verfügt über die gleichen Abschlüsse – und sammelte schon als Jugendliche jede Menge praktische Erfahrung in den elterlichen Läden. „Mit 16 habe ich schon an der Kasse gesessen und Waren eingeräumt“, erinnert sie sich.

Generationenwechsel bei Honsel

Im Laufe der letzten 20 Jahre wuchs der Honsel-Kosmos kontinuierlich. Neben dem „Flaggschiff“ auf dem Gelände der ehemaligen Zeche „Fürst-Leopold“ (zugleich die Verwaltungszentrale) gibt es inzwischen vier weitere Edeka-Märkte unter dem gemeinsamen Label „Honsel Food“. Der Supermarkt-Standort Seikenkapelle in Dorsten wird aktuell vergrößert und modernisiert. Vor vier Jahren wurde Honsel zum „Besten Supermarkt Deutschlands gekürt und gewann damit einen der renommiertesten Branchenpreise, den Julia und Ralf Honsel den 2019 verstorbenen Bernhard und Änne Honsel widmeten.
Neben den Supermärkten betreibt die Familie noch drei Fressnapf- sowie zwei Trinkgut-Märkte. Insgesamt beschäftigen die zehn Einzelhandelsgesellschaften rund 350 Mitarbeitende. Zirka 40 Auszubildende lernen derzeit bei Honsel.
„Im Umgang mit unseren jüngsten Kolleginnen und Kollegen merke ich, dass auch ich inzwischen einer älteren Generation angehöre“, sagt Julia Schlotmann-Honsel. Als Beispiel nennt sie, dass nicht mehr jede Anordnung fraglos hingenommen werde. „Wir müssen häufig die Sinnhaftigkeit des gewünschten Handelns erklären: Warum soll dieses und jenes auf eine bestimmte Weise getan werden?“
Die Geschäftsführerin nimmt sich die Zeit dafür – obwohl Zeit für sie das knappste Gut ist. Sie ist dreifache Mutter, das jüngste Kind ist erst wenige Monate alt. „Ohne die Unterstützung unserer Familien würden mein Mann, der ebenfalls selbstständig ist, und ich das nicht schaffen“, sagt sie. „Die Kinderphase muss bei einer Nachfolgeregelung wie bei uns immer mit eingeplant werden“, so ihr Vater. „Julia muss so flexibel sein, dass sie auch mal kurzfristig das Büro verlassen kann, um sich um eines der Kinder zu kümmern. Das klappt aber ganz gut.“ Niemals dürfe man den Betrieb gegen die Kinder ausspielen. „Familie und Beruf können zusammen funktionieren – es ist allerdings eine Herausforderung“, sagt Julia Schlotmann-Honsel.
Obgleich er selbst noch einige Jahre operativ tätig sein will, macht Ralf Honsel kein Geheimnis daraus, dass ihn die gesicherte Zukunft des Unternehmens in Familienhand sehr freut. Dazu trägt auch seine zweite Tochter Christina Honsel (27) bei. Die erfolgreiche Leistungssportlerin im Hochsprung vom TV Wattenscheid 01 kümmert sich derzeit um das Honsel-Marketing, ein Schwerpunkt liegt auf dem Social-Media-Auftritt der Märkte. „Mir war es immer wichtig, mir neben dem Sport auch eine berufliche Perspektive zu schaffen.“ Mit einem BWL-Studium in Dortmund hat sie die theoretischen Grundlagen für den Einstieg ins Geschäftsleben gelegt.

Nach Olympia 2028 in den Einzelhandel

Wie ihre Schwester braucht sie ein optimales Zeitmanagement. Denn sie trainiert bis zu drei Stunden täglich, in der Regel an ihrem Wohnort Dortmund. Hinzu kommen Wettbewerbe am Wochenende und auch die eine oder andere Reise ins Ausland. So ging es beispielsweise in diesem Frühjahr zu Wettkämpfen nach China und Katar. „Viele berufliche Aufgaben kann ich zum Glück digital erledigen, sagt sie. Und natürlich hilft es ihr, dass ihr Familie und Familienunternehmen den Rücken freihalten. So kann sie sich, wenn es drauf ankommt, total fokussieren. Und das mit Erfolg: Christina Honsel schaffte den sechsten Platz bei den Olympischen Spielen in Paris. „Zweimal 1,95 Meter innerhalb von drei Tagen übersprungen – mehr hätte ich mir nicht wünschen können.“
Nach diesem euphorischen Erlebnis entschied sie, „vier weitere Jahre in den Sport zu investieren“. Ihr großes Ziel lautet nun Los Angeles 2028. „Danach möchte ich voll ins Familienunternehmen einsteigen“, sagt Christina Honsel. Vorher – also parallel zum Leistungssport auf Olympia-Niveau – sei das nicht möglich.
Die dritte Generation steht also im wahren Wortsinn in den Startlöchern.