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Kreativer mit KI
Künstliche Intelligenz und Kreativität, das passt zusammen. Unternehmen aus Nord-Westfalen verblüffen mit Ideen, mit denen zum Beispiel virtuelle Welten erlebbar werden oder KI für Kunden sorgt. | Text: Nora Tannich, Tobias Hertel
„KI in der Kreativwirtschaft“ war die Veranstaltung der Business Metropole Ruhr überschrieben, unterstützt unter anderem von der IHK Nord Westfalen. In Gelsenkirchens Kreativ.Quartier Ückendorf tauschten sich kreative Köpfe aus Agenturen, Designstudios, Film, Musik und Kunst aus. „KI schafft Raum für kreative Prozesse“, unterstreicht Fabian Bannier, IHK-Referent für Dienstleistungen. Handfeste Anwendungsmöglichkeiten gibt es allerdings in nahezu allen Branchen. Konkrete Beispiele lieferten mit mxr storytelling aus Gelsenkirchen und netTrek aus Dorsten auch zwei Unternehmen aus der Region.
Frei bewegen in der virtuellen Welt
Der „berühmteste Stadtteil in ganz Deutschland“ ist, nach Überzeugung von mxr storytelling, natürlich Schalke. Wer die vom Gelsenkirchener Studio gemeinsam mit der „Stiftung Schalker Markt“ entwickelte App „Schalke Erleben“ aufruft, taucht tief in die Welt des Fußballs ein. Ein Selfie mit der blau-weißen Legende Ernst Kuzorra vor der Glückauf-Kampfbahn? Mit alten Schwarzweißaufnahmen, generativer Bild-KI und automatisiertem 3D-Modelling kein großes Problem. Zumindest fast keines, wie Nils Mikolajczak von mxr storytelling einräumt: „KI ist auf schöne geglättete Gesichter trainiert“, erzählt der XR-Entwickler. Ein Kuzorra ganz ohne Falten, das ist kaum realistisch und erfordert daher ein individuelles Training der KI.
Nils Mikolajczak von mxr storytelling nahm die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Netzwerkstreffens mit auf eine virtuelle Rundreise durch europäische Fußballstadien.
Besucher des KI-Netzwerktreffens in Gelsenkirchen überzeugten sich selbst davon. Der XR-Entwickler nahm sie mit auf virtuelle Rundgänge durch europäische Fußballstadien, entstanden für das Projekt „FeVR Pitches“ im Vorfeld der UEFA Euro 2024. Die „aktuell gehypte KI-Technologie Gaussian Splatting“, so Mikolajczak, macht die visualisierten Orte mit Hilfe einer VR-Brille so erlebbar, dass „sich die Leute wirklich im virtuellen Raum frei bewegen können“. Dieses Erlebnis geht weit über das bekannte „Sich-um-die-eigene-Achse-drehen“ hinaus. „Google Street View war gestern“, erklärt er selbstbewusst die neuen technischen Möglichkeiten.
Mit der Anwendung von mxr storytelling wirken die Bilder nicht nur fotorealistisch. „Im Vergleich zu herkömmlichen 3D Modellings oder kostspieligen Laserscans reichten schon die Handyaufnahmen der Kooperationspartner vor Ort als Basis für immersive 3D-Szenen“, erläutert er. Mittels maschinellen Lernens wird das Filmmaterial aus verschiedenen Perspektiven in eine fotorealistische 3D-Szene umgewandelt. Hierzu werden von der KI viele kleine Pinselstriche in den Raum gesetzt, welche überlagert das 3D-Bild ergeben. „Ein absoluter Gamechanger“, schwärmt Mikolajczak, der seit Anfang an die Entwicklung der Technologie verfolgt und damit experimentiert.
KI übernimmt Routineaufgaben
KI kann nicht nur kreativ: Bei netTrek in Dorsten nimmt sie Softwareentwicklern ungeliebte Routineaufgaben ab. „Checklisten und Dokumentationspflichten abzuarbeiten, daran hat kein Programmierer Spaß“, erzählt Saban Ünlü, CEO und Gründer des Unternehmens. Um eher langweilige Standardtätigkeiten kümmern sich eigene KI-Agenten. „70 Prozent der Ergebnisse sind gut brauchbar, das reduziert die Qual des Menschen auf nur noch 30 Prozent“. Geschäftsmails und Social Media-Beiträge plane und schreibe ebenfalls Künstliche Intelligenz, „automatisiert, aber mit unserem Input“. Sogar simple Software, „kleine Routinen und Helferlein“, könne KI selbst erstellen. Den Softwareentwickler brauche es aber auch in Zukunft, denn der Weg zu einer komplexen Unternehmensanwendung sei noch sehr weit.
Gute Fragen liefern bessere Antworten: Saban Ünlü von netTrek stellte in Gelsenkirchen die Kniffe des Promptens vor und erläuterte, wie KI Unternehmen Routineaufgaben abnimmt.
Wissen und KI, das gehört für Ünlü zusammen. „Adaptives Lernen“ ist eines seiner Themen, Künstliche Intelligenz soll „Wissensmanagement in lokalen Infrastrukturen“ ermöglichen. Konkret: Das System wird mit allen nötigen Informationen gefüttert, die Informationen werden aber individuell aufbereitet – je nachdem, ob sie der Geschäftsführer im Büro, der Monteur oder Servicemitarbeiter beim Kunden oder der Azubi abruft. „KI passt die Antwort den Fähigkeiten und der Lernerfahrung an.“
Mit Datenanalyse zu mehr Aufträgen
Individuelle Chatbots und KI-Agenten können mehr, als nur Kundenanfragen automatisiert zu beantworten – was in vielen Fällen die Effizienz schon enorm steigert. Anspruchsvoller ist der Einsatz zum Beispiel beim Unternehmer, dem Künstliche Intelligenz mehr Aufträge bescheren kann. Hierfür sammelt und analysiert die KI Informationen aus einer Vielzahl von Datenquellen, darunter Emails und Telefonate, und kann Rückschlüsse ziehen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass sich aus der Kundenanfrage ein Auftrag ergibt. Das spart gerade kleineren Unternehmen eine Menge unnötiger Arbeit. „Viele Betriebe haben keine große Akquise-Abteilung. Sie können sich mit KI auf die aussichtsreichsten Anfragen konzentrieren.“
Bei einem regionalen Logistikunternehmen sorge KI für „Predictive Maintenance“, sagt also voraus, wann Wartungen anstehen und minimiert auf diese Weise Ausfälle. In der Dienstleistung und der Industrie sieht er weitere Anwendungsfälle, bei der die neue Technologie wiederkehrende Aufgaben erledigt – für die es häufig ohnehin zu wenig oder gar keine menschlichen Arbeitskräfte gebe.
Es braucht das „Zwischenmenschliche“
Zu den aktuellen Projekten von mxr storytelling, an denen Nils Mikolajczak arbeitet, gehört das „UmBauLabor“. Gemeinsam mit Baukultur NRW geht das Tech-Studio der Frage nach, welche Chancen in vermeintlich abrissreifen Häusern stecken. Studentinnen und Studenten haben ein Gebäude erforscht. Für die Archivierung von Baumaterialien wurde eine Möglichkeit geschaffen, unkomplizierte 3D-Scans zu erstellen, erklärt er. Ein weiterer Fokus von mxr storytelling ist die Kooperation mit Hochschulen. Gerade gestartet ist das Forschungsprojekt ARIZON. Gemeinsam mit der Westfälischen Hochschule erforscht das Studio den Einsatz von Augmented Reality, um Innenstädte erlebbarer und belebter zu machen. „Insbesondere die AR-Technologie hat das Potential, noch mehr mit technologischen Möglichkeiten von KI kombiniert zu werden”, erklärt Mikolajczak.
Bei allen Möglichkeiten der KI-gestützten Technologie sieht Mikolajczak auch Grenzen: „Die Vielzahl an kostenfreien KI-Tools suggeriert, dass jeder schnell und einfach Inhalte produzieren kann“, berichtet er. Ergebnis sei dann zum Beispiel ein Design, das auf den ersten Blick gut aussehe. Der zweite Blick zeigt aber: „Hier fehlt das Detail“. Es brauche Beratung, Feedback-Schleifen, das Zwischenmenschliche. „Eine Geschichte muss erzählt werden, ohne Emotionen ist das schwierig.“ Für ihn ist KI ein Werkzeugkasten, der viele Tools für verschiedene Zwecke bereithält. Die müssen gezielt eingesetzt werden: „Manchmal ist der klassische Schraubenzieher sinnvoller als der große Bohrer, um weiterzukommen,“ erklärt Mikolajczak.
Effizienz „Stück für Stück“ steigern
Saban Ünlü von netTrek behält zudem die Kosten im Blick. KI-Modelle lassen sich nicht zum Nulltarif „anzapfen“. Deshalb empfiehlt er Unternehmen, die Einsatzbereiche allmählich wachsen zu lassen. „Die eierlegende Wollmilchsau gibt es nicht“, betont er. Besser sei es, Stück für Stück Effizienz und Produktivität zu steigern, empfiehlt er. Und auch er sieht Grenzen der KI: „Künstliche Intelligenz erledigt ihre Aufgaben auf eine höchst mathematische Ebene.“ So menschlich die Modelle auch scheinbar agierten, „sie haben keine Ethik und keine Moral“. Ünlü rät dazu, eine KI zu nutzen, die transparent trainiert und „mit sinnvollen, diversen Daten gefüttert wurde“. Selbst gute Antworten können in die Irre führen. „Lassen Sie sich nie dazu verlocken, einem System blind zu vertrauen“, warnt er.
Den echten Künstler könne KI ohnehin nicht ersetzen. Wenn sie trainiert werde mit Millionen Musikstücken, Gemälden, Kompositionen, Gedichten und Texten unterschiedlicher Epochen, erkenne und reproduziere sie Muster. „Den kreativen Sprung wird sie aber nur schwer vollziehen können“, meint Ünlü. Dafür fehle es an Emotionen und Intuition. Somit bleibe sie ein Werkzeug für Künstlerinnen und Künstler. „Aber die Seele der Kreativität bleibt menschlich.“
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Redaktion Wirtschaftsspiegel