KI: Ein mächtiges Werkzeug – wenn es richtig eingesetzt wird

Die Versicherungsbranche ist im Umbruch. Versicherte erwarten heute eine andere, schnellere Kommunikation zu ihrer Versicherung. Schnelle Antworten und automatisierte Prozesse gehören inzwischen dazu. Zunehmende regulatorische Vorgaben und der Fachkräftemangel erfordern neue Lösungen. Die LVM Versicherung aus Münster setzt auf Künstliche Intelligenz (KI) als Werkzeug. „Das KI-Thema ist gekommen, um zu bleiben“, sagt Marcus Loskant, IT-Vorstand der LVM. Diese Technologie hat das Potenzial, den Markt grundlegend zu verändern.“ | Text: Mareike Scharmacher-Wellmann
In der Schadenregulierung, im Service und bei der internen Wissensvermittlung setzt das Unternehmen gezielt auf lernende Systeme – und nimmt dabei eine Vorreiterrolle ein.

Von Machine Learning zu generativer KI

LVM_2024-09_Loskant_Marcus
LVM-Vorstand Marcus Loskant © LVM Versicherung/Erik Hinz
Maschinelles Lernen (ML) ist ein Teilbereich der künstlichen Intelligenz und gehört bei der LVM bereits seit Jahren zum Standard. Zum einen nutzt das Versicherungsunternehmen diese Technologie, um verfügbare Versicherungsdaten wie die Versicherungshistorie oder Kundenstammdaten zusammenzutragen und daraus passende Angebote für ihre Kunden abzuleiten. Zum anderen kann die LVM mit ML zum Beispiel Kundendaten und Vertragsdetails analysieren und die Wahrscheinlichkeit einer Storno- oder Wechselbereitschaft berechnen. Mit der Einführung generativer KI hat das Unternehmen nun einen Gang höher geschaltet. „Wir haben 2023 entschieden, ein spezialisiertes Team aufzubauen, das sich ausschließlich mit der Entwicklung von KI-Anwendungen beschäftigt“, so Loskant. Fünf Softwareentwickler arbeiten seither an maßgeschneiderten Lösungen und weitere fünf Kollegen in einem Kernteam, das sich Themen wie Governance und EU AI Act widmet.
Eine KI-Lösung, die bereits vor zwei Jahren ausgerollt wurde, sichtet und klassifiziert eingehende Unfallmeldungen automatisch, unterscheidet routinemäßige Schadensfälle von komplexen und leitet die Meldungen an die entsprechenden Sachbearbeiter weiter. Sie beschleunigt damit die Regulierung von Schäden. „Die KI geht 24 Stunden täglich über die Neu-Unfallmeldungen. Das ist ein echter Vorteil für unsere Kunden“, sagt der LVM-Vorstand. Zugleich nimmt die Automatisierung den Mitarbeitern Arbeit ab und gibt ihnen mehr Zeit für komplexe Aufgaben im Versicherungsalltag und die Kommunikation mit Kunden und Agenturen.

KI im Service

Auch im Service hat KI bereits ihren Platz. Im Herbst 2024 hat die LVM einen KI-Assistenten auf Basis von Microsoft Copilot ausgerollt, der 4.200 Innendienstmitarbeiter und 7.500 Agenturen bei der täglichen Arbeit unterstützt. Er bietet nicht nur Sicherheit, Datenschutz und Compliance auf Unternehmensniveau, sondern ist ein Mehrzwecktool für ganz unterschiedliche Anforderungen. „Mit dem Copilot-Assistent lassen sich nicht nur komplizierte Texte zusammenfassen, sondern auch Sonderfälle klassifizieren. Taucht zum Beispiel bei der Antragsstellung die Berufsbezeichnung Steiger im Berufsschlüsselverzeichnis nicht auf, kann der Sachbearbeiter die KI nach einer passenden Alternativlösung befragen,“ nennt Loskant nur zwei der zahlreichen Einsatzbereiche.
„Die Qualität der Antworten ist sehr hoch. Die Fehlerquote liegt nahe bei der eines Menschen.“

Marcus Loskant, IT-Vorstand bei der LVM Versicherung

Die LVM Versicherung zählt deutschlandweit über 3,9 Millionen Versicherte mit über 15 Millionen Verträgen. „Entsprechend hoch ist damit auch der Arbeitseinsatz im Außendienst“, erläutert Loskant. Rückfragen der Vertrauensleute und Agenturmitarbeiter zu Vertragsdetails und -bedingungen führen zu zahlreichen Anrufen im LVM-Innendienst und damit zu einem enormen Workload. Darum führt die LVM im März „KAI“ ein. „Diese KI kann eine Reihe von Rückfragen zu Kraftfahrzeug-Versicherungsbedingungen zeitnah, sicher und automatisiert beantworten“, erklärt Loskant.

Wachstum effizient managen mit KI

Dabei verweist die KI - unabhängig von telefonischer Erreichbarkeit und Service-Zeiten – unter anderem auf die jeweiligen Vertragsbedingungen und macht Antworten durch Quellenangaben nachvollziehbar. „KAI“ konserviert wichtiges Wissen: Im Hintergrund arbeitet eine Datenbank, die mit Vertragsbedingungen, Kommentaren und juristischen Texten gefüttert wurde. „Die Qualität der Antworten ist sehr hoch. Die Fehlerquote liegt nahe bei der eines Menschen“, so der IT-Vorstand.
Ganz nebenbei bietet die KI neuen LVM-Mitarbeitern in der Einarbeitungs- und Ausbildungszeit Antworten auf viele Fragen, die sie sonst ihren Kolleginnen und Kollegen stellen würden. „Wir haben noch nie so viele neue Mitarbeiter bei der LVM eingestellt wie aktuell, denn die Babyboomer machen sich langsam, aber sicher auf den Weg in die Rente“, erklärt Loskant. Das Unternehmen wächst seit 14 Jahren über den Markt. Die KI soll helfen, dieses Wachstum effizient zu managen. „Wir hoffen mit Hilfe der KI Mitarbeiter schneller einzuarbeiten, interne Prozesse zu verbessern und Sachbearbeiter bei Routineaufgaben zu entlasten“, erklärt Loskant. Mit der datenschutzkonformen KI im Rücken hat die LVM die Basis dafür gelegt, das System auf andere Versicherungssparten auszuweiten. Der Betriebsrat unterstütze den KI-Einsatz: „Er sieht darin die Chance, Mitarbeiter zu entlasten und Prozesse zu vereinfachen.“

data:unplugged – Praxisbühne für Entscheider

Die LVM steht mit ihrer Strategie nicht allein da. Unternehmen aller Branchen wollen KI sinnvoll einsetzen. Genau darum geht es beim KI-Festival data:unplugged, am 10. und 11. April in Münster. „Künstliche Intelligenz betrifft alle Branchen. Unternehmen sollten sich damit auseinandersetzen, um die Entwicklungen aktiv mitzugestalten“, erklärte Mitorganisator Marcel Windau im Vorfeld. Im Vergleich zum vergangenen Jahr hat sich beim KI-Festival einiges getan: „Es gibt über 150 Speaker, sechs Bühnen und über 50 Aussteller“, so Windau. Dafür wurde der Veranstaltungsort vom Skaters Palace in die MCC Halle Münsterland verlegt. Mit Microsoft, Google, Snowflake und Pepsi kommen weltweit bekannte Konzerne nach Münster. Die IHK Nord Westfalen unterstützt das Event.
Besonders im Fokus steht die Anwenderperspektive: „Die data:unplugged ist keine Tech-Messe, sondern eine Praxisbühne für Entscheider“, betont Windau. LVM-Vorstand Loskant sieht darin einen Mehrwert: „Wir Versicherer sind gut vernetzt. Aber ein Blick über den Tellerrand lohnt sich. Was machen andere Branchen? Welche Erfahrungen haben sie mit KI? data:unplugged ist die perfekte Gelegenheit für diesen Austausch.“ Darum wird die LVM als Aussteller auf der data:unplugged vertreten sein und von ihren KI-Initiativen berichten.