In Bocholts Sewing Kitchen

Wer Kleidung für Kinder näht, stößt schnell auf das Label „Kid5“. Dahinter steckt die Bocholterin Anja Fürer, die erfolgreich online Schnittmuster verkauft und mit ihrem YouTube-Kanal bekannt macht.
Sonnenhut, Latzhose, Trägerkleid – Kinderkleidung, die mit ihren Schnittmustern genäht wurde, erkennt Anja Fürer manchmal auf der Straße. Und das macht die 48-Jährige aus Bocholt glücklich. Was eigentlich als Hobby begann, ist mittlerweile ein erfolgreiches Online-Business. Seit zwölf Jahren verkauft die gelernte Intensivpflegerin Nähvorlagen für Kinderkleidung. Alles startete damit, dass sie viel für ihre damals noch kleinen Kinder nähte. „Ich habe aus Spaß angefangen, selbstgenähte Sonnenhüte online zu verkaufen – aber ich kam mit der Produktion kaum hinterher“, erinnert sich Fürer. So kam sie auf die Idee die Schnittmuster auf Onlineportalen zu verkaufen, was damals noch relativ neu war. „Zuvor gab es nur Anleitungen aus Burda-Zeitschriften“, erklärt sie. Die ersten drei Schnittmuster ihres Labels „Kid5“ landeten im DaWanda-Shop, einer Plattform für selbstgefertigte Produkte. Da jeden Tag zahlreiche E-Mails mit Fragen ankamen, entschied sich Fürer, Videos aufzunehmen: „Ich wollte so den Support reduzieren – nicht den Verkauf ankurbeln.“ Mit Unterstützung ihres Mannes, der sehr technikinteressiert ist, entstehen 2016 die ersten Videos für den YouTube-Kanal „Kid5 Pattern“. Mal verwandelt sich der Keller in eine „Sewing Kitchen“, mal die Küche in ein Filmstudio. Auch Tochter Carla ist oft mit vor der Kamera und assistiert ihrer Mama bei den Näh-Tutorials. Der Kanal ist somit auch ein Familien-Projekt. Denn zu professionell will Anja Fürer die Videos nicht produzieren: „Ich bin die herrlich unperfekte Nähkursleiterin bei YouTube.“ Ganze 41.000 Abonnenten und Videos mit 460.000 Aufrufen geben ihr recht.

Bestseller 100.000 Mal verkauft

Zwei Sonnenhüte für Kinder
Mit Sonnenhüten fing alles an: Vor zwölf Jahren verkaufte Anja Fürer online selbstgenähte Sonnenhüte. Da die Nachfrage so hoch war, stellte sie erste Schnittmuster zum Verkauf auf eine Onlineplattform ein. © Betz/IHK Nord Westfalen
Mit YouTube verdient Fürer nur wenig Geld – dafür ist ihr Onlineshop da. Hier lassen sich Schnittmuster in Papierform bestellen oder als E-Book zum Ausdrucken kaufen. Die über 100 verschiedenen Nähanleitungen der Bocholterin sind aber auch auf dem Online-Marktplatz „Etsy“ und im Shop von www.stoffe.de erhältlich. Neben Schnittmustern für Kinderkleidung verkauft Fürer auch Anleitungen für Schmusetücher, Kuscheltiere, Schultüten, Wickeletuis, Damen- und Herrenkleidung. Allerdings nicht alles mit gleichem Erfolg: „Ich habe auch Damenschnitte im Shop – aber meine Kunden wollen das nicht. Die möchten bei mir Kinder- und Babyschnittmuster kaufen“, sagt Fürer. Zum Beispiel den Sonnenhut „Onni“ oder die „Baby-Latzhose“: 500 Mal wurde „Onni“ alleine am ersten Verkaufstag bestellt, die Anleitung für die „Baby-Latzhose“ konnte Fürer bereits 100.000 Mal verkaufen. „Pünktlich zum Herbst steigen die Verkäufe für dieses Schnittmuster. Es gibt keinen Tag, an dem dieser Schnitt nicht mindestens 20 Mal verkauft wird“, verrät die Bocholterin.
Durch Suchmaschinen und soziale Netzwerke werden auch immer mehr internationale Kunden auf Kid5 aufmerksam. Deshalb hat Fürer damit begonnen, die Schnittmuster samt Anleitung ins Englische zu übersetzen.

So entsteht ein Schnittmuster

Verpackte Schnittmuster für ein Nähprojekt
Die meisten Schnittmuster von Anja Fürer sind für Baby- und Kinderkleidung. © Betz/IHK Nord Westfalen
Doch bevor ein neues Schnittmuster im Onlineshop landet, dauert es ein paar Wochen: „Ich mache einen Grundschnitt und bearbeite ihn dann mit einer Schnittdirektrice“, erklärt Fürer. Danach wird der Prototyp getestet – in einer Facebook-Gruppe findet die 48-Jährige Probenäherinnen aus der Community, die ihr später ein Feedback schicken. Auch sie selbst näht das neu entwickelte Schnittmuster 15 bis 20 Mal zur Probe. Fürer verfasst dann die passende Nähanleitung und produziert ein Video für YouTube, in dem alle Arbeitsschritte gezeigt werden. Danach erst ist das Schnittmuster bereit für den Onlineshop.
Anja Fürers Schnittmuster sind auch analog im Buchhandel zu finden: 2019 ist ihr Buch „Mini Mode selbst genäht“ erschienen. Viele Fotos im Buch haben sie und ihre Familie selbst geschossen, die Models auf den Fotos sind Fürers Tochter und Sohn sowie deren Freunde. „Das hat den Kindern sehr viel Spaß gemacht“, sagt sie. 2024 folgte mit „Nähen mit Musselin“ das nächste Buch, das sie zusammen mit Julika Landermann verfasst hat.
Und obwohl Fürers Schnitte in der Näh-Szene sehr bekannt und beliebt sind, gibt es immer noch viele Menschen, die ihre Selbstständigkeit eher belächeln. Wenn die Bocholterin von ihrem Business erzählt, finden manche das „ganz süß“ und packen sie in die Schublade „Zahnarzt-Frau“. „Für viele ist das, was ich mache, sehr abstrakt. Sie können sich nicht vorstellen, dass man damit gut Geld verdienen kann.“
Wenn Anja Fürer dann aber auf Näh-Fans trifft, kommt es vor, dass sie auf der Straße erkannt wird: „Bist du nicht die Anja von YouTube?“