„Wir müssen uns nur öffnen“

Frederik Neuhaus ist überzeugt: „Das Potenzial ist da.“ Start-ups und Mittelständler könnten enorm voneinander profitieren – wenn sie nur häufiger miteinander ins Gespräch kämen. Eine Gelegenheit dazu bietet das Festival der jungen Wirtschaft im September, auf dem Neuhaus Keynote-Speaker ist. | Text: Ingrid Haarbeck
Der Gründer des Unternehmens clockin weiß, wovon er spricht. Denn der Gründungsgedanke für sein Unternehmen entstand bei einem Treffen nach dem Handball. Zwei der Sponsoren der Mannschaft sprachen am Stehtisch über ihre Handwerksbetriebe. Die Mitarbeiter dokumentierten ihre Arbeitszeit auf Zetteln und stellten so auch ihre Urlaubsanträge. Da habe der IT-affine Frederik Neuhaus doch sicher eine bessere Lösung? – Er hatte.
Das war die Geburtsstunde für die Software, die clockin vertreibt. 2019 startete das Unternehmen richtig durch, seitdem wächst es jährlich um über 100 Prozent und macht mehrere Millionen Euro Umsatz mit derzeit 46 Mitarbeitern. Die über 5000 Kunden aus der DACH-Region, Benelux und Italien sind größtenteils Unternehmen mit weniger als 100 Mitarbeitern. Die meisten sind Handwerksbetriebe und Pflegedienste. „80 Prozent der Beschäftigten arbeiten ohne Schreibtisch, und 98 Prozent aller Unternehmen in der EU haben weniger als 100 Beschäftigte“, erinnert Neuhaus. „Diese Unternehmen wollen wir digitalisieren, damit sie zukunftsfähig sind“, so Neuhaus.
Auf dem „Festival der jungen Wirtschaft“ treffen am 10. September im IHK-Bildungszentrum in Münster Gründungsinteressierte und junge Führungskräfte auf Start-ups, junge Unternehmen und mittelständische Betriebe. Abschließend stellen sich sechs junge Unternehmen mit ihrem Pitch dem Publikumsvotum.

Scale-up aus Münster

Der demografische Wandel trifft diese Unternehmen doppelt: Zu wenig Fachkräfte, zu wenig potenzielle Unternehmensnachfolger. Ein Teil der Lösung könnte hier sein, die bestehende Belegschaft effizienter einzusetzen – keine umständliche Zettelwirtschaft mehr, keine Suche nach den Bauunterlagen auf der Baustelle, weniger Zeitverschwendung bei der Dokumentation von Vorgängen.
Neuhaus, der von seinen Erfahrungen im Silicon Valley profitiert, macht auch aus seinem Ehrgeiz für das Unternehmen keinen Hehl: „Wir wollen zeigen, dass das auch ein Scale-up aus Münster kann.“ Überhaupt sieht er den Standort durchaus als Vorteil für sein Unternehmen. Denn clockin setzt auf Product-Led-Growth, das heißt: Das Produkt muss so gut sein, dass die Kunden quasi von selber darauf stoßen und mit wenig Aufwand damit starten können.

Münsterland statt München

Und das Produkt, davon ist Neuhaus überzeugt, „ist nur so gut, weil wir es ganz zu Anfang mit den beiden Mittelständlern immer wieder geprüft und verbessert haben.“ Denn hier treffen die IT-ler-Welt und die Welt der IT-fernen Beschäftigten hart aufeinander. „So etwas“, betont Neuhaus, „wäre in dieser Form nie aus Berlin oder München gekommen, denn da fehlt die Rückkopplung mit dem Mittelstand, die wir hier haben.“ Nur so konnte clockin zum „SAP für die kleinen Unternehmen“ werden, wie Neuhaus verdeutlicht.
Für die Gründerszene der Region hat sich in den letzten Jahren schon viel verbessert. clockin, Flaschenpost und ein paar wenige weitere waren die Vorreiter in der Start-up-Szene, inzwischen ist die Szene wesentlich größer geworden, nicht zuletzt dank der Unterstützung durch Institutionen wie das REACH, den Digital Hub und den Venture Club. Für Neuhaus war in der Anfangszeit die „einzige Hilfe die IHK mit dem Mentorennetz“.
Derzeit ist clockin im Scale-up-Programm des Landes NRW, ein vorbildliches Programm, wie Neuhaus konstatiert. „Sowas hat sonst kein Bundesland.“ NRW unterstützt damit jeweils zehn Start-ups, die schon eine gewisse Größe haben und internationales Wachstum anstreben. Bei den wöchentlichen Terminen kann Neuhaus die aktuellen Fragen formulieren, und in wenigen Tagen bekommt er Zugang zu einem Experten für das entsprechende Thema, sei es aus dem Bereich Marketing, Finanzierung oder Personal. Auch den Austausch mit den anderen Scale-ups, die wie sein Unternehmen exponentiell wachsen, schätzt er sehr. Überhaupt ist er ein Fan des Austausches, mit anderen gleichgearteten Unternehmen, aber auch außerhalb der Bubble.

Geld und Know-how verbinden

Nach Neuhaus Einschätzung könnte sich die hiesige Wirtschaftswelt der Wissenschaftswelt und der Start-up-Szene ruhig noch ein wenig mehr öffnen: „Wir haben hier in der Region das Geld, wir haben das Know-how, wenn wir das verbinden können, dann sind wir ganz weit vorn.“
Ein Termin, den er dafür empfiehlt, ist das Festival der jungen Wirtschaft. Sechs junge Unternehmen, die dort pitchen, dazu die Besucherinnen und Besucher – „Das ist ein Raum voller Ideen“. Schließlich sei es immer sinnvoll, neue Ideen außerhalb der eigenen Bubble zu suchen – und wenn es nach dem Event am Stehtisch beim Snack ist. So wie damals in Ahlen nach dem Handballspiel. „Wir haben hier in der Region ein enormes Potenzial, wir müssen es nur heben.“