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Wirtschaftsspiegel
Nr. 6711728
5 minLesezeit
Unternehmen & Märkte
Kohle, die das Klima schont
von Dominik Dopheide |
Grünschnitt, Einstreu, Kaffeeprött: Was, wenn sich damit noch Kohle machen ließe? Genau diese Idee wird in Ladbergen, in einem Gewerbegebiet am Dortmund-Ems-Kanal, bereits umgesetzt.
Die Biokohle Ladbergen GmbH & Co. OHG produziert dort Kohle aus Pflanzenabfällen. Das Produkt des Start-ups gilt als CO2-neutral. „Beim Verfeuern wird ungefähr so viel Kohlenstoffdioxid freigesetzt, wie die verwendeten Pflanzen aus der Atmosphäre gebunden hatten und im Zuge der Verrottung ohnehin wieder freigesetzt hätten“, erklärt Max Brinkhege, der, wie auch Dr. Götz Kröner und Andreas Breckweg, Geschäftsführer des Unternehmens ist. Anders als die fossilen Varianten schlägt Biokohle also nicht per se ins Klima-Kontor: „Wer diese Kohle verbrennt, ist nicht verpflichtet, CO2-Zertifikate zu erwerben oder Emissionsabgaben zu zahlen“, sagt Brinkhege. Zudem kann sie zügig produziert werden. Mutter Natur hatte Jahrmillionen für den fossilen Brennstoff gebraucht. Dank Brinkheges Vater, ist künstliche Kohle aus Pflanzenabfällen innerhalb von sechs bis acht Stunden fertig.
„Er ist tatsächlich der Erfinder der vapothermalen Karbonisierung, so wie wir sie hier machen“, erzählt Max Brinkhege. Autoklaven nämlich hatte auch Peter Brinkhege befüllt – mit Kalksandstein-Rohlingen, zur Aushärtung. Eines Tages fiel ihm eine schwarze Stelle im weißen Produkt auf: Ein kleines Stückchen Holz hatte sich ins Ausgangsmaterial „geschlichen“ und ist im Reaktor zu Kohle transformiert worden. In Anlehnung an das Verfahren erhielt sie die Bezeichnung „VTC-Kohle“. Der Unternehmer hat damals ein Patent angemeldet und seinen Sohn eingeweiht. „Das Kyoto-Protokoll war zwar schon in Kraft, aber die CO2-Bepreisung noch kein großes Thema“, erklärt Max Brinkhege, warum die Idee nicht sofort umgesetzt worden ist.
Das Projekt konnte noch etwas warten, die Methode war ja dokumentiert: Die Biomasse kommt in einen knapp 30 Meter langen und zwei Meter breiten gasdichten Reaktor – Autoklav genannt. Das Material wird mit 200 Grad heißem Wasserdampf und 15 bar unter Druck gesetzt. „Die Zellen platzen, die Biomasse verliert Wasser, und das vormals holzige, faserige Material wird porös, wie wir das von Kohle kennen“, erklärt Brinkhege. Im Brennwert gleicht das Produkt einer alten Bekannten aus dem Miozän: der Braunkohle. Zwei Autoklaven sind am Standort in Betrieb, allerdings kann nur die Hälfte des Gesamtvolumens von 90.000 Litern genutzt werden. Das Eckige – die Box mit den Pflanzenresten – muss ins Runde, nämlich in den Reaktor. Es bleibt also noch Luft nach oben und zu den Seiten. Auch andere Sequenzen des Produktionsprozesses funktionieren schon gut, bieten aber noch Optimierungspotenzial. „Der Brennstoff Biokohle selbst ist CO2-neutral, jedoch fallen bei der Herstellung in der Pilotanlage derzeit noch CO2-Emissionen an“, erklärt Brinkhege. Doch soll in absehbarer Zukunft auch der Herstellungsprozess klimaneutral werden, weil das Unternehmen 20 Prozent der hergestellten Biokohle für die Produktion einsetzen will. „Wir haben darüber hinaus zum Beispiel in den Bereichen Abwasserreinigung und Luftfilterung noch etwas zu tun“, sagt Brinkhege. Kein Wunder: Die Produktionsanlage in Ladbergen und mit ihr das gesamte Start-up ist ein gemeinschaftliches Pilotprojekt, hier wird Neuland betreten. Laut Brinkhege gibt es auf der ganzen Welt so eine Anlage noch nicht. Doch muss Brinkhege an den Stellschrauben zur Prozessoptimierung nicht alleine drehen.
Die in Rheine ansässigen Kalkwerke Breckweg sowie die in Ibbenbüren ansässige Kröner-Stärke verfügen laut Brinkhege über viel Know-how in Maschinenbau und Prozessführung, beide sind, neben Brinkhege, Gesellschafter der 2019 gegründeten Biokohle Ladbergen. Kröner Stärke gehört zudem das Betriebsgelände am Kanal. Beide setzen große Mengen Braunkohlestaub als Brennstoff ein. Zumindest die Kalkwerke wollen diesen Energieträger auf Sicht komplett durch Biokohle ersetzen. Max Brinkhege sieht für das Produkt noch weitere Anwendungsszenarien. Er nennt beispielhaft die Stahlproduktion – ein Kunde aus der Branche wird bereits beliefert.
Hier könne die Kohle nicht nur energetisch, sondern auch stofflich genutzt werden. Beim Einbau in feste Baustoffe wie Beton und Asphalt kommt es sogar zu einer CO2-Senke, es wird also CO2 dauerhaft der Atmosphäre entzogen“, erklärt Brinkhege, um weitere Anwendungsbereiche zu nennen: die Klinkerproduktion und die Bodenverbesserung. Zunächst aber geht es den Gesellschaftern darum, „im großtechnischen Maßstab zu beweisen, dass dieses Verfahren funktioniert und wirtschaftlich ist“, wie Brinkhege erklärt.
Kohle aus Klärschlamm
Doch kann Biokohle wirklich wettbewerbsfähig werden? Brinkhege wirft Argumente in Waagschale. So müssten Abnehmer, die bisher Stein- oder Braunkohle eingesetzt haben, nicht zwingend in neue Anlagen investieren. Kessel, Silos, Fördertechnik: Das alles könne, im Sinne der Nachhaltigkeit, weiter betrieben werden, erklärt Brinkhege. Er geht davon aus, dass sowohl in ländlichen als auch in städtischen Regionen im Jahr bis zu 100 000 Tonnen Biomasse eingesammelt werden können, für die im Einkauf keine Unsummen fällig werden. Das Spektrum des verwendbaren Ausgangsmaterials ist groß. Brinkhege nennt beispielhaft Altholz, Grünschnitt, Holzhackschnitzel, Gärreste aus Biogasanlagen, zudem vielerlei Ausschussprodukte aus der Nahrungsmittelherstellung sowie der Landwirtschaft. Auch der Abfallstoff Klärschlamm komme prinzipiell für die Inkohlung in Frage. Für einige der Materialen müsse man etwas zahlen, für andere fallen nur Transportkosten an, die Annahme von Klärschlamm hingegen werde sogar vergütet, berichtet der Unternehmer. „Die Biomasse muss ja ohnehin von A nach B gefahren werden“, betont Brinkhege den Nachhaltigkeitsaspekt des Konzeptes. Noch wettbewerbsfähiger, weil effizienter, werde das Verfahren bei dezentraler Herstellung. „Am besten also produzieren wir direkt auf dem Gelände des Abnehmers, sparen somit den zweiten Transportweg und können im Idealfall die Abwärme nutzen, die bei Prozessen des ansässigen Unternehmens entsteht“, sagt der Geschäftsführer.
Expansion geplant
Weil die Biokohle-Macher sicher sind, dass diese Rechnung aufgeht, stecken sie gerade den Expansionskurs ab. „Wir wollen hier in Ladbergen den Standort vergrößern und modernisieren“, verrät Brinkhege. Aus Sicht des IHK-Energieexperten Thorsten Hahn wäre das ein vielversprechender Schritt im Hinblick auf die Energietransformation in der Region. „Lokal produzierte Biokohle kann gerade für energieintensive Unternehmen als Baustein im Energiemix künftig eine gute Rolle spielen.“ Ein lokal verfügbarer, CO2-neutraler Energieträger ergänze zudem den weiterhin laufenden Ausbau der erneuerbaren Energien und trage zur Versorgungssicherheit bei. „Um die Transformation zur Klimaneutralität umzusetzen, müssen die Betriebe ja aus bezahlbaren Alternativen und praktikablen Lösungen wählen können“, betont Hahn. Vor diesem Hintergrund sei es Aufgabe der IHK, auf innovative Lösungsansätze hinzuweisen – insbesondere, wenn sie in der Region entwickelt werden. Genau das, ergänzt Hahn, habe Biokohle Ladbergen bereits in der Pilotphase geleistet.