Start-up-Szene

Poste und herrsche

Wenn die Beauty-Influencerin bei Instagram einen Lippenstift empfiehlt oder ein Food-Blogger eine Pfanne, dann verdient ein Unternehmen in Münster vermutlich daran mit. Bisher kennt es kaum jemand. Bisher. | Text: Ingrid Haarbeck
Was Michael Elschenbroich und sein Team von inzwischen 101 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei stylink mitten in Münster vollbringen, ist ein neues Level von Influencer-Marketing. Hier werden nicht von Hand Influencer und Shops zusammengebracht, sondern riesige Datenmengen zusammengetragen und ausgewertet. Das bringt den Shops mehr Sales, den Influencern mehr Einkommen und stylink ein exponentielles Wachstum.

„Monetarisiere deinen Kleiderschrank“

Dabei fing es unspektakulär an: Als Sven Goik im Jahr 2017 genug hatte von seiner Arbeit bei einem Private Equity Fund, entschloss er sich zur Gründung einer Influencer-Marketing-Plattform, die Fashion-Marken mit Influencern zusammenbringt, also Menschen mit Followern auf Instagram oder YouTube. So weit, so normal. Oder, wie es Michael Elschenbroich, heutiger Geschäftsführer von stylink, sagt: „Ganz egal, zu welchem Thema jemand postet, ob jetzt Finance-Influencer oder Food-Blogger, immer hat er oder sie irgendetwas an, und immer gibt es Follower, die wissen wollen, woher denn diese Jacke oder dieses Shirt kommt.“ Die Grundidee, so Elschenbroich, sei gewesen: „Monetarisiere deinen Kleiderschrank“. Der Gründer war dabei nicht einmal besonders Instagram-affin. Mit drei, vier Mitarbeitern, damals noch in Hamburg, fing es an.
Als stylink dann im Jahr 2019 die ersten kleinen Gewinne erwirtschaftete, wurde Marketing-Unterstützung gesucht, und zwar in Münster, wohin der Gründer inzwischen aus privaten Gründen gezogen war. So kam Michael Elschenbroich ins Haus, der bereits seit einigen Jahren eine Online-Marketing-Agentur in Münster betrieb. Die Mischung aus Goiks Geschäftsmodell, Elschenbroichs Marketingkenntnissen, und Corona sorgte dann für den Durchbruch.

© MICHAEL C.MOELLER
Denn in der Coronapandemie erfuhr das Online-Shopping einen enormen Aufschwung. Und Elschenbroich entwickelte das Modell, mit dem das Online-Marketing „von Hand“ auf eine Datenbasis gestellt wurde. Influencer mit etwa 5000 Followern bei Instagram können mit dem Linkmaker von stylink einen Link in ihrer Story einfügen „Das dauert 15 Sekunden“, versichert Elschenbroich, „der Einstieg soll natürlich möglichst einfach sein.“ Er bekommt dann von stylink eine Vergütung für jeden Klick auf diesen Link. Stylink bekommt von den Shops einen Anteil an den Verkäufen. Wie hoch die Vergütung für die Creator ist, richtet sich nach einem Algorithmus und ändert sich täglich. „Das ist unser USP“, berichtet Elschenbroich, „es hat natürlich u.a. mit Performance und Qualität des Contents zu tun.“
Jeder kann ein T-Shirt bewerben, aber nicht jeder eine Bohrmaschine.

Michael Elschenbroich

Der Clou: Das Anreizsystem belohnt Influencer, die nicht nur verlinken, sondern das mit so professionellem Content zum richtigen Zeitpunkt verbinden, dass daraus auch viele Views und Klicks generiert werden. Stylink unterstützt dabei. Denn mithilfe der Unmengen von analysierten Daten können die Verantwortlichen des Unternehmens Hinweise geben, wann welche Inhalte gut performen. Natürlich kann das Team nicht mit allen inzwischen 250.000 Influencern und Bloggern persönlich im Kontakt stehen. Aber es gibt Instagram-Kanäle, auch speziell für einzelne Ländermärkte, mit Tipps und Tutorials. Und die stylink-Expertinnen kommunizieren mit den Content-Erstellern und Partnershops vorzugsweise per WhatsApp. „Die sind in der selben Altersgruppe wie die Influencer und kommunizieren daher mit denen auf Augenhöhe, das könnte ich auch nicht mehr“, gibt Elschenbroich zu. Der Altersschnitt im Unternehmen liegt bei 29 Jahren, da liegt sogar der Geschäftsführer mit seinen 42 Jahren drüber.

Team aus „Rohdiamanten“

Das Team ist einer der Erfolgsfaktoren von stylink. „Als wir in den Jahren 2020, 2021 so viel neu eingestellt haben, bekamen wir all die Rohdiamanten von der Uni“, freut sich Elschenbroich. Denn bei vielen Unternehmen herrschte zu der Zeit ein Einstellungsstopp. So konnte stylink profitieren und zahlreiche Marketing-Expertinnen von sich überzeugen. Und ja, es sind mehrheitlich Frauen, die hier arbeiten. Keine positive Diskriminierung, sondern: „Es haben eben einfach mehr Frauen überzeugt“, betont Elschenbroich.
Das Team arbeitet übrigens tatsächlich vor Ort in Münster, nur ausgewählt remote. Denn gerade in den Anfangsjahren, so Elschenbroich, musste erst einmal ein Mannschaftsgeist geschaffen werden. Und auch die Prozesse mussten laufend angepasst werden – an äußere Entwicklungen, an das Wachstum des Unternehmens. Also arbeiten die Teams jeweils in einem Büro, wobei für jeden Ländermarkt und jedes Querschnittthema (Leitung, Finanzen, Social Media Marketing) ein Gruppenbüro vorhanden ist. Die Büros und Konferenzräume haben keine Nummern, sondern wurden nach den Internetmemes benannt, die neben den Türen hängen. Was noch auffällt: Es gibt keine Telefone. „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommunizieren nun mal sowieso auf anderen Kanälen“, erklärt der Geschäftsführer.
Elschenbroich hat längst ein neues strategisches Thema im Fokus: „Wir machen Matchmaking – also wissen, welcher Influencer wann wie zu welchem Zeitpunkt was wie posten muss, damit es optimale Wirkung im Shop entfaltet.“ Das ist einfach, wenn die Mami-Bloggerin ihre Tipps für Kinderschuhe weitergibt. Die Münsteraner können aber nicht nur die bisherigen Schwerpunktthemen Fashion und Interior. Sie wissen auch, wie ein Fensterhersteller oder ein Dachdecker Influencer nutzen kann. Wenn beispielsweise die Podcasterin gerade umgezogen ist, kann sie auch etwas über ihre neuen Fenster posten. Nur Vollgas
Daher gehören zu stylinks-Team längst auch Data Scientists und Programmierer. Denn der gigantische Datenpool, den stylink sammelt, dient der Vorhersage künftiger Sales und sorgt für das richtige Matchmaking. „Jeder kann ein T-Shirt bewerben, aber nicht jeder eine Bohrmaschine.“ Elschenbroich arbeitet daran, dass seine Leute für jede Firma und jeden Shop den passenden Internet-Creator finden – mithilfe dieses Datensees. „Dann haben wir die Weltherrschaft“, sagt Elschenbroich mit einem Augenzwinkern. Lang kann das nicht mehr dauern. „Es gibt nur ein Gas, nämlich Vollgas“, ist nämlich Elschenbroichs Motto. Das verrät die Collage, die ihm sein Team zum Geburtstag gestaltet hat. Tatsächlich „ging es mir manchmal nicht schnell genug“, so der Geschäftsführer. Und das bei einem Unternehmen, das in nur fünf Jahren von vier Mitarbeitern auf 101 gewachsen ist, 250.000 Influencer betreut, in 1100 Shops vertreten ist und nicht nur in Deutschland, Österreich und der Schweiz, sondern auch in Polen, Großbritannien, Irland, Frankreich, Schweden, USA, Australien, und den Benelux-Staaten.
Der Unternehmer steht als Pappaufsteller in Lebensgröße in einem Konferenzraum, dekoriert mit Cowboyhut und Halstuch. „Das war ein Geschenk des Teams“, erklärt er, „der steht jetzt täglich woanders.“ Herrscher der Daten kann er von überall sein.