Praxis & Ratgeber

Familieninterne Nachfolge: „Das ist ein Privileg“

Soll ich’s wirklich machen oder lass ich’s lieber sein? Julian Sievers hatte viel Zeit, um sich für oder gegen das Unternehmerdasein zu entscheiden. „Mein Vater hat mich nie gedrängt, die Firma zu übernehmen“, sagt der Wirtschaftsingenieur. Vielleicht liegt genau hier das Erfolgsgeheimnis einer Unternehmensnachfolge, die wie im Bilderbuch über die Bühne geht. Physik, Mathe und Wirtschaftswissenschaften sind seine Lieblingsfächer in der Schulzeit. Keine schlechten Voraussetzungen für einen Job, in dem sich fast alles um Technik und Betriebswirtschaft dreht. Denn die in Münster und Iserlohn ansässige Sievers-Gruppe ist entstanden rund um die Einbruchmeldetechnik. 
Seit 2009 arbeitet Julian Sievers – nach seinem Studienabschluss – Vollzeit im Unternehmen, seit 2019 ist er Inhaber. Dass dieser Weg vorgezeichnet war, hat er nicht als belastend empfunden. Im Gegenteil: „Viele junge Leute tun sich schwer, um ihren beruflichen Weg zu finden, ich war froh, dass ich sozusagen Leitplanken hatte, in denen ich mich orientieren konnte“, erinnert sich der heute 32-Jährige. Einige Male blickt er über diese Planken hinweg in andere Berufsfelder – nur um sicherzugehen, dass er sich wirklich auf dem für ihn besten Berufsweg befindet.
„Ich habe mich damals sehr dafür interessiert, wie andere Biografien aussehen, fand auch viele andere Tätigkeiten spannend, konnte mir aber nicht vorstellen, sie langfristig auszuführen“, erinnert sich Sievers. Eine gute Nachricht für Vater Klaus Sievers, der das Unternehmen 1978 gegründet hat und sich nichts mehr wünscht, als dass sein Lebenswerk der Familie bleibt. Als sein Sohn das Studium antritt, hat der Diplom-Ingenieur nur noch eines zu befürchten: dass der Junior die Karriere in einem Konzern bevorzugt. Doch dessen Herz schlägt für den Mittelstand. 
Die Gründe: Nähe zu den Mitarbeitern und höhere Flexibilität. „Wenn wir hier ein Thema anpacken, können wir es auch sofort umsetzen, das ist in Konzernen nicht immer so“, sagt er. Perfekte Übergabe Dass er im elterlichen Betrieb Themen anpacken und umsetzen kann, stellt der designierte Nachfolger bereits während des Studiums immer wieder unter Beweis. Er entwickelt beispielsweise das Qualitätsmanagement weiter und lernt dabei nach und nach
sämtliche Prozesse und Mitarbeiter kennen. „Man kann eine Übergabe nicht besser planen, als er es gemacht hat“, lobt der Jungunternehmer seinen Vater. Als er im Januar 2019 Inhaber der Sievers-Gruppe wird, hat er sich neun Jahre lang auf die Aufgabe vorbereitet. Doch ist ihm am ersten Arbeitstag als Chef sehr wohl bewusst, dass etwas anders ist als zuvor: Er hat die Verantwortung für die Mitarbeiter übernommen – und das sind nicht etwa zwei oder drei, sondern fast 80. 
„Das ist mehr als nur eine Zahl auf dem Papier. Im Mittelstand ist es wichtig, dass man als Chef für die Mitarbeiter erreichbar ist, und ich bin froh, dass sie die Gespräche mit mir genauso suchen, wie mit meinem Vater“, sagt Julian Sievers, der sich, bei allen eigenen neuen Ideen, prinzipiell in der Tradition seines Vaters sieht: „Ich bin der Sohn meiner Eltern, das heißt, wir haben gemeinsame Werte und dasselbe Verständnis von Unternehmertum und Verantwortung“, erklärt der Nachfolger. Wie sein Vorgänger setzt er auf Stetigkeit und will unkalkulierbare Risiken meiden. Den Kunden und Mitarbeitern gegenüber will er sich genauso verbindlich, dem Unternehmen gegenüber genauso verbunden zeigen. 
Klaus Sievers wiederum will die Harmonie dieser Nachfolge gar nicht erst auf den Prüfstein stellen: Vater und Sohn stecken die Verantwortungsbereiche glasklar ab, der Junior erhält schon vor Jahren in einigen Bereichen die volle Gestaltungsfreiheit – eine Erfolgsstrategie, sagt Julian Sievers. Ohnehin war er schon 2008 an einer grundlegenden strategischen Entscheidung maßgeblich beteiligt: Sein Vater hätte verkauft, wenn er nicht zugesagt hätte, die Nachfolge anzutreten. Stattdessen hat Klaus Sievers eine siebenstellige Summe investiert, um per Expansion, Diversifikation und Standortwechsel die Perspektiven des Unternehmens weiter auszubauen. Zudem schafft er seinem Sohn bestmögliche Startbedingungen: Julian Sievers muss das Unternehmen nicht kaufen, sondern bekommt es im Wege einer vorweggenommenen Erbfolge. 
Selbstbestimmtes Leben ist Julian Sievers das Unternehmertum also ganz und gar in die Wiege gelegt worden? Keinesfalls, findet er. An das sogenannte Unternehmer-Gen jedenfalls glaubt er nicht. Die geforderten Kenntnisse und Fähigkeiten, der Respekt der Kunden und Mitarbeiter: Das alles, betont er, müssen sich angehende und junge Unternehmer erst mal erarbeiten. Der ehemalige Vorsitzende der Wirtschaftsjunioren Nord Westfalen verweist auf Fälle, in denen die familieninterne Nachfolge nicht so reibungslos funktioniert hat oder gar in der kompletten Rückabwicklung mündete. „Man muss einfach Spaß haben am Unternehmerdasein, wenn man sich in die Rolle reinpressen lässt, klappt es nicht“, sagt Sievers. Einige attestieren ihm, vielleicht etwas früh erwachsen geworden zu sein. Doch nie, versichert er, habe er die Vorbereitung auf die künftige Aufgabe als Belastung empfunden – auch nicht zu Studienzeiten. 
So schnell wie möglich hat er die Hochschule absolviert. „Ich habe aber auch nicht alle Partys ausfallen lassen“, berichtet Julian Sievers mit einem Augenzwinkern. Und die Zeit, um seine jetzige Frau kennenzulernen, hat er sich auch während des Studiums genommen. Grundsätzlich jedoch sei ihm die „unglaublich große Selbstbestimmtheit, die das Unternehmerleben bietet“, viel wichtiger gewesen als die Freiheit des Studentenlebens. 
Frei zu bestimmen und zu gestalten: Das ist von Julian Sievers jetzt jeden Tag gefordert. Durch die weitere Optimierung der Abläufe und Verbesserung des Angebots möchte Sievers das Unternehmen weiter auf Erfolgsspur halten. „Durch weitere Digitalisierung können wir unsere Prozesse für unsere Mitarbeiter vereinfachen und noch besser auf die individuellen Wünsche unserer Kunden zuschneiden“, erklärt der geschäftsführende Gesellschafter. Wie ihr Alltag aussieht und wie sie mit ihren Aufgaben und ihrer Verantwortung umgehen, sollten Unternehmer nach Sievers’ Meinung immer wieder transparent machen. Nur so könnten sie das Image des Unternehmertums fördern und mehr Menschen für diesen Job, der viel mehr ist als ein Job, begeistern. „Sich über fehlende Anerkennung zu beschweren, ist in jedem Fall der falsche Weg“, betont Sievers und ergänzt: „Unternehmer zu sein ist schließlich ein Privileg, für das man dankbar sein kann.“