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Papierberge für Produktsicherheit
Seit dem 13. Dezember 2024 ist die neue EU-Produktsicherheitsverordnung (Verordnung 2023/988) gültig. Sie soll Produkte sicherer machen und Verbraucher schützen. Für mittelständische Unternehmen ist die Einhaltung jedoch besonders herausfordernd. Zwei Unternehmer, die sich intensiv mit der Umsetzung beschäftigt haben, berichten von der enormen Aufgabe, die ihnen die Produktsicherheitsverordnung stellt. | Text: Mareike Scharmacher-Wellmann
Bürokratie erschwert die Arbeit
Welches Risiko birgt die Lebenszeit und Entsorgung dieses Bleistiftes? - Eine Überlegung, die Hersteller und Vertreiber bei jedem Produkt anstellen müssen und auch dokumentieren.
Besonders kleinere Unternehmen stehen unter Druck. Nicole Schwering, die sich bei POLYCLEAN gemeinsam mit Christiane Pohlmann um die Umsetzung der Verordnung kümmert, berichtet: „Es ist nicht möglich, das zwischen Tagesschau und Wetterkarte zu erledigen. Die Anforderungen sind äußerst komplex.“
- Was Hersteller, Einführer und Händler jetzt beachten müssen
Die Produktsicherheitsverordnung legt Pflichten für Wirtschaftsakteure fest, um die Sicherheit von Verbraucherprodukten zu gewährleisten. Sie betrifft Hersteller, Einführer und Händler und definiert spezifische Verantwortlichkeiten. Ziel ist es, die Rückverfolgbarkeit von Produkten zu verbessern, die Verbraucherinformation zu stärken und ein hohes Maß an Produktsicherheit zu gewährleisten.Die Übersicht zeigt die wichtigsten Punkte, die Unternehmen beachten müssen. Erstellt wurde die Übersicht von Klaas Moltrecht, Referent Innovation bei der IHK Nord Westfalen.
Kennzeichnungspflichten
Hersteller:
- Namen, eingetragenen Handelsnamen oder Handelsmarke, Postanschrift, E-Mailadresse auf dem Produkt angeben - wenn dies nicht möglich ist, auf der Verpackung angeben oder beifügen (Art. 9 VI GPSR)
- Typen-, Chargen- oder Seriennummer auf dem Produkt angeben - wenn dies nicht möglich ist, auf der Verpackung angeben oder beifügen (Art. 9 V GPSR)
Einführer:
- Sicherstellen, dass Kontaktdaten des Herstellers gem. Art 9 VI GPSR angegeben sind (Art. 11 I GPSR)
- Namen, eingetragenen Handelsnamen oder Handelsmarke, Postanschrift, E-Mailadresse auf dem Produkt angeben - wenn dies nicht möglich ist, auf der Verpackung angeben oder beifügen (Art. 11 III GPSR)
- Sicherstellen, dass Typen- Chargen- oder Seriennummer gem. Art. 9 VI GPSR auf dem Produkt angegeben ist - wenn dies nicht möglich ist, auf der Verpackung angeben oder beifügen (Art. 11 I GPSR)
Händler:
- Sicherstellen, dass Kontaktdaten des Herstellers gem. Art. 9 VI GPSR und ggf. des Einführers gem. Art. 11 III GPSR angegeben sind (Art. 12 I GPSR)
- Sicherstellen, dass Typen- Chargen- oder Seriennummer gem. Art. 9 VI GPSR auf dem Produkt oder wenn dies nicht möglich ist auf der Verpackung oder beigefügt (Art. 12 I GPSR)
Interne Risikoanalyse
Hersteller:
- internen Risikoanalyse durchführen (Art. 9 II GPSR)
Einführer:
- sicherstellen, dass Hersteller interne Risikoanalyse gem. Art. 9 II GPSR durchgeführt hat (Art. 11 I GPSR)
Sicherheitsinformationen
Hersteller:
- Sicherheitsinformationen beifügen (Art. 9 VII GPSR)
Einführer:
- Sicherheitsinformationen beifügen (Art. 11 IV GPSR)
Händler:
- Sicherstellen, dass Hersteller und ggf. Einführer Sicherheitsinformationen beigefügt hat (Art. 12 I GPSR)
IHK-Ansprechpartner:Klaas Moltrecht
Die Kernaufgaben: Risikobewertung und Dokumentation
Ein zentrales Element der Verordnung ist die Risikobewertung. Unternehmen müssen den gesamten Produktlebenszyklus analysieren - von der Herstellung über die Nutzung bis zur Entsorgung. „Auch harmlose Produkte müssen dokumentiert werden, um ihre Unbedenklichkeit nachzuweisen“, erklärt Schwering. Die technische Dokumentation umfasst oft mehrere Seiten, sie muss aktualisiert und zehn Jahre lang aufbewahrt werden.
Henrik Alichmann, Geschäftsführer der MTM Baustoffe GmbH & Co. KG aus Münster, beschreibt die Situation ähnlich꞉ „Wir führen gerade Risikobewertungen durch, aber klare Formate oder Vorlagen fehlen. Jeder muss das Rad für sich neu erfinden.“ Die Unsicherheit über die genauen Anforderungen der Verordnung sorgt für Unmut. „Wir erhalten nur juristische Abhandlungen, die mehr Fragen aufwerfen als sie beantworten“, so Alichmann.
Henrik Alichmann, Geschäftsführer der MTM Baustoffe GmbH & Co. KG aus Münster, beschreibt die Situation ähnlich꞉ „Wir führen gerade Risikobewertungen durch, aber klare Formate oder Vorlagen fehlen. Jeder muss das Rad für sich neu erfinden.“ Die Unsicherheit über die genauen Anforderungen der Verordnung sorgt für Unmut. „Wir erhalten nur juristische Abhandlungen, die mehr Fragen aufwerfen als sie beantworten“, so Alichmann.
Problemfeld Onlinehandel
Der Onlinehandel stellt eine besondere Herausforderung dar. POLYCLEAN-Chef Pohlmann beschreibt: „Unsere Produkte werden auch über Plattformen wie Amazon vertrieben. Die Produktsicherheitsverordnung verlangt, dass wir im Falle eines Rückrufs alle relevanten Informationen bereithalten – ein Aufwand, der vor allem bei kleineren Unternehmen kaum zu stemmen ist.“
Dabei sähen sich europäische Hersteller oft im Nachteil. Produkte aus dem Ausland, insbesondere aus China, unterliefen häufig die strengen EU-Regulierungen. „Wir sind die Verlierer, weil wir als lokale Unternehmen angreifbar sind, während minderwertige Produkte den Markt überschwemmen“, kritisiert Pohlmann. „Es ist ein Ungleichgewicht, das der Gesetzgeber dringend adressieren muss.“
Aufklären statt aussetzen

Henrik Alichmann berichtet Ähnliches aus der Baustoffbranche: „Die meisten Unternehmen wissen nicht, was die Verordnung bedeutet, und sind schlicht überfordert. Wir müssen informieren, obwohl wir selbst noch vieles klären müssen.“
Auch die Industrie- und Handelskammer Nord Westfalen mahnt: „Natürlich hat Produktsicherheit höchste Priorität. Niemand will, dass unsichere Produkte auf den Markt gelangen“, sagt Klaas Moltrecht, Referent für Innovation bei der IHK Nord Westfalen. „Doch für viele kleinere Betriebe ist der bürokratische Aufwand eine kaum zu bewältigende Last. Klarere Leitlinien und vereinfachte Vorgaben sind dringend nötig.“
Eine Chance für „Made in Germany“
Trotz der vielen Herausforderungen birgt die Verordnung auch Chancen. Nicole Schwering ist optimistisch: „Langfristig könnte die Verordnung dazu beitragen, dass „Made in Germany“ wieder an Bedeutung gewinnt. Höhere Sicherheitsstandards könnten deutsche Produkte klar von der Konkurrenz abheben und das Vertrauen der Verbraucher stärken.“
Doch bis dahin ist es ein weiter Weg. „Die Verordnung wird sich weiterentwickeln müssen, weil viele Probleme erst in der Praxis sichtbar werden“, sagt Alichmann. Die Unternehmer hoffen auf klare Leitlinien und eine Entlastung bei der Umsetzung. Bis dahin arbeiten viele Unternehmen unter einer doppelten Last: dem Druck, die Vorschriften einzuhalten, und der Unsicherheit, ob sie alles richtig machen.
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Redaktion Wirtschaftsspiegel