Praxis & Ratgeber

Vorbeugen statt weggucken

Was tun, wenn aggressive Kunden aufs Kassenband schlagen? Polizeioberrat Andre Niewöhner von der Koordinierungsgruppe #sicherimDienst gibt Tipps, wie sich Händler und Gastronomen bei Bedrohungen und vor Gewalt schützen können. | Interview: Berthold Stein
Herr Niewöhner, mit dem Präventionsnetzwerk #sicherimDienst hat die Landesregierung auf die zunehmende Gewalt gegen Einsatzkräfte, Lehrkräfte oder Krankenhauspersonal reagiert. Berichten auch privatwirtschaftliche Unternehmen von einem Anstieg der Gewalt?
Andre Niewöhner: Ja, definitiv. Viele Unternehmen stehen vor denselben Herausforderungen wie der öffentliche Dienst: Wie kann man Beschäftigte schützen? Wie reagiert man auf Gewalt? Hier können Erfahrungen des Netzwerks helfen – zum Beispiel, wenn es darum geht, Präventionskonzepte zu entwickeln und Schutzmaßnahmen umzusetzen.
Welche Branchen sind besonders betroffen?
Niewöhner: Besonders gefährdet sind Branchen mit viel Kundenkontakt, zum Beispiel der Einzelhandel, die Gastronomie oder auch der Dienstleistungssektor. Kritische Situationen entstehen häufig beim Umgang mit Geld, aber auch während Nachtdiensten oder wenn man alleine – und nicht im Team – arbeitet. Riskante Situationen können zudem durch den Kontakt mit alkoholisierten Personen oder Menschen in psychischen Ausnahmesituationen entstehen. Ein typisches Beispiel: Ein Kunde ist ungeduldig, weil es an der Kasse länger dauert. Er wird laut, beleidigt den Kassierer und schlägt womöglich aufs Kassenband.
Andre Niewöhner
Polizeioberrat Andre Niewöhner lenkt den Leitungsstab im Polizeipräsidium Münster. Zudem ist er Leiter der Koordinierungsgruppe #sicherimDienst. © Polizei Coesfeld
Händler berichten uns, dass sie manchmal bei Ladendiebstahl „weggucken“, um einer Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen.
Niewöhner: Das Verhalten zeigt doch ein grundsätzliches Problem: Vielen Beschäftigten fehlt es an Handlungssicherheit, zum Beispiel durch fehlende Qualifizierung. Sie sind häufig nicht geschult in Kommunikation und Deeskalation, sei es durch Personal- oder Zeitmangel. Mitarbeitende fühlen sich bedroht, wissen aber nicht, wie sie reagieren sollen. Hier sind klare Handlungsempfehlungen wichtig: Wann sollte ich eingreifen? Wann sollte ich mich zurückziehen? Und wann Hilfe holen? Beschäftigte müssen sich außerdem darauf verlassen können, dass ihr Arbeitgeber hinter ihnen steht.
Welchen Stellenwert hat der Faktor Sicherheit für Kundinnen und Kunden?
Niewöhner: Der ist für sie sehr wichtig. Menschen fühlen sich dort wohler, wo sie sich sicher fühlen. Das gilt für den öffentlichen Raum ebenso wie in Geschäfts- und Büroräumen. Und das fängt bereits bei der Einrichtung an: Eine freundliche Gestaltung, gute Beleuchtung und klare Beschilderung tragen zu einer entspannten Atmosphäre bei.
Was sollten Unternehmer unbedingt tun, wenn es zu einer Bedrohung oder sogar zu Gewalt gekommen ist?
Niewöhner: Immer die Polizei rufen! Ob im Büro, im Geschäft oder unterwegs. Wichtig ist auch, die Fälle zu dokumentieren, um Hilfsangebote und Präventionsmaßnahmen daraus ableiten zu können. Vor allem aber sollten sich Unternehmen um die Betroffenen kümmern. Feste Meldewege, klare Abläufe und eine sensible Nachbereitung der Vorfälle sind essenziell.
Welche Konsequenzen haben solche Vorfälle für Betroffene?
Niewöhner: Gewaltvorfälle können zu Belastungserscheinungen führen, zum Beispiel Schlafprobleme, Reizbarkeit, innere Anspannung. Hier ist es wichtig, dass die Betroffenen Unterstützung erfahren. Es gibt sowohl interne Nachsorgekonzepte als auch externe Hilfsangebote wie eine psychologische Betreuung, betriebsärztliche Versorgung oder Angebote der Berufsgenossenschaften.
Was können Arbeitgeber tun, um Gewalt aus dem Weg zu gehen und die Sicherheit für ihre Beschäftigten zu erhöhen?
Niewöhner: Wichtig sind Haltung, Prävention und Handlungssicherheit. Klare Abläufe, baulich-technische Schutzmaßnahmen, Schulungen und eine Unternehmenskultur, die Gewalt nicht akzeptiert, sind zentral. Eine besondere Rolle nehmen die Führungskräfte ein: Ihre Grundhaltung sollte sein, sich zu kümmern und genau hinzusehen, wenn Belastungen entstehen.
Wie können sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Übergriffe und Grenzüberschreitungen von Kunden vorbereiten?
Niewöhner: Es gibt viele Möglichkeiten, Gewalt vorzubeugen, damit umzugehen oder den Betroffenen im Nachgang Unterstützung zu bieten. Zum einen können baulich-technische oder strukturelle Gegebenheiten innerhalb der Organisation mehr Sicherheit schaffen, zum Beispiel durch Zugangsregelungen oder gut beleuchtete und übersichtliche Einrichtung von Geschäftsräumen. Daneben sind auch die Einstellung, Kommunikation und das Verhalten der Beschäftigten wichtig. Sie sollten lernen, wie sie in schwierigen Situationen ruhig und sicher handeln, ohne sich selbst zu gefährden. Vor allem: Beschäftigte sollten gut vorbereitet sein, angemessen kommunizieren können und Gefahren früh erkennen – das schafft Sicherheit und Routine.
Bei wem finden Unternehmen Hilfe? Können sich Unternehmen auch an das Präventionsnetzwerk #sicherimDienst wenden?
Niewöhner: Das Präventionsnetzwerk #sicherimDienst ist primär für den öffentlichen Dienst, aber viele Maßnahmen lassen sich übertragen. Darüber hinaus gibt es weitere Anlaufstellen: Sicherheitsbehörden, beispielsweise kriminalpolizeiliche Beratungsstellen, bieten unter anderem Beratung zur Verhaltensprävention und baulich-technischen Maßnahmen an. Bei den Berufsgenossenschaften gibt es oft eigene Ansprechstellen für das Thema Arbeits- und Gewaltschutz. Verbände und Handelskammern können Unternehmen untereinander vernetzen.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Jens von Lengerke:
„Die IHK hat sehr gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der Polizei gemacht. Bei Veranstaltungen mit Gewerbevereinen und Immobilienstandortgemeinschaften und Webinaren zu den Themen Einbruchschutz, Ladendiebstahl, Falschgelderkennung aber auch Cybercrime haben wir viel positive Rückmeldungen von Gewerbetreibenden erhalten, die überrascht waren, wie viele Beratungsangebote es von Seiten der Polizei gibt. Man muss die Tipps dann natürlich auch tatsächlich umsetzen.“