„Den Alltag der Azubis mitdenken“

Ein Gespräch mit der IHK-Willkommenslotsin Anke Leufgen.
Wirtschaftsspiegel: Der Bundestag hat 2023 das Fachkräfteeinwanderungsgesetz erweitert und im vergangenen Jahr die zweite und dritte Stufe der Reform umgesetzt. Warum haben Unternehmen es jetzt leichter, Bewerberinnen und Bewerber aus Drittländern an Bord zu holen?
Anke Leufgen: Mit Blick auf die Berufsausbildung ist vor allem die zweite Stufe interessant. Ich möchte an dieser Stelle drei Änderungen erwähnen: Erstens: Die Vorrangprüfung wurde abgeschafft. Früher hat die Bundesagentur für Arbeit geprüft, ob es für den Ausbildungsplatz Bewerber aus Deutschland oder der EU gibt. Jetzt, ohne Vorrangprüfung, können Ausbildungsbetriebe ihre freien Ausbildungsplätze schneller besetzen.
Zweitens: Ausbildungsplatz-Bewerber aus Drittstaaten, die bereits zu einem anderen Zweck in Deutschland sind – zum Beispiel zum Deutschlernen oder zum Studium – und ein entsprechendes Visum haben, können in einen Aufenthaltstitel zur Berufsausbildung wechseln, ohne vorher wieder in ihr Heimatland zu reisen.
Und drittens wurden die Möglichkeiten für Bewerber, die aus Drittstaaten zur Suche nach einem Ausbildungsplatz nach Deutschland kommen, erweitert (§17 Aufenthaltsgesetz). Die Altersgrenze wurde von 25 auf 35 Jahre erhöht, Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 reichen nun aus und Bewerber haben für die Suche nach einem Ausbildungsplatz jetzt bis zu neun Monate Zeit.
Anke Leufgen
Anke Leufgen, Willkommenslotsin der IHK Nord Westfalen © Grundmann/IHK
Wirtschaftsspiegel: Welche Erfahrungen haben Sie mit dem beschleunigten Fachkräfteverfahren gemacht?
Leufgen: Wir haben in den letzten Monaten viele positive Rückmeldungen von Unternehmen erhalten. Das Verfahren bietet Unternehmen viele Vorteile. Zum einen: Die Betriebe haben auf der Behördenseite einen zentralen Ansprechpartner – die Zentralstelle Fachkräfteeinwanderung NRW kümmert sich. Das entlastet Arbeitgeber von administrativen Aufgaben und macht den Prozess planbarer. Und zum anderen werden die Abläufe verkürzt und Verfahren beschleunigt. Ausländische Nachwuchskräfte können also schneller im Betrieb starten.
Wirtschaftsspiegel: Welche Regelungen sind für Unternehmen besonders relevant, die Ausbildungsplätze an Bewerberinnen und Bewerber aus Drittstaaten vergeben wollen?
Leufgen: Relevant sind vor allem Regelungen aus dem deutschen Aufenthaltsgesetz und der Beschäftigungsverordnung.
Die zentralen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, sind laut Paragraf 16 a Aufenthaltsgesetz vor allem ausreichende deutsche Sprachkenntnisse und die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit. Die Arbeitsagentur prüft, ob die Menschen aus dem Ausland zu vergleichbaren Arbeitsbedingungen beschäftigt werden wie Inländerinnen und Inländer. Also insbesondere, ob die Höhe der Ausbildungsvergütung dem Gehalt entspricht, das Azubis aus dem Inland erhalten. Es gibt dazu einen guten One Pager auf der Website von „Make it in Germany“. Ausbildungsbetriebe müssen auch noch einige weitere Dinge beachten. Ich empfehle dafür gern eine Checkliste des „Netzwerks Unternehmen integrieren Flüchtlinge“.
Wirtschaftsspiegel: Was gilt es noch zu beachten, wenn ein Azubi aus dem Ausland kommt?
Leufgen: Es ist wichtig, dass man frühzeitig die Alltagswelt der zukünftigen Azubis mitdenkt! Wo sollen die wohnen? Wer holt die neue Auszubildende vom Flughafen ab? Kann ein Kollege den neuen Azubi nach Feierabend mitnehmen zum Sport? Solche Fragen sollten Ausbilderinnen und Ausbilder sich frühzeitig stellen. Das genannte Netzwerk hat auch hierfür eine hilfreiche Broschüre.
Wichtig ist auch: Die Einstellung von Nachwuchskräften aus dem Ausland ist mehr als ein bürokratischer Prozess – sie ist Beziehungsarbeit. Denn es geht immer um Menschen mit individuellen Geschichten, Hoffnungen und Talenten. Viele Betriebe – und auch ich persönlich – haben die Erfahrung gemacht, dass die Zusammenarbeit mit internationalen Auszubildenden nicht nur fachlich bereichert, sondern auch menschlich. Das gemeinsame Arbeiten und Leben bringt neue Perspektiven, stärkt das Miteinander und macht Vielfalt erlebbar!