Praxis & Ratgeber

Match-Point für den Mittelstand

Willkommen in der Welt der Start-ups: Die IHK Nord Westfalen hilft mittelständischen Unternehmen, Kooperationschancen zu erkennen und zu nutzen – beispielsweise mit persönlicher Beratung, als Mitveranstalter der Start.up! Germany Tour und als Partner der Accelerator Demodays des Digital Hubs münsterLAND. Im Interview erklären Sven Wolf, Leiter des Geschäftsbereichs Unternehmensförderung und Weiterbildung der IHK Nord Westfalen, und Sebastian Köffer, Geschäftsführer des Digital Hub münsterLAND, welche Impulse die Demodays geben sollen. | Interview: Dominik Dopheide 
 
Herr Köffer, Herr Wolf: Mit dem Veranstaltungsformat „Demoday“ ziehen Start-ups buchstäblich übers Land. Was steckt hinter dem Konzept? 
Wolf: Aus unserer Sicht sind die Demodays das Instrument schlechthin, kleine sowie mittelständische Unternehmen (KMU) und Start-ups zusammenzubringen. Den traditionellen Unternehmen eröffnen wir den Blick in die Start-up-Welt und zeigen, was dort möglich ist. Zugleich bieten wir den jungen Unternehmen die Chance, mit dem Mittelstand ins Gespräch zu kommen. Beste Bedingungen also, damit beide Seiten passende Partner finden, um zusammenzuarbeiten und gemeinsam zu wachsen. 
Köffer: Die Herausforderung ist, dass Start-ups vor allem in größeren Städten rund um innovationsstarke Hochschulen entstehen. Die etablierten Unternehmen aber sind in ganz Nord-Westfalen ansässig. Das bedeutet, dass die Start-Ups und wir, als ihre Unterstützer, raus müssen aus der eigenen Blase. Wir müssen dahin gehen, wo der Mittelstand ist: in die Region.  
Warum ist für traditionelle KMU die Zusammenarbeit so wichtig? Könnten sie nicht selbst ihren Zukunftskurs abstecken, ohne externe Newcomer ins Boot zu holen? 
Köffer: Viele KMU können die notwendige Innovationskraft und Risikobereitschaft allein auf Dauer nicht aufbringen.  
Wolf: Das Schöne aus der Perspektive der KMU: Wenn das Start-up am Markt bleibt, hat man eine Win-Win-Situation. Wenn es scheitert, und das sind mit knapp 90 Prozent nicht wenige, gewinnen die KMU trotzdem: Talente und Know-how. Tatsächlich zählt das Kennenlernen von hochqualifizierten Mitarbeitenden, laut einer aktuellen Studie des RKW-Kompetenzzentrums, zu den wichtigsten fünf Motiven, die ein Unternehmen zur Zusammenarbeit mit einem Start-up bewegen.  
Sven Wolf
„Die etablierten Unternehmen profitieren von der Innovationskraft, Agilität und Risikobereitschaft der Start-ups“, weiß Sven Wolf, Leiter des Geschäftsbereichs Unternehmensförderung und Weiterbildung der IHK Nord Westfalen. © Guido Krüdewagen/IHK Nord Westfalen
Also gibt es mindestens vier weitere gute Gründe… 
Wolf: KMU können Start-ups sehr gut einbinden, um neue Technologien zu erschließen und Produktinnovationen zu entwickeln. Zudem kann eine Kooperation den Zugang in Märkte öffnen, die so innovativ sind, dass sie manches KMU im Alleingang nicht ansteuern könnte. Das vierte Motiv ist die ökologische Nachhaltigkeit: Start-ups können zum Beispiel dazu beitragen, Unternehmen bei der Transformation oder der Erfüllung der Berichtspflichten zu unterstützen. In jedem Fall geht es darum, die Stärken beider Seiten zu nutzen. Die etablierten Unternehmen profitieren von der Innovationskraft, Agilität und Risikobereitschaft der Start-ups, diese wiederum von der Erfahrung und der finanziellen Stabilität ihrer Partner. Das Ergebnis – mehr Wettbewerbsfähigkeit – ist für die wirtschaftliche Entwicklung unserer Region von großer Bedeutung.  
Köffer: Der Zugang zu Technologien ist ein wesentlicher Aspekt. Aktuell reden alle von KI, zuvor waren Metaverse und Blockchain die Top-Themen. Daneben kristallisiert sich, Sven Wolf hat es gesagt, die Nachhaltigkeit als wichtiges Kooperationsfeld heraus. Das Thema gehört zur Kern-DNA vieler Start-ups. Hier sind viele junge Menschen am Werk, die mit einem anderen Mindset auf die Welt blicken und die Herausforderungen anders angehen. 
Was machen sie anders als vorangegangene Generationen? 
Wolf: Denken Sie beispielsweise an die Nachhaltigkeitsberichterstattung mit ihren komplexen Vorgaben aus Brüssel. Hier zeigen sich die Stärken der agilen Herangehensweise: Während das etablierte Unternehmen vielleicht noch mit der Auswahl der passendsten Kennzahlen ringt, hat das Start-up schon die erste Testversion für die Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts mittels KI entwickelt.  
Warum werden dann nicht permanent Partnerschaften besiegelt?  
Wolf: Ein Unternehmen öffnet sich dem Thema schwerer, wenn es im Tagesgeschäft gefangen ist, wenn es gerade durch viele Herausforderungen muss, wie Fachkräftemangel, Energiepreise, Digitalisierung, Innovationsdruck und Nachhaltigkeitsmanagement. Das ist auch ein Grund, warum die Kooperationsquote in den vergangenen vier Jahren um circa zehn Prozent zurückgegangen ist, und warum etwa zwei Drittel der KMU die Suche nicht proaktiv angehen. Der Mittelstand hat zudem meist nicht die Möglichkeiten, Synergien mit einem strukturierten Start-up-Scouting auszuloten. Bei der Suche führt dann der Zufall Regie, und oft fällt es den KMU schwer, die Passgenauigkeit potenzieller Partner zu erkennen. 
An diesem Punkt setzen die Demodays an?  
Köffer: Nicht nur die Demodays. Wir bieten mit dem Digital Hub Accelerator das ganze Jahr über regionsweit Unterstützung für Start-ups an, die bereits ein einsatzfähiges Produkt haben. Wir verbinden sie mit unserem mittelständischem Kontaktnetzwerk, dem fast 300 Unternehmen angehören, und initiieren passgenau Gespräche. Mit den Demodays haben wir jetzt zusätzlich Präsenz-Events in der ganzen Region – sozusagen die Kulmination des Match-Makings. Jeweils fünf bis sechs Start-ups sind eingeladen, einen Kurzvortrag zu halten. 
Und daraus ergibt sich, im besten Fall, eine langwährende Zusammenarbeit mit einem KMU?  
Wolf: Gerade die langfristige Orientierung der vielen mittelständischen und inhabergeführten Unternehmen macht die Region für Start-ups so interessant. Zu diesen Unternehmen können die Start-ups außerdem leichter Kontakt aufnehmen als zu großen Unternehmen – insbesondere auf den Demodays, denn dort sprechen sie in der Regel direkt mit Entscheidern. In der schon erwähnten RKW-Studie steckt übrigens eine spannende Erkenntnis: KMU haben zwar seltener Kontakt zu Start-ups. Sobald jedoch der Kontakt entsteht, ist die Wahrscheinlichkeit für eine Kooperation höher, als bei großen Unternehmen.  
Und wie können die Partner verhindern, dass es schnell kracht in der Kooperation? 
Köffer: Ein gutes Mittel sind Produkt-Pilotprojekte. So kann das KMU den Mehrwert fürs eigene Geschäft einschätzen, bevor eine langfristige Partnerschaft eingegangen wird. Entscheidend aber ist die Identifikation der passenden Partner. Natürlich kann man weltweit Startups suchen, aber die Regionalität hat Vorteile. Es gibt keine kulturellen Barrieren, man ist vielleicht im selben Netzwerk. Zudem ist die Anbahnung kein großer Aufwand. Zum Silicon Valley ist es sehr weit, zum nächsten Demoday sind es maximal 30 km.